Familienseelsorge als Gottesberührung

25. Juli 2011 | von

Die Familie ist ein wichtiger Faktor für das Gelingen des Lebens – und Gott dazu ein unerlässlicher Weggefährte. Unter seinen Segen stellen die Eltern ihr Kind bei der Taufe: ein Markstein, der seelsorglicher Begleitung bedarf. Dies gilt auch für andere wichtige Lebensstationen wie beispielsweise die Einschulung, Erstkommunion, Firmung… Wie können Eltern das Familienleben aus dem christlichen Glauben heraus gestalten und ihren Kindern die Gegenwart eines liebenden Gottes vermitteln?







Gott ist schon in der Familie, wenn sie als solche nach außen hin noch gar nicht erkennbar ist. Wenn der Schöpfer der Welt einem Mann und einer Frau ein Kind als Gabe und Aufgabe anvertraut, ist dies eine intensive Gottesberührung. Wie auch immer die individuelle Familiensituation aussehen mag – bei Gott spielt keine Rolle, ob das Kind ein „Wunschkind“ oder ein „Zufallskind“ ist. Denn ein Kind ist immer eine Gabe des Schöpfers. Wenn ein Kind ins Leben kommt, beginnt die Schöpfungsgeschichte Gottes mit seiner Welt erneut. Die Schöpfungsgeschichte geht weiter.

Die Geburt eines Kindes berührt uns sehr. Die Tränen im Kreißsaal bei der Geburt zeigen das Berührtsein vieler Mütter und Väter. Wenn Gott uns ein Kind anvertraut, berührt er uns mit dieser Schöpfungsgabe. Damit gibt er uns allerdings auch eine Lebensaufgabe. Für die Möglichkeit einer Kommunikation mit Gott sind Kinder von ganz besonderer Bedeutung. Wenn wir Kindern in die Augen sehen, dann ist es gleichzeitig auch eine Möglichkeit, Gott, den Schöpfer, zu sehen.

Viele junge Eltern bringen ihr Kind zur Taufe. Viele junge Eltern finden Gott neu, wenn sie ein Kind bekommen. Bei der Frage um die Möglichkeiten einer konkreten Gottesberührung geht es tatsächlich um ein Hineinwachsen in die Gottesbeziehung. Wie wird es möglich, Gott in der alltäglichen Kommunikation zu spüren? Und wie können Menschen lernen, die spirituell besonders bedeutsamen und existenziell aufbauenden Erfahrungen des Eltern-Seins für sich selbst umzusetzen?

Wenn sich Gott bereits mitgeteilt hat, wenn Gott bereits „angeklopft“ hat, stellt sich die Frage, wie die Kirche als „Zeichen des Heiles“ auf den staubigen Wegen der Geschichte Familien spirituell begleiten und unterstützen kann, sich der Gottesberührung bewusst zu werden und sie als Gemeinschaft zu feiern.


Sehnsucht nach Gott

Kinder haben religiöse Sehnsüchte. Dies zeigt das Beispiel der fünfjährigen Lisa, die mit ihren Eltern und Großeltern die Liturgie am Ostermorgen um 5 Uhr feiert. Als Diakon trägt ihr Großvater die Osterkerze in die Kirche hinein und singt dreimal „Lumen Christi“, „Christus, das Licht der Welt“. Gespannt verfolgt Lisa das Geschehen. Auf dem Heimweg kommt aus dem Nachbarhaus ein Junge im Trainingsanzug. Lisa sagt: „Dieses Kind durfte gar nicht in die Kirche mitkommen, weil seine Eltern ja nicht wissen können, wie spannend das dort ist...“ Die fünfjährige Lisa hat das Problem treffend formuliert: Wie sollen Kinder die Chance bekommen, eine solch eindrucksvolle, spannende Liturgie live erleben zu können, wenn ihre Eltern ihnen dies nicht ermöglichen?

