Gnadenlos und leidenschaftlich

28. Juni 2013 | von

Mit großen Gefühlen, leidenschaftlichen Sujets und politischen Statements fasziniert und entsetzt Eugène Delacroix sein Publikum noch 150 Jahre nach seinem Tod. Seine lebhafte Vorstellungskraft und der dynamische Einsatz der Farbe inspiriert die Impressionisten. Der Romantiker und Individualist gilt als bedeutendster französischer Maler.



Eugène Delacroix hat Werke geschaffen, die nachfolgenden Künstlergenerationen zum Vorbild dienten und spätere Wegbereiter der Moderne inspirierten. Zum führenden Maler der Romantik erheben ihn die Kritiker schon zu Lebzeiten. Er selbst weist solche Titulierung stets von sich, bleibt unbequem und provokativ.

Geboren wurde Ferdinand Victor Eugène Delacroix in Charenton-Saint-Maurice am 26. April 1798 als viertes Kind von Charles Delacroix, Außenminister der Revolutionsregierung, und seiner Ehefrau Victoire. Hartnäckig halten sich Gerüchte, sein wahrer Vater wäre der Staatsmann Charles Maurice de Talleyrand. Der Onkel und Maler Henri-François Riesener entdeckt das Talent des Neffen, der bereits 1816 den Sprung auf die École des Beaux-Arts in Paris macht. Seine künstlerische Karriere beginnt 1822 mit dem aufsehenerregenden Gemälde Die Dante-Barke, das er im Pariser Salon ausstellt: Von „dilettantisch“ bis „genial“ lautet das Urteil der Kritiker.


HEILSGESCHICHTE PROFAN VERWEBT

„Der letzte der großen Künstler der Renaissance und der erste der Moderne“, so beschreibt ihn der Schriftsteller Charles Baudelaire. Gemeint ist das Genie des Malers, die Bewunderung der alten Meister wie Michelangelo in moderne Bildwerke zu verwandeln. Dass Delacroix sehr gebildet ist, demonstriert er nicht zuletzt in der ausgeprägten Begeisterung für literarische Stoffe. Werke von Shakespeare, Dante, Goethe übersetzt er in seine Bildersprache.

Zu seinen vielschichtigen Themen gehört auch die kreative Verarbeitung biblischer Inhalte. In Tasso im Irrenhaus (1824) zeigt Delacroix den Renaissance-Dichter in einer dunklen Zelle. Im Irrenhaus in Sant’Anna in Ferrara musste Torquato Tasso (1544-1595) mehrere Jahre seines Lebens absitzen. Der Dichter sitzt rechts im Bild, hat den Kopf versonnen auf die rechte Faust gestützt. Die übrigen Insassen scheint er gar nicht zu bemerken. Links hinter ihm lehnt sich eine düstere Gestalt nach vorne und ruft ihm etwas zu, das wiederum von einem zweiten hämisch grinsend kommentiert wird. Daneben erhebt ein Wärter die Hand zum Schlag.

Hinter der Darstellung verbirgt sich kunsthistorische Bildung. Die an die Wange gelegte Hand entspricht im Spätmittelalter dem Bildtypus „Christus im Elend“, auf den der Maler hier referiert. Einsam und traurig sinnt Jesus über die Sünden der Menschheit, während sich schon die Spötter zur Geißelung aufgereiht haben. Auf geschickte Weise verwebt Delacroix Heilsgeschichte mit profaner Historie, setzt den Dichter in Bezug zur Person Christi und seinem Leiden. Stilistisch ist das Werk weit entfernt vom mittelalterlichen Andachtsbild; was den Romantiker hier interessiert, ist dessen Funktion, die compassio. Der Betrachter soll sich in das tragische Schicksal einfühlen.



EXZESSIV UND REVOLUTIONÄR

Seelenzustände zeigen, das Innere des Menschen sichtbar machen, danach sucht Delacroix und wendet sich, wie viele seiner Malerkollegen, gegen die traditionelle Lehre der Akademie. Der Fokus liegt auf der Artikulation der Wahrheit, egal wie „hässlich“ sie sich präsentiert. In Das Massaker von Chios (1824) thematisiert er tatsächliches Leiden. Der Künstler imaginiert ungeschönt eine Szene aus dem griechischen Unabhängigkeitskrieg, bei dem 20.000 Zivilisten 1822 den Truppen der Osmanen zum Opfer fielen. Dynamisch und farbintensiv. Der Betrachter wird zum Gaffer. Er ist gezwungen, den Gefangenen ins Auge zu blicken, deren Hinrichtung unmittelbar bevorsteht. Die Gemüter der Pariser Kunstszene kochen, von einem „Massaker der Malerei“ spricht der Künstler Antoine-Jean Gros. Doch Delacroix treibt es drei Jahre später unbeirrt auf die Spitze: Ein Exzess in jeder Hinsicht ist sein Werk Der Tod des Sardanapal (1827-28). Nun ist er zu weit gegangen, sofort werden ihm alle staatlichen Aufträge bis auf weiteres entzogen. Lange hält das Embargo aber nicht. Die Freiheit führt das Volk (1830) ist sicher das bekannteste seiner Werke und bringt ihm die öffentliche Gunst zurück.



LICHT UND FARBE AFRIKAS

1833 ermöglichen ihm einflussreiche Freunde eine Afrikareise, die zur immerwährenden Motivquelle wird. In hunderten Skizzen und Notizen hält er die orientalische Kultur fest. Zutiefst beeindruckt von Marokkos farbiger Kultur, stellt er neue Fragen an die Bedeutung des Lichts für die Malerei. Ausgezeichnet mit der Grand Médaille d’Honneur, ernannt zum Kommandeur der Ehrenlegion und Mitglied der École des Beaux-Arts, verstirbt der wohl bedeutendste französische Maler an einem chronischen Kehlkopfleiden am 13. August 1863 in Paris.






Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016