Gesund werden - gesund bleiben

25. Juni 2009 | von



Was ist Gesundheit? Tatsächlich nur die Abwesenheit von Krankheit, oder gehören nicht vielmehr körperliches und seelisches Wohlbefinden dazu? Und wie kann dieser Zustand bewahrt beziehungsweise erreicht werden? Mit diesen Fragen setzen sich die Salutogenese- und Resilenzforschung auseinander und bieten Anregungen, wie möglichst lange eine hohe Lebensqualität erhalten werden kann.


 



 Ein Elternpaar muss den Tod seines Kindes verkraften. Ein 55-Jähriger bekommt von seinem Arbeitgeber plötzlich die Kündigung. Eine junge Mutter erfährt, dass sie an Krebs im fortgeschrittenen Stadium leidet. Viele Menschen sehen sich im Verlauf ihres Lebens mit schwierigen, scheinbar ausweglosen Situationen konfrontiert. Sie bewältigen diese auf höchst unterschiedliche Weise. Manche von ihnen leiden so sehr, dass sie lange Zeit nicht mehr ihr Gleichgewicht finden können oder ganz aus der Bahn geworfen werden. Die Lebensgeschichten obdachloser Menschen beispielsweise erzählen häufig von solchen einschneidenden Ereignissen. Andere entwickeln eine chronische Krankheit, bekommen eine Depression oder eine psychosomatische Erkrankung. Wieder andere jedoch bleiben seelisch und körperlich gesund trotz widriger Lebensbedingungen.



Gesundheitsforscher konzentrierten sich schon lange auf die Frage nach den Ursachen von Krankheit und auf die negativen Folgen von traumatischen Erlebnissen oder schlimmen Kindheitserfahrungen. Warum jedoch gelingt es immer wieder Menschen, trotz extremer Belastungen gesund zu bleiben? Was unterscheidet sie von anderen? Was befähigt sie, selbst den heftigsten Belastungen standzuhalten?



Die Salutogenese- und die Resilenz-Forschung suchen darauf eine Antwort. Sie erkunden jene Faktoren, die es Menschen ermöglichen, lange Zeit gesund zu bleiben und eine hohe Lebensqualität zu erhalten. Aus ihren Forschungsergebnissen lassen sich für den Einzelnen eine Reihe interessanter Anregungen zur persönlichen Gesundheitsförderung ableiten.



Begehrtes gut



Analysiert man über die gesamte Lebensspanne die Bereiche, auf die Menschen ihre Energien vorwiegend richten, so steht die zentrale Bedeutung des Themas Gesundheit rasch fest. Der Erhalt der Gesundheit wird von alten Menschen sogar als eines der wichtigsten Lebensziele überhaupt genannt. Auch ein Blick in Fernsehen, Internet oder Zeitschriften bestätigt dieses Bild: Es fällt ein buntes Angebot von Wellness-Angeboten, Programmen zur Steigerung oder Erhaltung des Wohlbefindens, in allen möglichen Sparten und Preisklassen, ins Auge. Grund genug zu fragen: Was macht Gesundheit aus und welche Bedingungen beeinflussen sie? Ältere Gesundheitsdefinitionen verstehen Gesundheit als die Abwesenheit von Krankheit. Modernere Definitionen dagegen gehen von einem um positive Aspekte erweiterten Gesundheitsbegriff aus. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass zu Gesundheit nicht nur körperliches Wohlbefinden wie etwa relative Freiheit von Beschwerden oder Schmerzen, sondern auch psychisches Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit, Selbstverwirklichung und Sinnfindung gehören.



Auch diese Definition ist nicht ohne Probleme. Deshalb sind zwei Anmerkungen notwendig: Gesundheit ist ein dynamischer Prozess, sie muss also immer wieder neu erreicht beziehungsweise wiederhergestellt werden. Beispielsweise kann es gelten, die verschiedenen Beeinträchtigungen einer Krebstherapie zu bewältigen und das physische und psychische Wohlbefinden wieder zu finden.



