Erstatzteillager Designerbaby?

27. Januar 2009

 Die heutige Medizin vermag vieles – auch die „Herstellung" eines Kindes zur Rettung seines schwerkranken Geschwisterchens, das eine passende Blut- oder Gewebespende braucht. Eine Kombination von künstlicher Befruchtung und Präimplantationsdiagnostik ermöglicht es, den Embryo auszusuchen, dessen Gen-Ausstattung am ehesten jener des kranken Kindes entspricht. Segen oder Sündenfall?



Wenn Sie ein todkrankes Kind hätten, würden Sie als Vater oder Mutter nicht alles tun, um sein Leben zu retten? „Gewiss", wird wohl jeder halbwegs sensible Mensch spontan antworten. Ich würde Nächte am Bett durchwachen, das Ersparte für Medikamente aufbrauchen, vielleicht durch halb Europa zu einem Spezialisten reisen. Ich würde, wenn es hilft, Blut oder Knochenmark, vermutlich gar eine Niere spenden, wenn das geliebte Menschenkind dadurch am Leben bliebe.



Aber was, wenn Ihr Knochenmark nicht passt und auch das der anderen Familienmitglieder nicht? Und was, wenn Sie jung genug wären, ein weiteres Kind zu bekommen, dessen Gewebe sich besser eignen würde, um das Leben des älteren Geschwisters zu retten? Würden Sie dies in Erwägung ziehen? Und wenn dann die Fortpflanzungsmedizin Ihnen anböte, den Nachwuchs im Reagenzglas zu zeugen und dann für die Einpflanzung in die Gebärmutter denjenigen Embryo auszuwählen, der dem des kranken Kindes genetisch am nächsten ist, würden Sie auch dies zur Lebensrettung tun?



Im Roman „Beim Leben meiner Schwester" von Jodi Picoult stehen die Eltern Sara und Brian genau vor dieser Entscheidung. Ihre Tochter Kate leidet an einer Form von Leukämie. Und weder die Eltern selber noch der Bruder kommen als Spender in Frage. So zögern sie nicht: Sie bekommen ein weiteres Kind, dessen Nabelschnurblut gleich nach der Geburt aufbewahrt wird und einen Monat später in Kates Körper transplantiert wird.



Wilde Romanfantasien einer amerikanischen Autorin? Mitnichten. „Designerbabys" werden solche Kinder genannt. Es gibt davon schätzungsweise ein Dutzend weltweit. Nicht nur in den USA, sondern auch in Australien, China, Russland und anderen Ländern ist diese Methode anerkannt. Auch in der Europäischen Union findet sie verbreitet Zustimmung, nur in Deutschland, Österreich, Irland und Portugal ist sie verboten.



Adam gezeugt als Lebensretter



Das erste Designerbaby wurde im August 2000 in den USA geboren und Adam genannt. Seine Schwester Molly, zu deren Lebensrettung er gezeugt worden war, soll inzwischen geheilt sein. Das erste Schweizer Designerbaby heißt Elodie und kam 2005 auf die Welt. Da das Verfahren in der Schweiz aber verboten war (ein neues Gesetz wird dort zurzeit vorbereitet), suchten die Eltern dafür Spezialisten in Belgien auf. Der vorerst letzte medienwirksame Fall liegt erst wenige Monate zurück: Im Oktober 2008 kam das erste (bekannte) spanische Baby auf diese Weise und mit dieser Absicht zur Welt. Javiers Nabelschnurblut eignete sich für eine Knochenmarkstransplantation für seinen Bruder Andrés. Der Sechsjährige leidet an einer genetisch bedingten Blutkrankheit (Beta-Thalassämie) und musste sich bislang häufigen Bluttransfusionen unterziehen. Mit Hilfe von Zellen aus Javiers Nabelschnurblut sollen seine Heilungschancen nun bei 70 bis 90 Prozent liegen. Allerdings können bis zur Genesung fünf Jahre vergehen.



Den medizinischen Hintergrund bildet die künstliche Befruchtung und ein Verfahren, das sich „Präimplantationsdiagnostik" (kurz: PID) nennt: Eizellen der Mutter und Samenzellen des Vaters werden im Reagenzglas zusammengebracht. Nach der Befruchtung im Reagenzglas und vor (Lateinisch: „prae") der Einpflanzung (Implantation) in die Gebärmutter werden die künstlich entstandenen Embryonen auf genetische Merkmale hin geprüft. Dazu entnimmt man jedem Embryo etwa drei Tage nach der Befruchtung – üblicherweise, wenn er aus acht Zellen besteht – ein bis zwei Zellen. Sie werden durch eine Kanüle abgesaugt und dann zum Beispiel auf bestimmte Erbkrankheiten hin untersucht. Dies dauert einige Stunden.



