Für alte und junge Lateiner
Wer sich im Kirchenstaat umschaut, wird schnell auf die Sprache der alten Römer treffen – die päpstliche Post nutzt sie für ihre Ersttagsstempel, und sogar die Bankautomaten des Vatikans lassen ein Geldabheben auf Latein zu. Die katholische Kirche versteht sich als Schutzherrin dieser Weltsprache und ihre Fördermaßnahmen zeigen Erfolg, erste Gymnasiasten titeln wieder: Latein ist hip!
Latein war auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil die vorherrschende Sprache. Bei den letzten Bischofssynoden zeigte es sich weniger präsent, denn auch viele Oberhirten sind mit der offiziellen Sprache der Kirche nicht mehr vertraut. Im Vatikan versucht man dem entgegenzuwirken – auch mit ungewöhnlichen Initiativen.
Iuxta Modum
Ein Blick in die Konzilsaula der Jahre 1962 bis 1965 offenbarte das Zusammenwirken von Altem und Neuem. Die Väter der weltweiten Kirchenversammlung diskutierten freimütig über die Probleme der Moderne in der Sprache Ciceros und des heiligen Thomas von Aquin. Über die Dokumente des Konzils stimmten sie mit den neuesten technischen Geräten in der Weltsprache der Antike ab: mit „placet“ (ja), „placet iuxta modum“ (ja, aber unter Vorbehalt) und „non placet“ (nein). Das Latein des Konzils war ein lebendiges Latein. In der reinen Männerwelt der Kirchenversammlung war erstmals auch das weibliche Geschlecht vertreten, als „Beobachterinnen“ und „Hörerinnen“. Ein galanter Konzilsvater hieß sie in seiner Rede als „pulcherrimae audi-trices“ (wunderschöne Hörerinnen) willkommen, was einen der Bischöfe zu dem Zwischenruf „iuxta modum“ verleitete.
Romani sermonis
Obwohl das Konzil die Bedeutung des Lateinischen mehrfach unterstrichen hatte, wird schon ein Jahrzehnt später deutlich: Die Zeiten, in denen Prälaten, Bischöfe und Kardinäle zu feierlichen Anlässen das Wort in der geschliffenen Rede der Antike ergriffen, gehören der Vergangenheit an. Papst Paul VI. (Giovanni Battista Montini, 1963-1978) entschied sich zu handeln. „Wir sehen die Gründung einer solchen Stiftung als notwendig an“, vertraute er im Juni 1976 dem Augustinerchorherrenabt und Cheflatinisten des Päpstlichen Staatssekretariates, Prälat Dr. Karl Egger, in einer Arbeitsaudienz an. Die Stiftung, von der der Papst sprach, war die „Fondazione Latinitas“, eine Einrichtung des Vatikans, der die Pflege und Förderung der lateinischen Sprache übertragen werden sollte. Paul VI. setzte dann seinen Namenszug unter das Handschreiben „Romani sermonis“, mit der er die neue Stiftung ins Leben rief.
Fondazione Latinitas
Papst Paul VI. beabsichtigte, das Studium der klassischen, christlichen und mittelalterlichen Literatur zu fördern und den Gebrauch der lateinischen Sprache in der heutigen Zeit durch Publikationen und Initiativen zu unterstützen. So übernahm die Stiftung die Herausgabe und Redaktion der bereits 1953 gegründeten Zeitschrift „Latinitas“. Die Zeitschrift erschien ganz in Latein, viermal im Jahr, und behandelte kulturelle Themen (Literatur, Philologie, Geschichte, Naturwissenschaften und andere Disziplinen). Zu ihren festen Rubriken gehörte das „Diarium Latinum“, das in journalistischem Stil aktuelle Nachrichten brachte. Zu den weiteren Aktivitäten der „Fondazione“ zählten die Edition des „Lexicon recentis Latinitatis“, das über 15.000 neue ins Lateinische übersetzte moderne Vokabeln aufweist, das „Certamen Vaticanum“, ein internationaler Wettbewerb in lateinischer Poesie und Prosa, die Durchführung eines lateinischem Sprachunterrichts nach der sogenannten integralen Methode (das heißt, Latein wird in Latein unterrichtet) und die „Feriae Latinae“ (Urlaub mit Latein).
Certamen Vaticanum
Die Päpste Johannes Paul II. (Karol Wojtyła, 1978-2005) und Benedikt XVI. (Joseph Ratzinger, 2005-2013) erwiesen sich ebenfalls als Förderer der lateinischen Sprache. Im November 2005 empfing Papst Benedikt XVI. Teilnehmer und Veranstalter des „Certamen Vaticanum“ in Audienz. In seiner lateinischen Ansprache erzählte der Papst, er habe schon als Kind die Sprache der Römer gelernt, und auch später sei Latein immer gegenwärtig gewesen, bei der Beschäftigung mit der Theologie genauso wie in seinem langen Dienst beim Apostolischen Stuhl. Er wolle sie alle „ermuntern und anspornen, dass ihr unsere lateinische Literatur, sei sie nun antik oder modern, weltlich oder geistlich, nicht nur mit ehrendem Eifer bewahrt, sondern sie auch mit neuen Ideen lehrt und sie vornehmlich den jungen Menschen nahe bringt“.