Das vollkommene Wohlbefinden ist ein relativer Zustand. So kann sich beispielsweise der Krebspatient zwar wohlfühlen, aber dennoch gewisse Beeinträchtigungen wahrnehmen. Zudem erlebt jede Person eine subjektive Wirklichkeit, das heißt objektiv ähnliche Beeinträchtigungen werden subjektiv durchaus unterschiedlich erlebt und bewertet. Zunächst lässt sich feststellen: Gesundheit ist von vielfältigen Einflüssen abhängig. Zu den wichtigsten zählt neben der biologischen Grundausstattung des Menschen das persönliche Gesundheitsverhalten, etwa das Vorhandensein von Risikofaktoren wie Bewegungsmangel oder Nikotinabusus. Aber auch die Verhältnisse im Gesundheits- und Versorgungssystem – beispielsweise wirken sich angebotene Präventivprogramme positiv aus –, die sozialen und materiellen Ressourcen und biografische Ereignisse wie etwa Traumatisierungen durch Kriegserlebnisse beeinflussen die Gesundheit.



Vielfältige Faktoren



Genauere Aufschlüsse und die Ableitung praktischer Konsequenzen für die persönliche Gesundheitsförderung ermöglicht ein Blick in die Forschung, vor allem auf die Ergebnisse von Aaron Antonovsky und Emmy Werner.



Antonovskys Modell der Salutogenese (lat. salus = Gesundheit, Wohlbefinden; griech. Genesis = Entstehung, Herkunft) geht vom Zustand Gesundheit aus, der durch bestimmte Schutzfaktoren vor dem schädigenden Einfluss belastender psychosozialer Ereignisse bewahrt werden kann. Gesundheit und Krankheit werden dabei nicht als unvereinbare Gegensätze aufgefasst. Der Mensch lebt vielmehr auf einem Kontinuum zwischen den Polen der völligen Gesundheit beziehungsweise ihrer Abwesenheit.



Welche Quellen ermöglichen es einem Menschen, die Widrigkeiten seines Lebens effektiv zu bewältigen und seine Gesundheit zu bewahren oder positiv zu beeinflussen? Zu den vielfach erforschten Faktoren zählen zunächst die generellen Wider-

standsressourcen. Darunter fallen zum einen äußere Ressourcen wie zum Beispiel materielle und soziale Unterstützung, zum anderen zahlreiche innere Ressourcen, etwa die genetische Ausstattung, Ich-Stärke, Einfühlungsvermögen oder Intelligenz.



Entscheidende Bedeutung kommt jedoch einer grundlegenden Lebenseinstellung, dem von Antonovsky so benannten Kohärenzgefühl, zu. Die Einstellung ist geprägt von einem durchdringenden, andauernden, aber auch dynamischen Gefühl des Vertrauens: des Vertrauens darin, dass die Umwelt als verstehbar und erklärbar eingeschätzt wird. Dazu kommen die Fähigkeiten, zukünftige Ereignisse, selbst wenn sie überraschend eintreffen, einzuordnen und zu erklären, und die Anforderungen des Alltags mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen zu bewältigen. Schließlich der Glaube, dass das eigene Leben einen Sinn hat, und sich Anstrengungen und Einsatz auch dann lohnen, wenn es nicht so verläuft, wie erhofft.



Die Frage nach der Sinnhaftigkeit ist dabei entscheidend für die Stärke des Kohärenzgefühls. Mehrere Studien mit Stichproben in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen – zum Beispiel Patienten, Studenten, Rentner –, in verschiedenen Nationen unternommen, konnten einen deutlichen Zusammenhang zwischen dem Kohärenzgefühl und Zeichen psychischer Gesundheit belegen. Männer verfügen über ein höheres Kohärenzgefühl als Frauen, das Kohärenzgefühl in Stichproben mit klinischen Patienten ist niedriger als in den nicht klinischen Stichproben. Mit dem Alter steigt das Kohärenzgefühl übrigens an. Sowohl die Salutogenese- als auch die Resilenzforschung gehen von einem aktiven Menschenbild aus, von einem Menschen, der mit einem natürlichen Potential für Gesundheit ausgestattet ist. Psychische Widerstandsfähigkeit ist keine reine Glückssache oder etwas völlig Außergewöhnliches. Einige Menschen sind allerdings tatsächlich begünstigt: Sie sind es deshalb, weil sie ihre vorhandenen Kapazitäten aus eigener Kraft nutzen und ausschöpfen können.



Andere benötigen dabei Unterstützung.



