Gewinn mit Gewissen
An fast allen Wirtschaftsfakultäten gibt es inzwischen einen Lehrstuhl für das Fach Ethik. Aber wird, was dort gelehrt wird, von der Gesellschaft auch umgesetzt?
Bis zu ihrem vierten Lebensjahr ist Katja mit ihrem Bruder und den Eltern zusammen. Nach der Scheidung leben die Kinder bei der Mutter. Die erkrankt drei Jahre später, was längere Spitalaufenthalte zur Folge hat. Als feststeht, dass die Mutter sich nicht erholen wird, werden beide Kinder in einem Heim untergebracht. Mit dreizehn Jahren kann das Mädchen in die dortige Jugendgruppe übertreten. Der Bruder zieht zur Mutter zurück. Mit sechzehn wird Katja extrem auffällig und hält sich nicht mehr an die vorgegebenen Regeln. Schließlich gibt man ihr eine letzte Chance, indem sie in eine Außenwohngruppe ziehen kann. Ein halbes Jahr später, als Katja zu Hause in den Ferien weilt, wird die Mutter mit ihr nicht mehr fertig. Sie und Katjas Bruder richten das Mädchen mit Schlägen und Fußtritten derart zu, dass sie sich in ärztliche Behandlung begeben muss. Später wird sich herausstellen, dass die Medikamente, welche die Mutter einnehmen musste, bei ihr eine gravierende Persönlichkeitsstörung hervorgerufen haben. Nachdem Katja keinen Kontakt mehr zum Bruder und zur Mutter unterhält, lässt sie sich auf das Regelwerk der Außenwohngruppe ein. Inzwischen hat sie klare Zukunftsperspektiven. Sie möchte den Beruf einer Landschaftsgärtnerin erlernen. Das Mädchen entwickelt Selbstvertrauen und lernt, auf andere Menschen zuzugehen. Allerdings braucht Katja weiterhin einen verlässlichen und emotional stabilen Rahmen, um ihre Ziele verfolgen zu können.
Themen- und Szenenwechsel. Unternehmen schmücken sich gern mit der Bezeichnung Dienstleistungsbetriebe. Die Frage ist nur, was man mit diesem Begriff verbindet. Denken die Leitenden dabei auch an die gesellschaftlichen Erfordernisse – zum Beispiel wenn es darum geht, jungen Menschen eine Startmöglichkeit zu bieten? Welcher Unternehmer, welche Firmeninhaberin würde Katja als Auszubildende einstellen? Ist ein erfolgreicher Abschluss einer Lehre angesichts ihres biografischen Hintergrunds wahrscheinlich? Ist die Gefahr nicht zu groß, dass etwas schief läuft? Dienstleistungsunternehmen, welche bei dem Begriff Dienst nur an die Konsumenten und Konsumentinnen – im Klartext: an die Rendite – denken, werden auf eine Bewerbung abschlägig antworten. Sicher aber gibt es auch welche, die unter Dienst auch den Dienst am Mitmenschen und an der Gesellschaft verstehen – und die ringen sich möglicherweise zu der Erkenntnis durch, dass man der jungen Frau auf jeden Fall eine Chance geben sollte. Das Beispiel zeigt: Wirtschaft hat mit Ethik zu tun. Dass es sich dabei um ein Spannungsfeld und nicht um eine intellektuelle Spielwiese handelt, versteht sich von selbst.
Für Betriebsleitende erhöht sich naturgemäß das Risiko, dass die Sache nicht rund läuft, wenn sie „Problemfällen" eine Chance bieten. Ein solches Wagnis vermeiden all jene, für die nicht der Mensch, sondern einzig und allein der Mammon zählt. Aber ist eine Einstellung, die sich ausschließlich am Gewinn orientiert, also dem menschlichen Faktor grundsätzlich keine Rechnung trägt, nicht unmoralisch?