Nuntii latini
Schon ein Jahr vor der Aufforderung Benedikts XVI., Latein „mit neuen Ideen“ zu verbreiten, hatte der päpstliche Rundfunksender diesen Wunsch des Papstes vorweggenommen. Seit 2004 werden auf der Homepage der deutschsprachigen Abteilung von Radio Vatikan lateinische Nachrichten veröffentlicht. Dr. Gero P. Weishaupt, Priester und Kirchenrechtler aus der Diözese Roermond (Niederlande), ist der Latinist der „sectio theodisca“ des Senders. Die „nuntii latini“ stehen den Hörern von Radio Vatikan nicht nur schriftlich zur Verfügung, sondern sie können auch als Audio-Dateien von der Internetseite heruntergeladen werden.
„Latein ist hip!“, so begann Martin Weibelzahl, Abiturient des Adam-Kraft-Gymnasiums in Schwabach (Franken), seine Facharbeit im Leistungskurs Latein. Die Arbeit hatte der Gymnasiast unter das Thema gestellt: „Latein als Sprache moderner Medien – ,Nuntii latini‘ auf Radio Vatikan“. Ein Jahr lang waren von Martin Weibelzahl die „nuntii latini“ aufmerksam verfolgt und kritisch analysiert worden. Den Texten bescheinigte er, dass sie „einfach und schlicht, durchsichtig und klar“ seien. Menschen mit guten Lateinkenntnissen würden sie ein schnelles Verstehen ermöglichen.
Ein größeres Lob kann sich Gero Weishaupt nicht vorstellen. Dass seine „nuntii latini“ als verständlich eingeschätzt werden, freut ihn. „Das Genre und die Leserschaft bestimmen den Stil und den Satzbau der Texte“, betont er mit Nachdruck. „Nachrichten müssen sachlich und nüchtern sein. Die Struktur der Sätze sollte man sofort erkennen können, der Vokabelschatz in der Regel im Kopf vorhanden sein“. Meine ‚News auf Latein’ wollen lediglich informieren, nicht beeindrucken oder überzeugen.“
Attendite!
Die offizielle Sprache der Kirche hat den Rundfunksender des Papstes von Anfang an begleitet. Im Februar 1931 hatte Radio Vatikan seinen Sendebetrieb in Anwesenheit von Papst Pius XI. (Achille Ratti, 1922-1939) aufgenommen. Das erste Signal, das über die neue Rundfunkstation ging, war ein Morsecode. Ein Techniker hatte in die Apparatur eingegeben: „In nomine Domini. Amen“ (Im Namen des Herrn. Amen). Die lateinische Ansprache des Papstes wurde den Hörern mit den Worten angekündigt: „Attendite, Beatissimus Pater statim loquetur vobis“ (Achtung! Der Heilige Vater wird sogleich zu euch sprechen!). Wenige Wochen nach der Einweihung des Senders strahlte der Vatikanische Rundfunk mit seinem „Scientiarum nuntius radiophonicus“ (Wissenschaftlicher Rundfunkbote) die erste gesprochene, der Wissenschaft gewidmete Zeitung aus, deren Mitteilungen lateinisch abgefasst waren.
Auch auf seiner offiziellen Homepage präsentiert sich der Vatikan in der Sprache der Kirche. Wer die Worte „Sancta Sedes – latine“ anklickt, wird auf eine Seite in Latein weitergeleitet. Noch ist die neue Seite auf wenige Rubriken beschränkt, die dem Internetnutzer Dokumente des Heiligen Stuhls in lateinischer Sprache erschließen. Mit der Zeit aber sollen die „paginae latinae“ den anderen Sprachversionen der Webseite des Heiligen Stuhls angeglichen werden. Wer sich im Kirchenstaat umschaut, wird immer wieder unverhofft auf die Sprache der alten Römer treffen – die päpstliche Post nutzt sie für ihre Ersttagsstempel, und sogar die Bankautomaten des Vatikans lassen ein Geldabheben auf Latein zu.
