Geistliche Kommunion

01. Mai 2020 | von

Wo in diesen Wochen die Teilnahme an der Eucharistie gar nicht möglich oder allenfalls eingeschränkt erlaubt ist, fällt immer wieder das Stichwort der „geistlichen Kommunion“. Unser Autor, Fachmann für franziskanische Spiritualität, widmet sich dem Thema mit der Brille des heiligen Franziskus.

„Geistige“ oder „geistliche Kommunion“ bedeutet nicht vergeistigten oder rein mentalen Empfang von Leib und Blut Christi. Sie ist keine virtuelle Reproduktion der sinnenhaft erfahrbaren Wirklichkeit des Sakraments der Eucharistie. Was die blutflüssige Frau erwägt und tut: „Wenn ich nur sein Gewand berühre, werde ich geheilt“ (Mk 5,28), findet in den Sakramenten, besonders im Sakrament der Eucharistie, eine Fortsetzung. Dies gilt auch für die „geistliche Kommunion“. Die dabei erfahrene Gestalt ist eine andere, aber keine geringere. Sakramente werden immer „geistlich“ empfangen.

Der heilige Franziskus hält jene, „die das Sakrament sehen, das durch die Worte des Herrn auf dem Altar durch die Hand des Priesters geheiligt wird in der Gestalt von Brot und Wein, aber nicht dem Geist und der Gottheit entsprechend schauen und glauben, dass es wahrhaft der heiligste Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus ist“, für „verurteilt“ (Erm 1,9: FQ 45). „Dem Geist entsprechend schauen“ bedeutet für ihn: „mit geistlichen Augen schauen und glauben“, wie es die 

Apostel im Hinblick auf die Gottheit Christi taten. 

 

Geistliches Schauen

Franziskus folgert: „So lasst auch uns, die wir mit leiblichen Augen Brot und Wein sehen, schauen und fest glauben, dass es lebendig und wahrhaftig sein heiligster Leib und sein Blut ist.“ (Erm 1,20.21: FQ 46) Glaube als „Schauen mit geistlichen Augen“ ist Grundvoraussetzung für die Begegnung mit dem Sakrament selbst und für den Empfang desselben. Denn „es ist der Geist des Herrn, welcher in den Gläubigen wohnt, der den heiligsten Leib und das Blut des Herrn empfängt.“ (Erm 1,12: FQ 45f.) Glaube als geistliches Schauen ist die Basis für das geistliche Empfangen des Sakraments.

Mit Worten des hl. Paulus mahnt Franziskus: „Wer unwürdig empfängt, der isst und trinkt sich das Gericht, weil er den Leib des Herrn nicht anerkennt, das heißt: nicht [von anderem Brot] unterscheidet.“ (2 Gl 24: FS 124f.; FQ 129; vgl. 1 Kor 11,29) Unwürdiger Empfang des Sakraments der Eucharistie wird hier nicht moralisch, sondern dogmatisch verstanden. Unwürdig empfängt das Sakrament, wer es ungläubig empfängt, wer die Brotsgestalt der Eucharistie nicht unterscheidet von gewöhnlichem Brot.

 

Gläubiger Empfang

Geistlich empfängt die Eucharistie, wer sie gläubig empfängt, indem er den Worten Christi, die in der Wandlung gesprochen werden: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, wirklich glaubt. Dieser Glaube an die reale Gegenwart des Leibes Christi in der Eucharistie wird aber vom selben Heiligen Geist bewirkt, der auch den Glauben an Christus als den HERRN, das heißt an seine wahre Gottheit schenkt: „Denn keiner kann sagen: Jesus ist HERR, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet.“ (1 Kor 12,3) In diesem Sinn ist das Wort zu verstehen, dass es der in den Gläubigen wohnende Geist des Herrn ist, „der den heiligsten Leib und das Blut des Herrn empfängt“.

Diese „geistliche Kommunion“ ist die Grundlage jeglichen Empfangens des Sakraments der Eucharistie. Sie ist keine „verdünnte“ oder „entmaterialisierte“ Form der eucharistischen Kommunion, sondern die einzige Möglichkeit, das Sakrament fruchtbar zu empfangen. Ein rein „materieller“ Empfang der Kommunion führt zum Gericht, weil der Leib Christi nicht als das geglaubt wird, was er in Wahrheit ist. Er wird nicht im Geist dessen empfangen, der sagt: „Das ist mein Leib.“ Er wird nicht geistlich empfangen. Jede gläubige Kommunion ist „geistliche Kommunion“.

 

Es folgen vier Ausschnitte aus franziskanischen Quellenschriften und dazu jeweils ein Kommentar im Bezug auf die geistliche Kommunion. 