Entfaltung trotz Enttäuschung



Diese Hilfen sollten möglichst früh einsetzen, um vorbeugend wirken zu können. Bereits in der Grundschule könnten Kinder durch sie lernen, wie sie mit den unvermeidlichen Widrigkeiten des Lebens wie Enttäuschungen, schlechten Noten oder Prüfungsangst fertig werden können. Aber auch Probleme wie häusliche Vernachlässigung, Scheidung der Eltern oder Gewalterfahrungen sollten mit einbezogen werden. Gesundheitsförderung in diesem Sinne zielt auf eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen ab sowie auf eine Stärkung ihrer gesundheitlichen Entfaltungsmöglichkeiten. Es geht darum, Schutzfaktoren und Ressourcen zu fördern, die als Voraussetzung für die Verbesserung der Gesundheit betrachtet werden.



Ressourcen stärken



Welche konkreten Anregungen für die persönliche Gesundheitsförderung lassen sich aus den beschriebenen Forschungsergebnissen ableiten? Die folgenden Ausführungen verstehen sich nicht als Katalog, den es abzuarbeiten gilt. Sie sind vielmehr Impulse, die zum Nachdenken anregen möchten.



Baue soziale Kontakte auf und pflege Freundschaften! Gute, auch in Krisen tragfähige Beziehungen sind von zentraler Bedeutung. Sie stärken das Selbstwertgefühl und vermitteln Unterstützung in schwierigen Lebenssituationen. Dazu gehören auch soziale Kontakte im Rahmen eines Ehrenamtes oder die Teilnahme an kirchlichen Veranstaltungen.



Versuche, die Kraft der Hoffnung zu bewahren! Viele Stress-ereignisse verlieren an Gewicht, wenn der Betroffene die Hoffnung auf eine mögliche positive Veränderung nicht verliert. Die Kraft der Hoffnung hält den Menschen Tag um Tag auf dem Weg und lässt ihn darauf vertrauen, dass ihm das geschenkt werden kann, was er alleine nicht vermag.



Entwickle realistische Ziele! Schmerzen oder Trauer können wichtige Lebensziele oder Wünsche in den Hintergrund treten lassen. Manchmal müssen Ziele auch an die neuen Gegebenheiten angepasst werden. Aber sie sind trotzdem noch da. Verlieren Sie sie nicht aus den Augen und nutzen Sie eine sich bietende Gelegenheit, sie zu verwirklichen.



Werde aktiv! Sich in einer schwierigen Situation anfangs lieber zurückzuziehen, als ihr ins Auge zu blicken, ist eine verständliche Reaktion. Auf Dauer ist es allerdings besser, das Problem zu analysieren: Worin liegt die Herausforderung? Welche Handlungsmöglichkeiten habe ich? Wer aktiv wird, übernimmt selbst die Verantwortung für seine Lebensgestaltung.



Glaube an die eigene Kompetenz! Oftmals gelingt es Menschen, aus schwierigen Situationen zu lernen, sich an ihnen weiterzuentwickeln. Wer fähig ist, dies zu tun, wird aus Krisenzeiten Kraft schöpfen. Kraft für sich und sein weiteres Leben, aber auch Kraft, die für andere zu einem Zeichen der Hoffnung werden kann.



Gehe achtsam mit dir selber um! Gefordert ist hier der sorgsame Umgang mit sich selbst und den eigenen Ressourcen. Das kann auch bedeuten, sich einmal eine Auszeit zu nehmen, um zu trauern, nachzudenken oder auch um neue Energien zu tanken.



Versuche, eine übergeordnete Perspektive einzunehmen! Es ist hilfreich für die Bewältigung gegenwärtiger Widrigkeiten, sie in einem Gesamtzusammenhang zu sehen, sei es in dem des eigenen Lebens oder eines übergeordneten Sinngefüges. Damit verbunden ist auch ein kritisches Hinterfragen der vielen Anreize, die dazu führen, dass man sich allein über Leistung und Konsum definiert.



Begegnung mit Gott



Diese kulturell angebotenen „Sinndeutungsmuster" tragen nicht durch Leid und Krankheit. Sinnerfahrung bedeutet für den Menschen vielmehr ein Zu-sich-selber-kommen in den Kerndimensionen seiner Identität. Diese Erfahrung wird im Wesentlichen nicht vom Menschen selbst hergestellt. Sie erwächst aus Begegnung – etwa zwischen liebenden Menschen oder mit Gott. Solche geglückten Begegnungen, die ihren Sinn in sich selber tragen, sind nicht etwas Machbares im üblichen Sinn. Sinnerfahrung ist etwas, was dem Menschen geschenkt wird. Die letzte Anregung lautet deshalb: Bleibe empfänglich für dieses Geschenk!



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016