In Javiers Fall wollten die Mediziner zunächst ausschließen, dass das neue Leben ebenfalls an der Erbkrankheit leidet, und zudem sollte das Gewebe des zweiten Kindes dem von Andrés möglichst ähnlich sein. Nach diesen Kriterien untersuchten sie die Embryonen, selektierten schließlich einen und setzten ihn der Mutter ein. Sie brachte dann Javier auf die Welt, und nach der Geburt wurde das Blut aus der Nabelschnur für Andrés aufgefangen. Bei Adam, Elodie und der Romanfigur Anna war es ebenso.



In Ländern wie den USA gehört die PID längst zum Standard, wenn befürchtet wird, dass das Baby an einer Erbkrankheit leiden könnte. Theoretisch ist es möglich, sich sein Baby auf alle möglichen Eigenschaften oder auch „Mängel" hin testen zu lassen, sofern diese durch einen Gentest herausgefunden werden können: Geschlecht, Augenfarbe, Kleinwüchsigkeit …

Es gibt bereits taube Eltern, die nur einen Embryo wollen, dessen Gene ebenfalls zeigen, dass er taub sein wird. Und in Indien und China werden vorzugsweise männliche Embryonen ausgewählt.



Von solchen Verfahren distanziert sich im Roman „Beim Leben meiner Schwester" der Vater allerdings. In einer Talkshow lehnt er den Begriff „Designerbaby" für Anna ab: „Es geht uns doch nicht darum, ein Baby mit blauen Augen zu haben, oder eins mit einem IQ von 200. Zugegeben, wir haben um bestimmte Charakteristika gebeten – aber keineswegs um menschliche Eigenschaften, die gemeinhin als wünschenswert gelten. Es sind einfach nur Kates Eigenschaften. Wir wollen kein Superbaby. Wir wollen nur das Leben unserer Tochter retten" (Taschenbuchausgabe, Serie Piper, S. 122).



Instrumentalisiertes Leben



„Retterbaby" oder „Helfer-Geschwister" sind daher Begriffe, die manche Menschen lieber verwenden als „Designerbaby". In der Handlung des Romans reicht aber auf Dauer die erste Spende, von der Anna als Neugeborene natürlich gar nichts mitbekommt, nicht aus. Kate hat Rückfälle und immer wieder wird Gewebe von Anna entnommen. Als sie fünf Jahre alt ist, benötigen die Ärzte Lymphozyten aus ihrem Blut, ein Jahr später Granulozyten aus ihrem Blut, einige Zeit darauf Knochenmark. Als sie mit dreizehn Jahren eine ihrer beiden Nieren für die Schwester spenden soll, weigert sie sich und nimmt sich einen Anwalt. Dabei ist sie aber innerlich zerrissen zwischen dem Wunsch nach Eigenständigkeit und der Liebe zu ihrer kranken Schwester.



Keines der realen Designerbabys ist schon in dem Alter der Romanfigur, und bei den meisten reichte tatsächlich das Blut aus der Nabelschnur, um das Geschwister zu heilen. Aber im Falle des Schweizer Babys war dies nicht der Fall. Elodie musste mit einem Jahr Knochenmark spenden. Dafür wurde an ihr ein medizinischer Eingriff vorgenommen, von dem sie selber keinen Nutzen hatte, aufgrund ihres Alters natürlich auch ohne ihre Zustimmung. Dieses Thema wird auch im Roman aufgegriffen. Dort bestreitet der behandelnde Arzt allerdings, dass das Spenderkind Anna keinen nennenswerten Nutzen davon gehabt hätte: „Sie hat ihre Schwester gerettet" (S. 387). Manche Psychologen sagen, dass dies den Designerbabys ein besonderes Selbstbewusstsein verleihen würde. Andere allerdings fragen, was in den Seelen der Kinder vorgehen wird, wenn sie verstehen, dass sie nur aus einem bestimmten Zweck und nicht um ihrer selbst willen gezeugt wurden.



Gegner der Methode sprechen daher von Babys als Ersatzteillager, als Medikamentenschrank auf zwei Beinen oder als lebendes Medikament. Elodies Mutter Béatrice wehrte sich in einem Beitrag des ZDF („Frontal 21" vom 8.8.2006) gegen diese Begriffe: „Für mich heißt ein Medikament, man nimmt es und wirft es weg. Elodie lebt mit uns, sie ist ein vollwertiges Mitglied der Familie. Wir lieben sie, sie ist unser Sonnenschein. Sie ist etwas ganz besonderes, ganz und gar kein Medikament."