1. Der Leib ist nicht ohne das Wort

Franziskus schreibt in seinem „Brief an die Kleriker“ (FQ 121f.): „Wir wissen, dass der Leib nicht sein kann, wenn er nicht zuvor vom Worte geheiligt wird. Nichts haben und sehen wir nämlich leiblich in dieser Welt von ihm selbst, dem Allerhöchsten, als den Leib und das Blut, die Namen und Worte, durch die wir geschaffen und vom Tode zum Leben erlöst sind.“

 

Kommentar

Der „Brief an die Kleriker“ ist eines der eucharistischen Schreiben des heiligen Franziskus, der sich überhaupt häufig und intensiv mit dem Thema Eucharistie beschäftigt, ohne jenen ihm sicher vertrauten theologischen Ausdruck „Eucharistie“ zu verwenden. Stets spricht er unmissverständlich konkret und ehrfürchtig glaubend vom „heiligsten Leib und Blut des Herrn“ und nennt im selben Atemzug „seine geschriebenen Namen und Worte“. Wort und Sakrament gehören im spirituellen Sprachgebrauch des Poverello zusammen.

Das Wort hat gewissermaßen Vorrang gegenüber dem Sakrament: „Wir wissen, dass der Leib“ als eucharistischer Leib Christi „nicht sein kann, wenn er nicht vorher vom Worte geheiligt“ und damit konsekriert wird. Das ist für Franziskus der Hauptgrund, warum er – ausgehend von den Konsekrationsworten – alle Worte Gottes in der Schrift gerade in ihrer sichtbaren materiellen Gestalt gleichermaßen ehrfürchtig behandelt haben will wie die eucharistischen Gestalten selbst. So schreibt er im „Brief an den Orden“ seinen Brüdern: „Deshalb ermahne ich alle meine Brüder und bestärke sie in Christus, doch überall, wo sie geschriebene göttliche Worte finden, diese, so gut sie können, ehrfürchtig zu behandeln. Und soweit es an ihnen liegt, sollen sie diese sammeln und verwahren, wenn sie nicht gut aufbewahrt sind oder ehrlos irgendwo verstreut herumliegen; so ehren sie in den Worten, die er gesprochen hat, den Herrn. Vieles wird nämlich durch die Worte Gottes geheiligt, und in der Kraft der Worte Christi wird das Sakrament des Altares vollzogen.“ (Ord 35-37: FQ 118)

In den gesprochenen und dann geschriebenen Worten des Herrn wird der Herr selbst verehrt. Sie sind materielle, berührbare Gestalt seines Wortes. Als Diakon hat der heilige Franziskus sich nach liturgischem Brauch und aus persönlicher Frömmigkeit vor dem Evangelienbuch verneigt und es geküsst (Brev 6: FQ 1513). Damit ehrt er den selbst, dessen Worte es enthält. In seinem „Brief an die Gläubigen“ nimmt sich Franziskus vor, „die Worte unseres Herrn Jesus Christus, der das Wort des Vaters ist, mitzuteilen, sowie auch die Worte des Heiligen Geistes, die Geist und Leben sind.“ (2 Gl 3: FQ 128)

Die vielen Worte der Schrift fließen zusammen in dem einen Wort des Vaters, in der Person Jesu Christi. Die einzelnen Worte sind in einem gewissen Sinn wie „Partikel“ der einen großen Hostie des ganzen Christus. Der Heilige Geist bewirkt, dass es sich nicht nur um materielle Buchstaben auf Pergament, Papier oder in digitaler Form handelt, sondern um „die Worte des Heiligen Geistes, die Geist und Leben sind“. So können wir in den sichtbaren, geschriebenen Worten der Heiligen Schrift den Urheber des Wortes Gottes selbst ehren und anbeten, Jesus Christus, das ewige Wort Gottes, das uns Kunde gebracht hat vom unsichtbaren Schoß der Liebe des Vaters (vgl. Joh 1,18).