Seelsorge ist folglich immer „Familien-Seelsorge“. Ohne Familien würde die Kirche mit ihrem Auftrag scheitern. Natürlich darf Seelsorge nicht nur auf Familien mit kleinen Kindern reduziert werden. Es gibt zunehmend mehr junge und alte Singles (Witwen und Witwer, Geschiedene usw.). Aber auch diese Menschen sind oft in familiären Zusammenhängen unterwegs. Es ist also wichtig, Familien nicht nur als Familien in der Erziehungsphase zu verstehen. Die Möglichkeiten der Gottesberührung in Familien können für Großeltern genauso wichtig sein wie für junge Eltern.





Feste Religiöse Orientierung

Die große Herausforderung derzeit ist allerdings: Wie können junge Eltern im derzeitigen Umbruch in der Gesellschaft, aber auch in der Kirche, diese Gottesberührung mit ihren kleinen Kindern spüren und vollziehen lernen? Die Frage nach der Erziehungskompetenz stellt sich vermehrt. Die Verunsicherung ist gerade hier deutlich gegeben. Aber im Bereich der religiösen Erziehungskompetenz stehen wir nicht nur vor neuen Herausforderungen, sondern auch vor großen Chancen. So hat die letzte große repräsentative Untersuchung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ergeben, dass die Anzahl der Eltern, die für ihre Kinder eine feste religiöse Orientierung als Erziehungsziel formulieren, sich verdoppelt hat. Immerhin 25 Prozent der Eltern halten dies für sehr wichtig.

Gerade am Schulanfang kommen die Sorgen im Blick auf Erziehung und schulische Bildung in vielen Familien neu auf. Es geht dabei nicht nur um Lesen, Rechnen und Schreiben, sondern auch um die Frage, wie Kinder in ihrer Persönlichkeitsentwicklung, in ihren Grundhaltungen und in ihrer Suche nach dem Lebenssinn unterstützt und begleitet werden können.





Heilsame Rituale

Für Eltern ergeben sich leicht umsetzbare und für den Alltag taugliche Rituale, von denen fünf beispielhaft vorgestellt werden:

Wenn Ihr Kind morgens aus dem Haus geht, segnen Sie Ihr Kind! Legen Sie die Hand auf den Kopf und sagen Sie: „Gott beschütze dich“, oder „Gott segne dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Dies ist keine Frage von Zeit und Geld. Wem es wichtig ist, dass sein Kind spüren kann, gesegnet und beschützt aus dem Haus zu gehen, sollte dieses Ritual zur Regel machen. Selbstverständlich können nicht nur Sie Ihr Kind segnen – auch Kinder können ihre Eltern segnen. Besonders schön ist es, wenn sich Kinder und Eltern gegenseitig segnen. Sie können dazu mit Ihrem Kind einen passenden Segensspruch erfinden, sich gegenseitig die Hand auf den Kopf legen oder ein Kreuzzeichen auf die Stirn machen. Vielleicht umarmen Sie sich auch.





Morgensegen und Mittagsgebet

Die Situation vor dem Essen ist ebenfalls auf einfache Art religiös zu gestalten: „Jedes Tierlein hat sein Essen, jede Pflanze trinkt von dir, hast auch unser nicht vergessen, lieber Gott wir danken dir.“ Danach reichen sich die am Tisch Versammelten die Hände und danken Gott dafür, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen Menschen auf der Welt etwas zu essen haben. Es gibt Gebetswürfel und Gebetskärtchen, die für dieses Ritual hilfreich sind. Es gibt aber auch Rituale, die keinen Gebetscharakter haben. Das mittlerweile auch in vielen Kinderfreizeiten und Kindertagesstätten verbreitete „Piep, Piep, Piep – wir haben uns alle lieb. Jeder isst so viel er kann, nur nicht seinen Nebenmann, und wir nehmen’s ganz genau, auch nicht seine Nebenfrau“ erscheint mir jedoch als zu oberflächlich. Auch wird durch diesen Spruch Dankbarkeit nicht vermittelt. Dabei ist es wichtig, dass Eltern und Kinder eine „Unterbrechung des Üblichen“ in ihren Alltag einbauen.





