Freisemester in Rom
Um seine theologischen Studien ein wenig mit römischen Ingredienzen zu würzen, verbrachte unser Autor fünf Monate in der Ewigen Stadt und nutzte diesen Aufenthalt vielseitig. Die Sendboten-Leser profitieren von seinen Erlebnissen und Beobachtungen.
Wohnen durfte ich von Februar 2012 bis Sommer im „Seraphicum“, dem Studienhaus unseres Ordens mit der angeschlossenen Päpstlichen Fakultät San Bonaventura, etwa 20 Minuten mit der Metro vom Kolosseum und der pulsierenden Innenstadt entfernt. 80 Brüder aus der ganzen Welt waren wir insgesamt, Lehrende und Studierende, eine wahrlich bunte Truppe aus allen Kontinenten. Deutsche philosophische und theologische Denker von damals und heute, die deutsche klassische Musik und Literatur, das deutsche Bier aus dem Fässchen, das ich eines Abends zusammen mit Sauerkraut und Nürnberger Rostbratwürstchen servierte – „deutsch“ kommt an.
IN DER PRIVATKAPELLE DES PAPSTES
Kaum hatte ich in Rom meinen Koffer ausgepackt, kaum hatte ich mein grobes Besichtigungsprogramm für die kommenden Monate zusammengestellt, bot sich mir schon eine nahezu einmalige Gelegenheit. „Ob es funktioniert, kann ich nie mit Sicherheit sagen“, erklärte uns der Priester, der eine deutsche Gruppe von Theologiestudierenden durch Rom führte und eine besondere Überraschung geplant hatte. Doch er, der alte Kontakte zu Verantwortlichen aus dem Vatikan pflegt, bekam auch diesmal wieder grünes Licht für den Zugang zur Paulinischen Kapelle. Sie ist neben der Sixtinischen eine der insgesamt drei Privatkapellen des Papstes und für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Das verlockende Angebot nahm ich natürlich gerne an.
Vorbei an der Schlange von Hunderten von Menschen, die Einlass in den Petersdom begehrten, bis hin zu dem von der Schweizer Garde bewachten Haupteingang des Apostolischen Palastes (Portone di Bronzo) rechts an den Kolonnaden des Petersplatzes lotste uns der Geistliche und traf kurze Absprachen mit den Gardisten – die Hellebarde selbstverständlich in Position gebracht. Ein Diensthöherer im dunklen Anzug führte uns dann zunächst über die weite königliche Treppe (Scala Regia), wir durchquerten anschließend den großartig ausgemalten Königssaal (Sala Regia) und gelangten schließlich in die Cappella Paolina. Eine Oase der Ruhe, ein Ort der Kontemplation und des Gebetes erhebt sich hinter dem hohen, dunklen Holzportal, das hinter uns geschlossen wurde und uns so Zeit zum Verweilen ermöglichte.
DIE BAYERN DURFTEN REIN
Papst Paul III. hat die Kapelle im 16. Jahrhundert errichten lassen – daher geht ihr Name auf ihn als Auftraggeber zurück – und Michelangelo Buonarroti (1475-1564) mit der Ausmalung betraut. Die letzten beiden Fresken von Michelangelo lassen sich hier finden, sie wurden 2009 mit der gesamten Kapelle frisch restauriert: die Bekehrung des Saulus und die Kreuzigung des Petrus. War die Cappella Paolina anfangs der Ort des Konklaves, versammeln sich dort noch heute die Kardinäle bei einer Papstwahl unmittelbar vor der Wahlhandlung und ziehen in Prozession unter Anrufung des Heiligen Geistes zur benachbarten Sixtina. Vor größeren Gottesdiensten auf dem Petersplatz oder im Petersdom soll sich Papst Benedikt XVI. stets zur inneren Sammlung in diese Kapelle zurückziehen, die ausschließlich ihm und der Päpstlichen Familie vorbehalten ist. Daher ist sie auch eigentlich nicht für liturgische Feiern vorgesehen, sondern für die Anbetung Jesu Christi im Allerheiligsten Sakrament. Indes feierte dort der Heilige Vater anlässlich seines 85. Geburtstags im April mit der Delegation aus Bayern eine heilige Messe.