Markt ohne Moral
Konkurrenzwirtschaft lässt sich ethisch dann befürworten, wenn sie Kooperationsbereitschaft nicht ausschließt. Ausschlaggebend dürfen nicht allein die Kapitalakkumulierung und die Gewinnmaximierung sein, sondern der Wille, einen Beitrag zum Allgemeinwohl zu leisten. Immer häufiger begegnen wir in der Wirtschaft Praktiken, welche zwar nicht direkt kriminell sind, aber doch in einem eklatanten Widerspruch zu den nach allgemeiner Überzeugung (noch) geltenden humanitären Standards stehen. Wenn solche Vorgehensweisen großflächig und öffentlich praktiziert werden, führt das dazu, dass die Wirtschaft selber normenbildend wird – beispielsweise durch das fragwürdige Verhalten von Topmanagern, denen man nicht erst in jüngster Zeit eine gewisse Raffgier nachsagt. Falls die Gesellschaft dies weiterhin akzeptiert, hat der Begriff Materialismus plötzlich keinen negativen Beigeschmack mehr, sondern wird wertneutral verwendet.
Eine Unternehmensphilosophie, bei der ethische Wertvorstellungen überhaupt oder fast keine Rolle mehr spielen, stellt uns vor die Frage, wo die Grenze verläuft zwischen einem verantwortbaren gewinnorientierten Denken und der nackten Gier nach Geld. Dies aber betrifft nicht nur die Unternehmer und Unternehmerinnen, sondern auch die Investierenden. Wenn jemand potentielle Kundinnen und Kunden mit 30 oder 35 Prozent Rendite ködert, stellt sich für diese doch unweigerlich die Frage: Wer bezahlt denn das? Wo endet die Moral? Wo beginnt die Gier? Bei 8,75 oder bei 26,5 Prozent? Ab welcher Höhe sind Gehälter und Gewinne, die von den Banken, Managern und Kapitalhändlern ausbezahlt werden, nicht mehr zu verantworten? Haben Menschen, die waghalsige Transaktionen vornehmen in dem Bewusstsein, dass nach dem Kollaps einer Bank die Allgemeinheit für den Schaden aufkommen muss, noch ein Gewissen? Haben die sich schon einmal überlegt, was man mit dem Geld der Steuerzahlenden realisieren könnte, wenn es nicht zur Stützung der Wirtschaft benötigt würde, um größere Schäden (Entlassungen, Arbeitslosigkeit usw.) zu verhindern? Praktisch bedeutet das doch, dass wir im Sozialismus enden – wobei der Begriff hier natürlich nicht im üblichen Sinn zu verstehen ist: Sozialisiert werden die Verluste, nicht aber die Gewinne! Erst profitierten die Geier, dann wird die Allgemeinheit zur Kasse gebeten.
Robin-Hood-Prinzip
Pioniere wie Bill Gates und andere haben mit ihren Unternehmen Traumgewinne erwirtschaftet. Ist das ein Skandal? Nein, ist es nicht. Zumindest nicht notwendigerweise. Der Skandal hat da seine Wurzeln, wo Gewinn einerseits und Verantwortung für das Allgemeinwohl anderseits nicht mehr gekoppelt sind. Verantwortung steht nicht gegen den Gewinn. Gewinn ist die unabdingbare Voraussetzung für ein erfolgreiches Unternehmen. Aber die Verantwortung kommt vor den Bemühungen um die maximale Rendite! Tatsache ist, dass das Geld inzwischen längst nicht mehr nur Zahlungsmittel, sondern eine Ware ist. Anscheinend ist es einträglicher, mit Devisen, Schulden und Krediten zu handeln, als mit Agrarprodukten oder Industrieerzeugnissen. Das finden zum Glück alle jene verwerflich, die nach wie vor glauben, dass der Sinn der Marktwirtschaft in der optimalen Versorgung der Menschen mit Arbeit und Brot besteht. Wo das nicht mehr das Ziel ist, beginnt die Unmoral. Das Geld wird dann zum Selbstzweck; es wird vermehrt um der Vermehrung willen.
Wenn von Wirtschaftskrisen und deren Folgen geredet wird, stehen in der Regel vorwiegend die Fabrikanten und die Unternehmerinnen in der Kritik – gerade als ob sie allein für bestimmte Entwicklungen verantwortlich wären. Verantwortung tragen aber auch die Konsumenten und Konsumentinnen. Angesichts der Ungleichheit der Güterverteilung neigen manche dazu, das Robin-Hood-Prinzip als geeignete Lösung zu betrachten. In den ältesten schriftlichen Quellen aus der Mitte des 15. Jahrhunderts wird Robin Hood als blutrünstiger Wegelagerer geschildert, der vorzugsweise habgierige Geistliche ausraubt. Später, im 19. und 20. Jahrhundert, wandelt sich die Figur zum Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit, der den Reichen nimmt und den Armen gibt – und als solcher ist er heute bekannt. Nur nebenbei: Die Existenz Robin Hoods als reale historische Gestalt ist nicht belegt. Diese Art von Umverteilung kann nicht die Lösung sein; in letzter Konsequenz würde das auf Terror hinauslaufen.