Abendritual „Tagesschau“

Abendrituale sind Momente von ganz besonderer Intensität und Wirkung. Vor dem Einschlafen – das Kind kann schon im Bett liegen – lesen Sie ihm eine Geschichte aus der Kinderbibel vor und sprechen mit ihm darüber, schauen ein Bild gemeinsam an und lassen es auf sich wirken.

„Was war heute schön? Was war nicht so schön?“ Mit dem Kind eine „Tagesschau“ abzuhalten, mit ihm den Tag durchzugehen und ihm damit noch einmal die Möglichkeit zu geben, gemeinsam mit dem Vater, der Mutter oder einer anderen Person, die am Bett sitzt, Ereignisse, Gedanken und Gefühle zu reflektieren und positive und negative Momente Gott anzuvertrauen, kann äußerst bereichernd sein, wie folgendes Beispiel zeigt: Auf meine Frage „Ingrid, was war heute schön, was war nicht so schön?“ antwortete mir unsere damals fünfjährige Tochter: „Lieber Gott, heute war es gar nicht schön, der Moritz hat mich gehauen, dann habe ich ihn auch gehauen. Schlaf gut, lieber Gott.“ Es war das Klagegebet eines kleinen Kindes, das zum ersten Mal in seinem Leben geschlagen worden war – sogar von seinem besten Freund, dem gleichaltrigen Moritz. Ingrid hat gar nicht meine Frage beantwortet, sondern gleich direkt mit Gott gesprochen. Dies ist für sie offensichtlich eine Gottesberührung gewesen. Sie hat sich Gott mitgeteilt und gleich gesagt, dass er gut schlafen solle.

Mit der Zeit können sich auch andere Gebete entwickeln, die das Kind von selbst lernen möchte. So hat Ingrid im Alter von sieben Jahren das „Vater Unser“ von selbst angefangen zu beten. Allerdings ist sie hängen geblieben, weil sie den ganzen Text noch nicht auswendig konnte. Einige Abende wollte sie nur das „Vater Unser“ beten – und hat es dann so gelernt.





Intensives Erlebnis Kirche

Beim Vorschlag, jeden Abend ein Ritual abzuhalten, geht es nicht darum, ein Abendgebet herunterzubeten. Vielmehr soll das Leben und die Kommunikation des zu Ende gehenden Tages reflektiert werden und in Versöhnung münden, in innere Ruhe und Geborgenheit, die Kinder am Beginn der Nacht ganz besonders brauchen.

Kinder gehen gerne in die Kirche. Dies ist insofern nicht überraschend, als sie die Stille und die besondere Atmosphäre der Kirchen viel intensiver aufnehmen als manche Erwachsene. Ich kenne viele Eltern, die mit ihrem Kind unter der Woche, also nicht zu Gottesdienstzeiten, in die Kirche gehen und als Familie die Figuren anschauen, ein kurzes Gebet sprechen oder eine Kerze anzünden. Dies ist für Kinder ein intensives religiöses Erlebnis, weil sie dafür (noch) eine ganz besondere Sensibilität haben. Der Kirchenbesuch kann auch mit bestimmten Anliegen verbunden sein, zum Beispiel das Gebet für die erkrankte Großmutter.





Gott haut nicht ab

Wie Tag und Nacht sich abwechseln, so wird es auch in unserem Leben nach hellen Zeiten manchmal dunkler. Aber Gott haut nicht ab, wenn es dunkel wird. Auch Jesus hat geweint, als sein Freund Lazarus gestorben ist. Jesus selbst hat am Ölberg in Todesangst die Dunkelheit des Lebens erleiden müssen. Jesus hat zu Gott geschrien, als er sich verlassen fühlte.