Eben dieser Geburtstag war auch Anlass für die Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys Symphonie Nr. 2 „Lobgesang“ des weltweit gerühmten Gewandhausorchesters Leipzig unter der Leitung von Gewandhauskapellmeister Riccardo Chailly in der Audienzhalle des Vatikans. Überraschenderweise wurde ich eingeladen zu diesem Geburtstagsgeschenk der Stadt Leipzig an den Papst. Abendgarderobe und für die Geistlichen Talar sah die Einladungskarte vor. Ein wunderbares Konzert konnten die 7.000 Zuhörer erleben, das im bayerischen Rautenmuster gestaltete Programmheft in den Händen, bevor der Papst auf persönliche Weise Mendelssohn erklärte. Eine nahezu familiäre Stimmung ließ dieses Zusammentreffen aufkommen.
BEICHTVÄTER IM VATIKAN
Der Vatikan, ein Staat für sich. Sympathisch und „witzig“ in den Reiseführern beschrieben, geheimnisvoll, wenn man davor steht, aber kompliziert und knallhart in den Regeln, wenn man hinein will oder drin ist. Dessen ungeachtet: Die Vatikanischen Gärten sind ein kleines Paradies und für uns Franziskaner-Minoriten über Umwege schon eher zugänglich als für die Allgemeinheit, haben wir Brüder doch seit Jahrhunderten den Auftrag des Beichtdienstes im Petersdom. In meine Zeit in Rom fiel auch der Wechsel des deutschen Beichtvaters im Vatikan: Bruder Bernhard Johannes Schulte löste nach vielen Jahren Bruder Victor Jachec in der „Pönitentiarie“, unserem Vatikankonvent, ab.
Im Gegensatz zu den Gärten sind die Vatikanischen Museen kein „Kunstgenuss“ mehr: Tausende von Menschen schieben sich stündlich durch die unzähligen Gänge des Museums, wobei die Fülle der dortigen Kunstschätze die Aufmerksamkeit des Besuchers zwangsläufig zerstreut. Dennoch gehört die Sixtinische Kapelle, die nur über die Vatikanischen Museen zu erreichen ist, beinahe zum Pflichtprogramm des Rompilgers.
Auf den Papst kann der Rompilger jedoch ständig treffen: Audienzen, Angelusgebet, Messen an Hochfesten, Kreuzweg am Karfreitag am Kolosseum… Einmal zumindest muss er an einer Audienz oder am Sonntagsgebet inmitten von Abertausenden von Menschen auf dem Petersplatz teilgenommen haben. Die Atmosphäre ist etwas Besonderes.
Etwas weltlicher geht es zum Beispiel beim Rom-Marathon zu, einem der größten Marathonläufe Europas. Über 10.000 Sportler kamen ins Ziel, nachdem sie quer durch die Stadt so gut wie alle touristischen Highlights passiert hatten. Ist der recht kleine Platz vor dem Trevibrunnen normalerweise mit Touristen schon rappelvoll, platzte er jetzt wegen des Streckenverlaufs des Marathons aus allen Nähten.
LÄRM, KUNST, GRÜNE PARKS
Obwohl der Stadtkern nur mit Sondererlaubnis befahren werden darf, ist der Verkehr in Rom immens. Ein Bus schiebt sich hinter den anderen, unzählige Taxen rasen durch die Straßen, an den Hauptachsen wie Fori Imperiali, Via del Corso oder Via Nazionale versteht man sein eigenes Wort nicht. Wie gut tut es dann, die grünen Parks aufzusuchen, die die Ewige Stadt auch zu bieten hat: die große Villa Borghese mit gleichnamiger Kunstgalerie (deren Eintrittskarten so begehrt sind, dass man sie einige Tage vorher vorbestellen muss) oder auch die Villa Celimontana zwischen Kolosseum und Circus Maximus, eher ein Geheimtipp. Zufall ist es nicht, wenn man dort auf Brautpaare trifft, die ihren (hoffentlich einmaligen) großen Tag im Bild festhalten. Auch die Fontana Paolina, eine große Brunnenanlage zwischen Trastevere und Monte Gianicolo, stellt eine schöne Kulisse für frisch Vermählte dar: zehn Brautpaare in 90 Minuten konnte ich amüsiert eines Samstags vor den Kameras in unglaublichsten Posen beobachten.
Was Rom noch zu bieten hat? Den täglichen Militärwachwechsel samt Musik vor dem Quirinalspalast, Eisdielen an jeder Ecke, malerische Plätze, spannende Sonderausstellungen, Kunstschätze von Weltruhm, sowohl prunkvolle aber auch versteckte Kirchen (in Rom insgesamt 800), Katakomben, zahlreiche historische Ausgrabungen… Kurzum: mehr, als man trotz allen Eifers in fünf Monaten sehen kann. Ich muss wiederkommen!