Gottesdienstverbot und Sonntagspflicht?!
Um die Ausbreitung der Corona-Pandemie zu verlangsamen, durften schon im Februar in der Antonius-Basilika keine Gottesdienste mehr gefeiert werden. Andere Länder zogen nach. Unser Kirchenrechtler verbindet das Gottesdienstverbot mit der Frage nach der Sonntagspflicht.
Im vergangenen März war es so weit: In Deutschland und in Österreich sind alle öffentlichen Gottesdienste verboten worden. Kein Gottesdienst durfte mehr mit der Beteiligung von Gläubigen gefeiert werden. Aber genau das macht ja das Verständnis des Gottesdienstes aus – ganz besonders auch der heiligen Messe – wie es vom II. Vatikanischen Konzil in Nr. 26 der Konstitution über die heilige Liturgie formuliert worden war: „Die liturgischen Handlungen sind nicht privater Natur, sondern Feiern der Kirche, die das ‚Sakrament der Einheit‘ ist; … Daher gehen diese Feiern den ganzen mystischen Leib der Kirche an, machen ihn sichtbar und wirken auf ihn ein; seine einzelnen Glieder aber kommen mit ihnen in verschiedener Weise in Berührung je nach der Verschiedenheit von Stand, Aufgabe und tätiger Teilnahme.“ Die „tätige Teilnahme“ aller Gläubigen an der Feier der Liturgie, insbesondere an der Feier der heiligen Messe, ist – ausgehend vom Konzil – zum Programmwort der ganzen liturgischen Erneuerung geworden. Die sogenannte „private Feier“ der Messe, also die Zelebration eines Priesters ohne die Teilnahme von Gläubigen, widerspricht dem Grundgedanken von der eucharistischen Versammlung, in der die Einheit des Volkes Gottes erfahrbar und der Aufbau des Leibes Christi vollendet wird (vgl. c. 897 CIC; CIC = Gesetzbuch der Lateinischen Kirche). Daher bestimmt c. 906 CIC: „Ohne gerechten und vernünftigen Grund darf der Priester das eucharistische Opfer nicht ohne die Teilnahme wenigstens irgendeines Gläubigen feiern.“ Das ist aber im Moment eher die Regel denn die Ausnahme – angefangen von Papst Franziskus bis zum Pfarrer im Dorf. Aber dazu noch später.
Verbot von Zusammenkünften
Zunächst einmal ist klar: Das Verbot, öffentliche Gottesdienste zu feiern, ist von Seiten der zuständigen Regierungen erlassen worden. Es betrifft alle Religionsgemeinschaften. Das machte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Pressekonferenz am 16.03.2020 ganz deutlich, indem sie sagte: „Zu verbieten sind … zusätzlich Zusammenkünfte in Kirchen, Moscheen, Syna-gogen und die Zusammenkünfte anderer Glaubensgemeinschaften.“ Die in unseren Ohren etwas merkwürdig klingende Rede von „Zusammenkünften“ dürfte zwei Gründe haben: Zum einen betrifft das Verbot alle Kirchen und Religionsgemeinschaften; der Begriff „Gottesdienst“ wäre nicht für alle Gemeinschaften angemessen. Zum anderen geht es den Regierungen nicht darum, die Religionsfreiheit der Bürgerinnen und Bürger einzuschränken, sondern sie sehen sich angesichts der explosionsartigen Ausbreitung des Corona-Virus dazu gezwungen, wirksame Gegenmaßnahmen zu ergreifen. So betont die Bundeskanzlerin in der genannten Pressekonferenz: „Dabei leitet uns das, was uns von der Wissenschaft immer wieder gesagt wird, dass nämlich die wirksamste Maßnahme, um die Ausbreitung dieser Infektion zu verringern, die Erhöhung der Distanz, des Abstandes ist, also das Verringern sozialer Kontakte.“ Und das wirkt sich notgedrungen auch auf das kirchliche Leben einschließlich der Gottesdienste aus.