Materialwert statt Menschenwürde



Man darf den Eltern glauben, dass sie dieses nachgeborene Kind ebenfalls lieben. Dennoch steht am Anfang des Lebens der Zweck, für den die Designerbabys geschaffen werden. Nicht um ihrer selbst willen werden sie gezeugt, sondern fremdnützig, um ihr Geschwister zu retten. Mit Blick auf das erste dieser Kinder sagte Bischof Dr. Gebhard Fürst, der Bischof von Rottenburg/Stuttgart, bei einer Ansprache vor Medizinern im Sommer 2008: „Adam verdankt seine Existenz nur seinen Blutwerten. Für sich selbst scheint er keine Lebensberechtigung zu haben … Fast scheint es da wie eine Ironie des Schicksals, dass dieses Kind Adam heißt. Denn dieser Adam ist nicht um seiner selbst willen wichtig, Menschenwürde wird vertauscht mit Materialwert … So gut wir die Eltern vielleicht verstehen können, es bleibt unübersehbar, dass der Mensch Adam Mittel zum Zweck der Heilung von Molly ist."



Hinzu kommt ein anderer Aspekt: Die bisherigen Designerbabys wurden zur Rettung ihrer Geschwister gezeugt. Aber wo wird die Grenze sein? Denkbar ist doch auch die Zeugung zur Rettung eines Elternteils, eines nahen Verwandten, der liebsten Freundin der Familie. Und wie lange wird es dauern, bis Leihmütter Embryonen für Geld austragen, weil jemand eben dieses Gewebe braucht, selber kein Kind bekommen kann, aber über genug Geld verfügt? Doch dies sind tatsächlich düstere Zukunftsfantasien.



Der nun schon oft erwähnte Roman von Jodi Picoult wechselt geschickt und packend die Perspektiven: Mal erzählt der Vater, mal Anna selber, dann die Mutter, der Anwalt und so weiter. So kann sich der Leser in alle Seiten hineinfühlen und muss am Ende selber entscheiden, auf wessen Seite er steht.



Verworfene Embryonen



Eine Seite kommt im Roman allerdings gar nicht und in den Medienberichten beim jüngsten Fall in Spanien nur selten vor: die Seite der Embryonen, die bei dem Verfahren ebenfalls entstehen, aber dann – wie es meist verharmlosend formuliert wird – „verworfen werden", weil sie nicht ins Raster passen und der Mutter nicht eingepflanzt werden. Es geht nämlich bei der ganzen Problematik nicht nur um ein krankes Kind, dessen Familie und das nachgeborene Kind, das sein Gewebe spenden muss. Es geht auch um die Embryonen, die entstehen, dann aber für den Zweck nicht in Frage kommen. Es geht um menschliches Leben im allerfrühesten Stadium.



Im Falle des ersten Designerbabys – Adam Nash – sollen mehr als zehn Embryonen entstanden sein, von denen nur einer in die Gebärmutter gespült wurde. Die anderen wurden nicht gebraucht. Was genau mit diesen geschah, ist nicht bekannt. Üblicherweise werden die überschüssigen Embryonen bei einer PID nicht weiter versorgt und somit getötet, oder sie werden tiefgefroren, um möglicherweise später doch noch eingesetzt zu werden, oder aber sie werden zu Forschungszwecken benutzt. Letzteres geschieht vor allem in Großbritannien, wo man einen Embryo, der jünger als zwei Wochen ist, nicht als menschliches Individuum betrachtet und daher auch nicht als schützenswert.



Das Verbot der Methode in einigen Ländern bringt jedoch keine Lösung des Problems. Eltern, die dazu entschlossen und finanziell in der Lage sind, werden für das Verfahren in Länder reisen, wo sie diese Möglichkeit haben. Ein Tourismus ganz eigener Art kann entstehen. In Elodies Fall ist dies ja bereits geschehen.



Hat der Recht, der heilt?



Einmal mehr steht die Medizin also weltweit vor der Frage: Ist alles erlaubt, was machbar ist? Hat der Recht, der heilt? Und wie sind einheitliche Standards zu erreichen, wenn in unterschiedlichen Kulturkreisen der Wert des menschlichen Lebens im Allgemeinen und der Status eines Embryos im Speziellen ganz unterschiedlich beurteilt werden? Diese Fragen betreffen letztlich nicht nur das Thema Designerbabys, sondern ebenso die Stammzellenforschung, das Klonen, Abtreibung und viele andere Bereiche der Medizin und der Forschung.



Bischof Fürst sieht hier eine wichtige Aufgabe für die Kirche und formuliert es in seinem Vortrag so: „Der Fortschritt in Medizin und Forschung wird auch weiterhin dringend auf eine solch wache Beobachterin, kritische Begleiterin und sensible Wächterin wie die Kirche angewiesen sein."



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016