Erfolgversprechend hingegen scheint das Max-Havelaar-System. Max Havelaar ist der Titel eines 1860 vom niederländischen Autor Eduard Douwes Dekker veröffentlichten Romans. Der handelt von der Karriere des Kolonialbeamten Max Havelaar auf Java in Niederländisch-Indien. Das Buch beinhaltet eine leidenschaftliche Anklage gegen eine inkompetente Kolonialverwaltung, die faktisch nicht kontrolliert werden kann und dementsprechend ausbeuterisch handelt. Die Titelfigur des Romans hat verschiedenen Organisationen, die sich für einen fairen Handel einsetzen, ihren Namen gegeben, so unter anderem der schweizerischen Max-Havelaar-Stiftung.
Gerecht konsumieren
Fairer Handel – damit sind wir bereits wieder mitten drin in der ethischen Diskussion. Und bei den Konsumierenden. Zu einem guten Teil liegt es an ihnen, der Gerechtigkeit im Wirtschaftsbereich auf die Sprünge zu helfen. Immerhin haben sie die Möglichkeit, Firmen zu boykottieren, welche Produkte vertreiben, an denen das Blut und der Schweiß und die Tränen von wehrlosen, ausgebeuteten Menschen, gar von Kindern haften. Ganz so einfach, wie sich das in der Theorie anhört, ist die Sache in der Praxis allerdings auch wieder nicht.
Mein Gewissen sagt mir, dass ich durch den Kauf jeder Tafel Schokolade zum Dieb werde an den ausgebeuteten Erntearbeitern auf den Kakaoplantagen in Brasilien und Ghana, falls der Rohstoff von dort stammt. Wenn ich im Schokoladenland Schweiz zusammen mit einigen Publizisten oder Politikern zum Protest durch Konsumverzicht aufrufe, werden mich meine Freunde – und vor ihnen noch die Gegner – fragen, ob ich vielleicht auch an die damit verbundene Gefährdung der Arbeitsplätze in Afrika und Brasilien und in der Schweiz gedacht habe. Mein Boykott könnte also unter Umständen dazu führen, dass die Situation der Erntearbeiter nicht besser und die Lage der in der Schokoladenindustrie Beschäftigten nur schlechter würde. Das Beispiel zeigt, dass das ethisch berechtigte Anliegen allein nicht genügt, um in Sachfragen mitreden zu können, sondern dass man immer auch die möglichen Folgen in die Beurteilung der Sachlage mit einbeziehen muss. Geschieht dies nicht, kann es leicht vorkommen, dass sich mancher sogenannte prophetische Protest im Nachhinein als engagierte Ignoranz erweist.
Klar ist immerhin, dass Bemühungen um eine Wirtschaftsethik im Sinn der Max-Havelaar-Bewegung nur dann nachhaltig wirken, wenn sie nicht als Alibi-Übung verstanden werden, sondern ernst gemeint sind. Der faire Handel ist eine Strategie zur Armutsbekämpfung. Bauern in Afrika, Lateinamerika und Asien erhalten durch festgelegte Mindestpreise und Fairtrade-Prämien die Möglichkeit, ihre Familien und Dörfer aus eigener Kraft wirtschaftlich zu stärken und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen nachhaltig zu verbessern. Und das ist schon mal ein erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit.
In der Wirtschaft geht es nicht nur ums Wachstum. Es geht immer auch um Menschen – und damit um Moral. Unternehmer und Unternehmerinnen können nur dann glaubwürdig handeln, wenn sie selber ein Lebensziel anstreben, das mehr als das rein Materielle beinhaltet.
Keine faulen Kompromisse!