Kirche als Gemeinschaft
Das alles beeinträchtigt natürlich nicht nur unsere Möglichkeiten, Reisen zu unternehmen, andere zu besuchen, zu feiern und gemeinsam etwas zu unternehmen. Das beeinträchtigt auch ganz entschieden das religiöse Leben, denn Glaube ist – so können und müssen wir insbesondere aus katholischer Sicht betonen – nicht nur eine Angelegenheit, die der einzelne Gläubige mit dem lieben Gott auszumachen hätte, sondern der Glaube hat immer mit der Gemeinschaft der Kirche zu tun. So stellt das Konzil in Nr. 9 der dogmatischen Konstitution über die Kirche fest: „Gott hat es aber gefallen, die Menschen nicht einzeln, unabhängig von aller wechselseitigen Verbindung, zu heiligen und zu retten, sondern sie zu einem Volke zu machen, das ihn in Wahrheit anerkennen und ihm in Heiligkeit dienen soll.“
Kirche als Gemeinschaft, das ist der Hintergrund für das sogenannte Sonntagsgebot des c. 1247 CIC: „Am Sonntag und an den anderen gebotenen Feiertagen sind die Gläubigen zur Teilnahme an der Messfeier verpflichtet; sie haben sich darüber hinaus jener Werke und Tätigkeiten zu enthalten, die den Gottesdienst, die dem Sonntag eigene Freude oder die Geist und Körper geschuldete Erholung hindern.“ Das Sonntagsgebot ist eine Konkretisierung der grundlegenden Verpflichtung aller Gläubigen, die gemäß c. 209 § 1 CIC in ihrem eigenen Verhalten immer die Gemeinschaft mit der Kirche wahren müssen. Wer die Sonntagsmesse mitfeiert, baut mit an der Gemeinschaft der Kirche. Wer ohne Grund der sonntäglichen Messe fernbleibt, der trägt dazu bei, dass diese Gemeinschaft immer schwächer wird.
Und das Sonntagsgebot?
Wie soll man aber in diesen Zeiten, in denen es keine Gottesdienste gibt, der Verpflichtung dieses Kirchengebotes nachkommen können? Diese Frage kann zu einem Gewissensproblem werden. Deshalb ist es gut, dass viele Bischöfe, oft schon ein paar Tage vor dem Gottesdienstverbot seitens der Regierung, den Gläubigen eine Dispens vom Sonntagsgebot erteilt haben. Dispens bedeutet, dass die Gläubigen nicht verpflichtet sind, das nach wie vor geltende Sonntagsgebot zu beachten. Sie sind von der Sonntagspflicht, die auch für alle kirchlichen Feiertage gilt, freigestellt. In der Konsequenz bedeutet das, dass der klassische Punkt aus dem Beichtspiegel „Ich habe am Sonntag und/oder an gebotenen Feiertagen schuldhaft die heilige Messe versäumt“ beim Sündenbekenntnis in der Beichte erst mal guten Gewissens entfallen kann, denn was einem Gläubigen unmöglich ist, das muss er nicht halten und beachten. Das gilt eben in diesen Wochen auch für die aktive und lebendige Mitfeier der heiligen Messe.
Alternativen geben Zeugnis
Wenn es beim Sonntagsgebot aber nicht nur um den einzelnen Gläubigen und den lieben Gott geht und um die Erfüllung einer religiösen Pflicht ihm gegenüber, sondern um die lebendige Erfahrung der Gemeinschaft der Kirche, dann stellt sich trotzdem die Frage, wie man dem Sinn des Sonntagsgebots auch in solchen Zeiten gerecht werden kann, in denen die Mitfeier einer heiligen Messe unmöglich ist. Damit komme ich nochmal auf den oben angesprochenen Punkt zurück: Vom Papst angefangen über die Bischöfe bis zu den einzelnen Pfarrern wird auch in diesen Wochen regelmäßig die heilige Messe gefeiert – allerdings ohne direkte Beteiligung von Gläubigen. Auf Homepages der Diözesen, von Pfarreiengemeinschaften, Pastoralen Räumen und einzelnen Pfarreien werden solche Messen zu regelmäßigen Zeiten per Internet übertragen, so dass man auf diese Weise mitfeiern kann – ähnlich wie bei einem Fernseh- oder Rundfunkgottesdienst. Eine andere Möglichkeit ist, dass man sich mit Bekannten und Freunden per Telefon zu einer gemeinsamen Gebetszeit verabredet: Jeder betet zu Hause, und doch entsteht so eine große Gemeinschaft des Gebets. Aus Italien wird berichtet, dass in vielen Orten die Leute zu bestimmten Zeiten auf den Balkon oder ans Fenster treten, um gemeinsam zu singen. So zeigen sie sich und erfahren es auch ganz intensiv: Du bist nicht allein! Mit einer Verabredung zum Gebet kann man ebenfalls erfahren und erfahrbar machen, dass niemand allein gelassen ist. Und wenn dann zum Gebet auch noch eine Nachbarschaftshilfe dazukommt, dann wird das Zeugnis der christlichen Gemeinschaft umso stärker.