Franziskus schreibt an alle Gläubigen

04. Oktober 2021 | von

Der Brief des heiligen Franziskus an die Gläubigen ist für den Bamberger Erzbischof, tief verwurzelt in der franziskanischen Spiritualität, Ermutigung, Christsein heute zu leben.

Das Jahr 2021 ist für alle Freundinnen und Freunde des heiligen Franziskus in Deutschland und der franziskanischen Spiritualität ein ganz besonderes Gedenkjahr. Vor 800 Jahren kamen die ersten Brüder des heiligen Franziskus in unsere Heimat und gründeten Niederlassungen in Augsburg, Würzburg, Regensburg und Köln. Wir bewundern den Mut und die Tatkraft dieser Pioniere, sich in Deutschland niederzulassen und Klöster zu gründen. Sie waren nach dem in vielerlei Hinsicht entscheidenden Mattenkapitel des Jahres 1221 in Assisi, an dem Franziskus selbst teilgenommen hatte, über die Alpen nach Norden gezogen und brachten die franziskanische Spiritualität in unseren Lebensraum. Worin bestand sie?

Was Franziskus auf dem Herzen hat

Auf das Jahr 1221 wird auch der „Brief an die Gläubigen“ (Ermahnungen an die Brüder und Schwestern von der Buße) des heiligen Franziskus datiert. Er enthält das, was Franziskus seinen christlichen Zeitgenossen in der ganzen Welt mitteilen wollte. Seine Intention ist mit der von Papst Franziskus zu vergleichen, der seine Enzyklika Fratelli tutti ebenfalls an „alle Brüder“ gerichtet hat. Den Titel der Enzyklika hat Papst Franziskus zwar den „Ermahnungen“ des heiligen Franziskus entnommen, er könnte aber auch aus dem „Brief an die Gläubigen“ stammen.

Bekanntlich gibt es den Brief an alle Gläubigen in zwei Fassungen, eine kürzere und eine längere. Von den Historikern wird inzwischen die kürzere als die ursprünglichere gesehen. Die längere Fassung enthält Ergänzungen zur ersten, die die Sorgen des heiligen Franziskus zeigen, dass die Sakramente der Kirche, vor allem die Eucharistie, die kirchliche Hierarchie und Ordnung, die Priester, ihre Aufgaben und Funktionen nicht in rechter Weise geachtet werden, die für Franziskus zum Wesentlichen der Kirche gehören. In ihnen ist vieles enthalten, was auch in den 28 „Ermahnungen“ von Franziskus aufscheint.

Aufruf zur Nächstenliebe

Die erste Fassung vom „Brief an die Gläubigen“ ist frischer und ursprünglicher; das spürt man. Franz von Assisi wollte mit ihm zusammenfassen, was seine Brüder und Schwestern wirken sollten: Die Liebe zu Jesus Christus erneuern! Darin sah Franziskus seine eigentliche Sendung und seine Aufgabe.

Die Christen zur Zeit des heiligen Franziskus waren Getaufte. Alle glaubten, was die Kirche zu glauben vorschrieb, und kamen mehr oder weniger ihren religiösen Pflichten nach. Sie sündigten und beichteten, erhielten die Lossprechung, versuchten, jede Sünde zu meiden und wurden auch wieder schwach.

Das, was Franziskus bei den Christen seiner Zeit aber feststellte, haben seine späteren Biographen so formuliert: „Als die Liebe zu Jesus Christus sowie die Nächstenliebe erkalteten, sandte Gott seinen Knecht Franziskus.“

Glück auf Erden, Seligkeit im Himmel

Der Brief an alle Gläubigen in der Ursprungsfassung ist ein einziger Aufruf, Jesus Christus zu lieben und in der Liebe Christi alle Menschen. Er ist in drei Abschnitte aufgeteilt. Im ersten schildert Franziskus, wie schön und erfüllend die Liebe zu Jesus Christus ist. Im dualistischen Verständnis, das seit den ersten Jahrhunderten die Verkündigung der Kirche durchzieht, enthält dann der zweite Abschnitt die Darstellung dessen, was der Mensch entbehrt, wenn er nicht Jesus Christus liebt und ihm in Wort und Tat nicht folgt: Er beraubt sich selbst des Lebensglücks auf Erden und der ewigen Seligkeit im Himmel; mit den Gütern, die er angehäuft hat, hinterlässt er Streit und Neid unter den Erben. Der dritte, ganz kurze Abschnitt, ist das Resümee und die dringende Aufforderung, sich für die Liebe zu Jesus Christus zu entscheiden.

Diesen Brief brachten die Minderbrüder mit, die 1221 nach Deutschland kamen, und entzündeten dadurch in vielen Christen die Liebe zu Jesus Christus neu.

Missionarischer Auftrag

Die franziskanische Gemeinschaft, der OFS, bezieht sich auch heute auf diesen Brief an alle Gläubigen aus dem Jahr 1221.

Die erste Frucht dieser Erneuerung der Liebe zu Jesus Christus und zur Nächstenliebe wird die heilige Elisabeth von Thüringen, die mit dem heiligen König Ludwig IX. von Frankreich die Patronin des Dritten Ordens und der Franziskanischen Gemeinschaft ist.

Wir sind heute in einer anderen Situation. Längst sind nicht mehr alle Menschen in Deutschland Christen – ihre Zahl nimmt ab. Dabei muss man aber sehr wohl unterscheiden zwischen eingetragenen Kirchenmitgliedern und Christen; auseinanderdividieren ist nicht in Ordnung, nicht zu differenzieren aber ebenso wenig. Für den missionarischen Auftrag, wie er aus dem Brief an die Gläubigen des heiligen Franziskus deutlich wird, ist es zunächst wichtig, den Menschen Jesus Christus vor Augen zu stellen, die Liebe zu ihm neu zu wecken, sowohl in den Kirchenmitgliedern als auch in allen anderen. Man soll es vor allem mit dem Hinweis auf das Licht und auf die Lebensfülle tun, die dadurch geschenkt werden.

In der Liebe zu Jesus Christus wird das Leben reich, zufrieden und glücklich, die wahre Geschwisterlichkeit unter den Menschen wird gestärkt und jeder empfängt die ewige Seligkeit im Himmel; in Christus ist die Fülle des Lebens! Das ist die franziskanische Botschaft und Spiritualität im Brief an alle Gläubige.

Zuletzt aktualisiert: 04. Oktober 2021
Kommentar