 

2. Evangelium und Messe

In der „Sammlung von Perugia“ (FQ 1166) lesen wir: „Der Gefährte des seligen Franziskus kam zu ihm in die Zelle, wo er gewöhnlich betete und ruhte, um ihm das heilige Evangelium vorzulesen, das in der Messe an jenem Tag verkündet wurde. Denn wenn der selige Franziskus die Messe nicht hören konnte, wollte er stets das Evangelium jenes Tages hören, bevor er aß.“

3. Im Evangelium den Leib Christi anbeten

Im Protomonastero der Klarissen in Santa Chiara in Assisi wird das sogenannte „Brevier des heiligen Franziskus“ aufbewahrt. Diesem Brevier, das der Heilige wahrscheinlich von einem römischen Kleriker geschenkt bekommen hat, ist ein Evangeliar mit den Lesungen der Heiligen Messe beigebunden. Über den Gebrauch dieses Evangeliars unterrichtet die handschriftliche Eintragung von Bruder Leo, dem Sekretär und Beichtvater des Heiligen: „Der selige Franziskus hat dieses Brevier für seine Gefährten Bruder Angelo und Bruder Leo erworben. Denn solange er gesund war, wollte er immer das Offizium verrichten, wie es in der Regel festgehalten ist. Als er es in der Zeit seiner Krankheit nicht mehr selber verrichten konnte, wollte er es hören. Und dabei blieb er, solange er lebte. Er ließ sich auch dieses Evangeliar schreiben, um an dem Tag, da er wegen seiner Krankheit oder einem anderen offensichtlichen Hinderungsgrund die Messe nicht anhören konnte, sich das Evangelium vorlesen zu lassen, das man an diesem Tag in der Kirche während der Messe las. Und so hielt er es bis zu seinem Ableben. Er sagte nämlich: ‚Wenn ich die Messe nicht höre, dann bete ich den Leib Christi mit den Augen des Geistes im Gebet an, wie ich ihn anbete, wenn ich ihn in der Messe sehe.‘ Hatte der selige Franziskus den Evangelienabschnitt gehört oder selber gelesen, so küsste er aus allergrößter Ehrfurcht vor dem Herrn stets das Evangelienbuch.“ (Notiz im Franziskusbrevier, FQ 1513)

 

Kommentar

In diesen beiden Zeugnissen finden wir ein Beispiel sowohl der Praxis der „geistlichen Schriftlesung“ des Heiligen als auch der „geistlichen Kommunion“.

Die geistliche Schriftlesung (Lectio divina) bestand nach diesen Zeugnissen in erster Linie im treuen und regelmäßigen Vollzug des Stundengebets der Kirche, die einzige Gebetsform, zu der Franziskus sich und seine Bruderschaft in der Regel streng verpflichtet. Das Stundengebet mit seinen Psalmen und Lesungen ist gebetete Heilige Schrift, zugleich Schriftlesung in der liturgischen, theologischen und geistlichen Tradition der Kirche. Das geschriebene Wort Gottes in der Liturgie ist nie isoliert vom Glaubenskontext und von der Gemeinschaft der Glaubenden.

Das regelmäßige Lesen und Hören des aus der Liturgie sprechenden und auf sie hingeordneten Wortes Gottes zeigt sich darin, dass der arme Franziskus sich den Luxus leistete, zum ohnehin teuren Brevier noch ein Evangeliar mit allen Evangelien, die das liturgische Jahr über in der Messe gelesen werden, schreiben und beibinden zu lassen.

Die Schriftlesung des heiligen Franziskus bestand also nicht nur in einem zufälligen auf das Wort Gottes Gestoßen-Werden bei Predigten oder – wie es tatsächlich zwei Mal von ihm berichtet wird – den sogenannten „sortes Apostolorum“, dem „Bibellosen“, bei dem die Heilige Schrift nach dem Gebet ein oder mehrere Male aufgeschlagen wird, um daraus den Willen Gottes zu erfahren. Vielmehr ist die Beschäftigung mit dem geschriebenen Wort Gottes bei Franziskus eine durchaus gewollte, zum Teil angestrengte, jedenfalls aktive Tätigkeit des eindringenden Verstandes, des nachfühlenden Herzens und des bewahrenden Gedächtnisses.

Seine Schriftlesung hat der heilige Franziskus auch als „geistliche Kommunion“ im eigentlichen Sinne verstanden. In seiner Notiz im Franziskus-Brevier begründet Bruder Leo die Tatsache, dass sich Franziskus eigens dieses Evangeliar schreiben ließ, „um an dem Tag, da er wegen seiner Krankheit oder einem anderen offensichtlichen Hinderungsgrund die Messe nicht anhören konnte, sich das Evangelium vorlesen zu lassen, das man an diesem Tag in der Kirche während der Messe las“.