Gloria, Credo, Agnus Dei
Im „Amt für die Liturgischen Feiern“ achtet man darauf, dass bei den großen Gottesdiensten im Vatikan die lateinische Sprache nicht zu kurz kommt. Sie findet vor allem in den Ordinariumsgesängen der Eucharistiefeier – so dem Gloria, dem Credo, dem Sanctus und dem Agnus Dei – Verwendung, und auch der Kanon der heiligen Messe wird zumeist lateinisch gebetet. „Die Gläubigen kommen aus aller Welt. Wir wollen keine der Landessprachen bevorzugen. Viele der lateinischen Gesänge sind doch noch bekannt und vermitteln dann Pilgern und Touristen ein Gemeinschaftsgefühl“, betont der Zeremonienmeister des Papstes. Im Päpstlichen Staatssekretariat, in den Kongregationen und den übrigen Behörden der Römischen Kurie übertragen lateinkundige Priester, Ordensleute und Laien weiterhin die wichtigsten Dokumente in die universale Sprache der Kirche. Doch so ganz „sattelfest“ in der lateinischen Sprache ist man auch im Vatikan nicht mehr. Wer zum Besuch des Papstes in Schweden vatikanische Briefmarken mit einem Sonderstempel versehen lassen wollte, endeckte mit Erstaunen in der Umschrift des Stempels die Mitteilung, dass sich der Heilige Vater nach Schwaben – „Suebia“ – begeben habe.
Examen Publicum Vaticanum
Ende 2012 begründete Benedikt XVI. die „Päpstliche Akademie zur Förderung der lateinischen Sprache“, in der er die Stiftung „Latinitas“ Pauls VI. aufgehen ließ. Der Papst betonte, dass die lateinische Sprache in der Geschichte der Kirche immer die Universalität der Botschaft Christi garantiert habe. Die katholische Kirche sei nach der Übernahme dieser Weltsprache deren Schutzherrin und Förderin geworden und stehe weiterhin in dieser Verpflichtung.
Kurz vor dem Weihnachtsfest 2012 hatte man sich in der Ewigen Stadt eine besondere Werbeaktion ausgedacht. Die Vatikanischen Museen, die Österreichische Botschaft beim Heiligen Stuhl und das Österreichische Kulturforum in Rom luden zu einem „Examen Publicum Vaticanum“ ein. Im Museo Gregoriano Profano der päpstlichen Sammlungen schrieben Schüler aus Österreich und Liechtenstein eine öffentliche Lateinarbeit zu dem Thema „Puer natus est“. Die Jungen und Mädchen aus Bregenz und Vaduz hatten allein oder zu zweit liturgische Weihnachtstexte zu übersetzen und Fragen zum Kirchenjahr zu beantworten. Via Handy durften sie sich bei Fragen an Würdenträger und Experten aus dem Vatikan und anderen Ländern wenden. Die Schularbeit wurde dann an Ort und Stelle benotet.
Im Januar 2015 gab es einen weiteren Versuch des Vatikans, für die lateinische Sprache die Werbetrommel zu rühren. Der päpstliche Rundfunksender präsentiert auf seiner Internetseite lateinische Infos über das vatikanische Gendarmeriekorps. Man wolle die Geschichte und die Aufgaben einer modernen Polizeieinheit in einem modernen Latein vermitteln, heißt es von den Verantwortlichen. Die Audio-Datei und der Text (mit deutscher Übersetzung für Nicht-Lateiner) sind als permanenter Link auf der Homepage von Radio Vatikan abrufbar: http://de.radiovaticana.va/news/2015/01/27/die_vatikan-gendarmerie_auf_latein_mit_audio/1119145
In sermone Latino
Um jungen Katholiken in aller Welt eine profunde Glaubens-information in die Hand zu geben, entstand 2006 der YOUCAT. Er fußt auf dem Katechismus der Katholischen Kirche. Um ihn für Heranwachsende verständlich zu machen, hatten an seiner Erstellung neben Theologen auch Jugendliche mitgearbeitet. Der Jugend-Katechismus, der bereits in viele moderne Sprachen übersetzt worden ist und zu einem Weltbestseller wurde, wird nun auch auf Latein, der offiziellen Sprache der Kirche, erscheinen. Die Übersetzung ist Dr. Gero Weishaupt, dem Latinisten von Radio Vatikan, anvertraut worden.
Die Arbeit am „Catechismus pro iuvenibus“ hat der Geistliche bereits aufgenommen. Auf die Frage, ob der YOUCAT auf Latein überhaupt sinnvoll sei, antwortet er, dass bei der jungen Generation durchaus eine Offenheit für Latein wahrzunehmen sei (so hätten sich Comicbücher auf Latein als ein Erfolgsschlager erwiesen). Zu dieser ungewöhnlichen Fassung des YOUCAT merkt er an: „Ich orientiere mich bei diesem Projekt vor allem an der lateinischen Ausgabe des Weltkatechismus (Catechismus Catholicae Ecclesiae). Viele Begriffe, Wendungen und Umschreibungen werde ich übernehmen können. Ansonsten will ich kein allzu forderndes Latein schreiben. Es soll ja für die Nutzer gut lesbar sein.“