Manchmal haben wir Menschen Tränen in den Augen, wenn jemand in der Familie oder aus dem Freundeskreis schwer krank wird und wir hilflos werden. Manchmal verdecken die Tränen in den Augen unsere Sicht auf Gott so, dass wir meinen, Gott sei nicht mehr da. Aber: Gott haut nicht ab. Wir sehen ihn nicht oder können ihn gerade nicht mehr sehen, weil wir so traurig sind.

Sicher ist: Gott lässt uns gerade im Leid und in der Trauer nicht alleine. Manchmal sehen wir mit Tränen in den Augen sogar mehr und Gott ist ganz nahe.





Klärende Familiengespräche

Jesus hat nie davon gesprochen, dass es ein Leben ohne Leid gibt. Er hat uns vielmehr davon erzählt, dass Gott eines Tages unsere Tränen trocknen wird. Die Trauer ist nicht das letzte Wort. „Selig sind die, die jetzt zwar trauern, sie werden aber später getröstet werden.“

Manch dunkle Stunden, die wir Menschen erleben, müssten aber gar nicht sein. Oft machen wir uns gegenseitig selbst Ärger und Stress. Offen miteinander Probleme zu besprechen und sich verständigen, wie wir etwas miteinander besser regeln und gestalten, ist bereits ein Lichtblick im Alltag. Dazu gehört auch, über den eigentlichen Schatten zu springen: Danke zu sagen ist eine wichtige Geste der Verbundenheit und Freundschaft.

Halten Sie regelmäßig „Familienrat“ ab und nutzen Sie das Gespräch in der Familie, um Licht- und Schattenseiten des Lebens zu reflektieren. Ein klärendes Gespräch, ein gutes Wort, ein Händedruck und eine Umarmung können nach einem Streit unser Leben wieder aufhellen. Sprechen Sie miteinander und stellen Sie die Frage in den Raum: Was können wir gemeinsam in der Familie ändern, damit es weniger Streit gibt? Beziehen Sie Ihre Kinder dabei mit ein. Eine andere Frage könnte zum Beispiel sein: Wer in der Umgebung braucht gerade Trost, ein gutes Wort oder ein Bild, das ich malen könnte?

Allein diese fünf Rituale zeigen Möglichkeiten eines einfachen, alltagstauglichen Weges, wie Kinder und Jugendliche die Gottesberührung in ihren Familien gemeinsam mit den Eltern erfahren können. Dabei kommt es besonders auf die Wiederholung, auf das Ritual an. Die Ergebnisse aus der Hirnforschung geben Hinweise darauf, dass gewisse Hirnareale sich am intensivsten ausbauen, wenn Prozesse ständig wiederholt werden.





Es braucht Familienpastoral

Was bedeutet dies für die pastorale Arbeit? Die Gemeinden sollten gerade am Anfang des Schuljahres darauf achten, dass die Sorgen der Eltern sich nicht nur auf Lesen, Rechnen und Schreiben konzentrieren, sondern Eltern ihren Kindern Persönlichkeitsentwicklung, darunter auch religiöse Persönlichkeitsbildung, durch diese Rituale ermöglichen.

Gerade bei der Taufe versprechen die Eltern, ihr Kind im Glauben zu erziehen. Wenn wir Eltern schon dieses Versprechen abnehmen, dann ist es umso wichtiger, sie auch darin zu unterstützen, wie sie dieses Versprechen einlösen können.

Bereits bei der intensiven Vorbereitung auf die Taufe, im Kontext der Kindertagesstätten und Kindergärten, aber auch in den Gottesdiensten sollten Eltern immer wieder motiviert und unterstützt werden, solche Wege zu gehen und mit einfachen Mitteln Gotteskommunikation in der Familie zu realisieren.

Dass dies geht, erfahre ich in vielen Rückmeldungen. Oft sage ich Eltern: „Sie können in der religiösen Erziehung mehr, als Sie denken.“ Und manche Eltern melden mir zurück: „Wenn es so einfach ist, dann kann ich‘s ja auch.“


Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016