Glück auf, Bischof Franz

02. August 2010 | von

 Über einhundert Mal ist er in die Bergwerke des Ruhrgebiets eingefahren, doch Bergmann war er nicht. Kohle hat er selbst nicht abgebaut, doch das „schwarze Gold" begleitete ihn an seinem Ring auf jeden Weg. Stets wurde er „Kumpel" genannt, doch sein Beruf war ein anderer: Bischof, genauer gesagt „Ruhrbischof". Ein Ehrentitel, den Kardinal Franz Hengsbach, der erste Oberhirte des Bistums Essen, stolz trug. Am 10. September wäre er hundert Jahre alt geworden.



Geboren wurde Franz Hengsbach im sauerländischen Velmede als erstes von acht Kindern. Nach der Schule trat er in das Erzbischöfliche Theologenkonvikt Paderborn ein, studierte dort und in Freiburg Theologie und Philosophie, empfing 1937 im Paderborner Dom die Priesterweihe, sammelte als Kaplan in Herne seine ersten Erfahrungen mit den Menschen des Ruhrgebiets und promovierte an der Universität Münster. Sehr früh schon setzte sich Hengsbach für die Laien ein und wurde Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und war in dieser Funktion verantwortlich für die Vorbereitung der Katholikentage. Er organisierte 1949 auch den in Bochum, der als ein Meilenstein in der christlich-sozialen Bewegung gilt. Prägnant war schon der Titel: Gerechtigkeit schafft Frieden. Während seiner zehnjährigen Tätigkeit als Leiter des Seelsorgeamtes Paderborn wurde Hengsbach 1953 zum Weihbischof von Paderborn ernannt. In seinem Bischofsring, der die Verbindung des Oberhirten mit seinen Gläubigen ausdrückt, und dessen Gold in der Regel einen Edelstein fasst, verzichtete Hengsbach allerdings auf einen solch wertvollen Stein und wählte stattdessen ein Stück Kohle aus dem Schacht Hannover-Hannibal in Bochum.



Die erste Schicht



Um dem Ruhrgebiet eine kirchliche Einheit zu geben, gründete Papst Pius XII. zum 1. Januar 1958 aus Gebieten der (Erz-) Diözesen Paderborn, Köln und Münster das Bistum Essen und ernannte als seinen ersten Bischof Dr. Franz Hengsbach. „Das Bistum ist errichtet! Ich bin jetzt vor Ort gegangen. In Gottes Namen wollen wir die erste Schicht verfahren", so freundete er sich bereits bei seiner Amtseinführung mit den Menschen an Rhein und Ruhr an. Und „vor Ort", im Revier, blieb er über 30 Jahre. Vor Ort an der Spitze des Ruhrbistums, vor Ort bei den ersten Zechenschließungen, vor Ort bei der Stahlkrise. Das Volk mit all seinen drohenden Nöten fühlte sich verstanden. Norbert Blüm, damaliger Arbeitsminister, wird 1991 im Anschluss an das Requiem für Hengsbach sagen: „Die Sprache von Franz Kardinal Hengsbach war nicht von einer verzückten Erbaulichkeit gekennzeichnet, sie war auch nicht soziologisch verklausuliert. Seine Sprache war auf Verständlichkeit ausgerichtet. Er wusste: Wer die Menschen erreichen will, muss ihre Sprache sprechen. … Er hat die Menschen geliebt. Er war Seelsorger und Leibsorger." Er war eben ihr „Ruhrbischof". Ein sozialer Bischof, der sich für die Belange seiner „Herde" einsetzte und sich öffentlich zu Arbeitslosigkeit, Zechenschließungen und anderen sozialen Fragen äußerte. Nicht umsonst wird ihm der Satz zugeschrieben: „Die Kirche darf kein stummer Hund sein, wenn es um die Rechte des Menschen geht."



Nah am Menschen



Doch auch über sein Bistum hinaus trat Hengsbach als engagierter Kirchenmann auf. 1961 war er Mitbegründer und erster Vorsitzender der „Bischöflichen Aktion Adveniat", dem Solidaritätswerk mit der Kirche Lateinamerikas. Er bereiste die dortigen Regionen und sorgte sich stets angesichts der pastoralen Not. Die Zahl seiner Auszeichnungen in den folgenden Jahren, unter denen das Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband nur eine ist, wuchs mit den Aufgaben im Revier, in der deutschen Bischofskonferenz, in römischen Kongregationen, Kommissionen und Räten und in der Welt. Die Erhebung in den Kardinalsstand 1988 erkannte der damals 77-Jährige weniger als persönliche Wertschätzung an, sondern sah darin eher eine Ermutigung und Stärkung seiner Herde. In der Predigt zu Hengsbachs 80. Geburtstag – das fünf Jahre zuvor eingereichte Rücktrittsgesuch war vom Papst immer noch nicht angenommen worden – hob Kardinal Joseph Ratzinger hervor: „So hat er in diesen mehr als 30 Jahren, in denen er hier als Hirte Verantwortung trug, immer wieder sich um die Menschen gemüht, sie in den Gegensätzen zueinander geführt, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, Wehrdienstleistende, Zivildienstleistende und viele andere in der Gemeinschaft ihrer einen Verantwortung unter das eine Maß Jesu Christi gestellt … Die Sorge um den Menschen, so scheint es mir, hat ihn jung gehalten." Und Bischof Karl Lehmann fasste beim Requiem für den am 24. Juni 1991 verstorbenen Hengsbach zusammen: „Der Essener Bischof … wusste um die Vielfalt und den Spannungsreichtum der Aufgaben in der Kirche. So hat er viele Felder bestellt: Verkündigung und Seelsorge, Bildung und Erziehung, Mission und Entwicklung, Arbeitswelt und Dienst am Frieden, Sorge für Ausländer und Aussiedler. Er wusste um die Dringlichkeit geistlicher Berufe für die Kirche, aber er schätzte auch die Nähe von Kirche, Sportplatz und Vereinshaus für die Arbeiterpfarrei im Ruhrgebiet."



Beigesetzt wurde Kardinal Franz Hengsbach in der Westkrypta der Essener Münsterkirche, der heutigen Adveniatkrypta.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016