Es gab also immer wieder Gründe, die Franziskus daran hinderten, an der Heiligen Messe teilzunehmen, was er ansonsten jeden Tag zu tun versuchte, wie er dies im Brief an die Kleriker zu verstehen gab: „Werden wir nicht über all dies zu gütigem Erbarmen bewegt, da er, der gütige Herr, sich selbst in unseren Händen darbietet und wir ihn berühren und täglich durch unseren Mund empfangen?“ (Kler 8: FQ 122). Haupthinderungsgrund war in späteren Jahren seine eigene Krankheit. Für diese Situation ließ sich Franziskus ein Evangeliar mit den Evangelien der Messe schreiben und seinem Brevier dazubinden. Bruder Leo führt zur näheren Begründung die ureigenen Worte des Poverello selbst an: „Wenn ich die Messe nicht höre, dann bete ich den Leib Christi mit den Augen des Geistes im Gebet an, wie ich ihn anbete, wenn ich ihn in der Messe sehe.“

Franziskus pflegt in Zeiten des Verzichts auf die persönliche Teilnahme an der Eucharistiefeier die Praxis der „eucharistischen Anbetung“ im geschriebenen Wort Gottes, konkret im Evangelienbuch, das er mit seinem Brevier immer bei sich hatte. Auch wenn er den Ausdruck „geistliche Kommunion“ nicht gebraucht, so ist diese hier doch der Sache nach angedeutet. Jedenfalls „ersetzt“ ihm das Hören des Evangeliums – denn aufgrund seiner fast völligen Erblindung konnte er es nicht selbst lesen – das Hören des Messe. In gleicher Weise betet er den wahren Leib Christi an, der in der Messe durch das Wort Christi gegenwärtig gesetzt wird. Dies ermöglichen ihm hier wie dort „die Augen des Geistes“, die Augen des Glaubens, die für jeden geistlichen Empfang des Sakramentes notwendig sind.

 

4. Christus erfüllt Anwesende und Abwesende mit seiner Gegenwart

Im Brief an den Orden (FQ 117) schreibt Franziskus: „Deshalb mahne und ermahne ich im Herrn, dass an den Orten, wo die Brüder weilen, nur eine Messe am Tag gefeiert werde nach dem Ritus der heiligen Kirche. Wenn aber mehrere Priester am Ort sein sollten, so sei der eine aus Liebe zur Liebe mit dem Anhören der Messe eines anderen Priesters zufrieden. Denn der Herr Jesus Christus erfüllt Anwesende und Abwesende, die seiner würdig sind. Wenn er auch an mehreren Orten zu sein scheint, so bleibt er doch unteilbar und kennt keine Verminderungen, sondern als der Eine wirkt er allerorten, wie es ihm gefällt, mit dem Herrn Gott Vater und dem Heiligen Tröster Geiste von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

 

Kommentar

Im „Brief an den Orden“, den Franziskus vornehmlich an die Priester in seinem Orden richtet, geht es hier vor allem um den Verzicht auf die je eigene Messfeier der Priester zugunsten einer einzigen Konventsmesse, die nur von einem Priester gefeiert werde. Aus Liebe zur Liebe Christi, der sich in der Heiligen Messe für alle hingibt, für ihn selbst wie auch für seinen Bruder, der jetzt die Messe zelebriert, soll der einzelne Priester mit dem Hören der Feier der Messe seines Mitbruders zufrieden sein. Seine eigene private Zelebration der Messe ist nicht mehr wert als wenn er aus Liebe der Messe seines Priesterbruders beiwohnt. Man könnte diese Haltung analog zur „geistlichen Kommunion“ als „geistliche Konzelebration“ bezeichnen. Eine liturgische Konzelebration, wie wir sie seit der Liturgie-Erneuerung des Zweiten Vatikanums kennen, gab es damals noch nicht.

Franziskus fügt der Begründung „aus Liebe zur Liebe“ noch eine theologische Begründung hinzu, die allgemein die Realgegenwart Christi im Sakrament der Eucharistie betrifft. Weil Christus in der Feier der Heiligen Messe selbst „anwesend“ ist und dort in göttlicher Freiheit wirkt, wie es ihm allein gefällt, kann er auch die „Anwesenden“ mit seiner realen Gegenwart erfüllen.

Aber nicht nur die leiblich am Gottesdienst Mitfeiernden, sondern auch die Abwesenden, die an der Messe nicht teilnehmen können, erfüllt er mit derselben Gegenwart. Franziskus hat bei den „Abwesenden“ wohl auch an sich selbst gedacht, zumal er aus Krankheitsgründen häufig an der Messe nicht teilnehmen konnte. Diese Abwesenden erfüllt Christus mit jener Gegenwart, die zugleich Realpräsenz im Sakrament und göttliche Allgegenwart in der Welt bedeutet. 

Texte und Kürzel nach: Franziskus-Quellen, hrsg. v. Dieter Berg / Leonhard Lehmann, Kevelaer 2009/14 (= FQ).

Zuletzt aktualisiert: 01. Mai 2020
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