Auch die von den Dienstleistungsbetrieben Abhängigen haben in dem Maß einen Einfluss auf eine „Ethisierung" der Wirtschaft, als sie sich bei ihrem Konsumverhalten nicht bloß auf die Werbung verlassen, sondern sich darüber informieren, unter welchen Bedingungen die Menschen leben, welche am Herstellungsprozess von Produkten beteiligt sind (Stichwort: Kinderarbeit) oder im Verkauf arbeiten (Stichwort Dumpinggehälter) – und daraus die nötigen Folgerungen ziehen. Ethik und Moral kommen in der Wirtschaft da zum Zug, wo alle, Produzierende und Konsumierende, nicht bloß an sich selber denken, sondern gleichzeitig stets das Allgemeinwohl im Auge behalten. Denn was alle angeht, können nur alle gemeinsam lösen. Wirtschaft ohne Ethik führt in letzter Konsequenz zur Unmenschlichkeit. Ethik ohne wirtschaftliches Denken führt zum Zusammenbruch der Wirtschaft. Manchmal haben wir leider nur die Möglichkeit, zwischen dem kleineren und dem größeren Übel zu wählen. Dabei handelt es sich hoffentlich nicht um faule, sondern um durchlittene Kompromisse.
Ethische Geldanlagen
In seiner ersten Sozialenzyklika „Caritas in veritate" (Juli 2009) prangert Papst Benedikt XVI. die derzeit gängigen Wirtschaftspraktiken als unethisch an und fordert eine globale soziale Marktwirtschaft. Er verurteilt dabei die Ökonomie nicht als menschenfeindlich, sondern betont, dass sie zum Tun des Menschen gehöre und gerade deswegen „nach moralischen Gesichtspunkten strukturiert und institutionalisiert" werden müsse. Unter diesem Aspekt sieht er auch in Geldanlagen nichts Schlechtes an sich. Dabei müssten aber die aus Gerechtigkeit bestehenden Ansprüche gewährt sein und es müsse beachtet werden, wie dieses Kapital entstanden sei und welchen Schaden die Menschen davontrügen, „wenn es nicht an den Orten eingesetzt wird, wo es geschaffen wurde".
Nach den vom Papst geforderten ethischen Grundsätzen arbeiten zwei von katholischen Ordensgemeinschaften unterhaltene Banken, die einzigen Missionsbanken Europas. Wer hier sein Geld anlegt, profitiert nicht nur selbst, sondern zeigt sich darüberhinaus solidarisch mit den Menschen in der Dritten Welt.
„Zinsen mit besserem Gewissen" lautet der Werbeslogan der Bank für Orden und Mission mit Sitz im hessischen
Idstein. Sie entstand 2003 auf die Initative der Missionszentrale der Franziskaner in Bonn hin und verpflichtet sich, sämtliche Geldanlagen nach strengen ethischen Kriterien, die sich am Gedankengut des Franziskanerordens orientieren, vorzunehmen. Definition und Anlagegrundsätze werden von einem unabhängigen ethischen Aufsichtsrat überwacht. Die Bank verzichtet auf Gewinne aus der Geldanlage und lässt diese über den Orden in Projekte zugunsten notleidender Menschen fließen, darunter vor allem Initiativen für Kinder, Trinkwasser- und Brunnenbauprojekte.
Die Steyler Bank wirbt seit 1964 in ganz Deutschland um Privatkunden, die nicht nur auf eigene Rechnung, sondern zugleich für einen guten Zweck sparen wollen. Der Gewinn des Instituts mit Sitz in Sankt Augustin bei Bonn kommt direkt den Steyler Missionaren in aller Welt zugute. Unterstützt werden deren Hilfsprojekte an den Brennpunkten der Welt. Die Kundeneinlagen werden unter den Gesichtspunkten der Sicherheit, Liquidität, Rendite sowie der Natur-, Sozial- und Kulturverträglichkeit angelegt. Viele Kunden der Bank verzichten freiwillig auf einen Teil der Zinsen, um die Hilfe zu unterstützen. Kardinal Karl Lehmann bezeichnete die Steyler Bank als „Exot und Stachel zugleich in einer Bankenwelt, in der oft die Rendite über allem steht. Sie zeigt, dass Christen auch anders handeln können."
Für weitere Informationen:
Steyler Bank
Arnold-Janssen-Straße 22
53757 Sankt Augustin
Tel.: 02241/12050
Bank für Orden und Mission
Wiesbadener Straße 16
65510 Idstein
Tel.: 01803/111155-0