Hab von Stigmen nix g’wusst

01. Januar 1900 | von

Im Nordosten des Freistaates Bayern liegt die Oberpfalz. Bedeckt von weiten Waldgebieten, durchzogen von Feldern und Wiesen, erfrischend belebt durch zahlreiche Weiher und geprägt von einem rauhen, aber kräftigen Klima, bietet dieser Bezirk seit vielen Jahrhunderten Menschen eine Heimat, denen harte Arbeit, Entbehrung und Mühen um den Lebensunterhalt zur täglichen Selbstverständlichkeit gehören. Der Oberpfälzer ist von seiner Landschaft geprägt. Er macht nicht viele Worte. Seine Sprache ist schlicht und karg wie die Heimat, in der er verwurzelt ist. Aber hinter seiner äusseren rauhen Schale verbergen sich ein grundehrlicher Charakter, wacher Verstand und hilfsbereite Herzlichkeit.

Oberpfälzer Kind. Im Norden der Oberpfalz, in der Nähe des Städtchens Waldsassen, liegt Konnersreuth. Dort wurde in der Nacht vom Karfreitag auf Karsamstag des Jahres 1898 als erstes von elf Kindern der Schneiders-Eheleute Neumann das Mädchen Therese geboren. Sie entwickelte sich zu einem intelligenten, fleißigen und frommen Kind. Frühzeitig lernte sie Einfachheit und Sparsamkeit kennen. In der Fastenzeit des Jahres 1926 fing es an, dass Therese plötzlich in die mystische Schau und das Miterleben des Leidens Christi hineingezogen wurde. Diese Visionen erstreckten sich in der Folgezeit auch auf andere Ereignisse in der Geschichte der Kirche.
Theres von Konnersreuth war mir schon als kleiner Bub ein vertrauter Begriff. Erzählte mir doch meine Mutter öfter von der Resl, die im nahen Konnersreuth lebte und von der die Leute mit Staunen und Vertrauen sprachen. Eines Tages besuchten meine Mutter und meine Tante das Kloster in Waldsassen. Meine Tante war dort in die Mädchenschule gegangen. Abends erzählte meine Mutter begeistert: Stell dir vor, wir waren auch in Konnersreuth, sind dort der Resl begegnet und haben ihr sogar die Hand gegeben.

Fasziniert von der Resl. Viele Fragen bewegten schon damals mein Herz. Jahre waren ins Land gegangen. Dr. Johannes Steiner, ein Augenzeuge der Geschehnisse in Konnersreuth, hatte gerade zwei Bücher veröffentlicht. Ich las seine Berichte mit wachsender Faszination und Ergriffenheit. Ich schrieb ihm und fragte: Sagen Sie mir ehrlich: Entspricht es der Wahrheit, was Sie schreiben? Seine Antwort bewahre ich heute noch auf. Ich darf Sie versichern, dass Sie nicht irren, wenn Sie größte Bemühung um Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit meiner Aufzeichnungen voraussetzen. Er legte mir auch ein Gebetbildchen bei. Resl hatte mit Tinte und Feder eigenhändig darauf geschrieben: Im hl. Gebete vereint! Theres Neumann.
Von da an begann ich, über Mystik, Stigmatisation, Visionen und aussersinnliche Wahrnehmungen nachzudenken. Ich schrieb über das Geschehen in Konnersreuth in meinem Buch Die Berge werden erbeben. Schließlich machte ich auch noch brieflich Bekanntschaft mit Resls Bruder Ferdinand Neumann. Auf seinem Sterbebild steht die dringende Bitte seiner Schwester, täglich für die Verstorbenen zu beten. Bevor ich diesen Beitrag schrieb, führte ich in Reundorf ein Gespräch mit Marie-Theres Neumann, der Nichte der Resl. Von ihr erhielt ich Fotos und wertvolle Unterlagen. Es gäbe vieles über das Leben und Leiden der Resl zu berichten. Ich beschränke mich auf das Ereignis ihrer Stigmatisierung am 4. März vor 75 Jahren.

Wunderbare Heilung. Nach ihrer Schulentlassung wollte Therese zunächst Missionskrankenschwester werden. Aber es kam alles anders. Kurz vor ihrem 20. Geburtstag verriss es ihr während Löscharbeiten bei einem Brand so unglücklich das Rückgrat, dass sie gelähmt war. Ein Jahr später kam völlige Erblindung hinzu. Sieben lange Jahre ertrug sie geduldig dieses harte Leiden. Am Tage der Seligsprechung der Schwester Theresia vom Kinde Jesus (29. April 1923) setzten völlig überraschend Heilungen ein. Therese konnte wieder sehen und zwei Jahre später, am Tag der Heiligsprechung der Theresia vom Kinde Jesus (17. Mai 1925), auch wieder gehen. Zu dieser erstaunlichen Wende in ihrem Leben kam bald ein Phänomen hinzu, das bis auf den heutigen Tag weltweit unzählige Menschen bewegt. Ab September 1927 bis zu ihrem Lebensende 1962, also 35 Jahre lang, lebte sie ohne Speise und Trank. Ihre einzige Nahrung wurde die tägliche heilige Kommunion.

Vision der Passion. In der Nacht vom Donnerstag, dem 4. März 1926, auf den darauf folgenden Freitag begann die Stigmatisation. Dr. Gerlich schreibt hierzu: Therese lag bei großer Schwäche wach in ihrem Bette. Sie dachte an nichts Besonderes, ja, sie wusste nicht einmal, dass es Donnerstag war. Da hatte sie plötzlich eine geschichtliche Schauung. Sie sah Christus im Garten am Ölberg knien. Sie sah auch die schlafenden drei Jünger, aber nicht den Engel, der Christus erschien. Zur gleichen Zeit, als sie Christus erblickte, fühlte sie plötzlich auf der linken Seite am Herzen einen Schmerz von solcher Stärke, dass sie meinte, sie müsse sterben. Gleichzeitig begann ihr aus derselben Stelle heiß Blut herunter zu rinnen.

An den nächsten beiden Freitagen wiederholte sich die mystische Schau und dehnte sich auf Geißelung und Dornenkrönung aus. Am 'Schmerzhaften Freitag' sah sie auch noch Kreuztragung und Sturz.

Wundmale Christi. Die Herzwunde blutete. Es brachen dann zuerst auf dem linken Handrücken, dann auf der anderen Hand und an den Füßen Stigmen auf. In der Nacht vom Gründonnerstag auf Karfreitag 1926 (1. bis 2. April 1926) um Mitternacht begannen erstmals die Schauungen des Leidensweges Christi vom Gang zum Garten am Ölberg bis zum Kreuzestod. Sie dauerten bis nachmittags 3 Uhr. Auf den Ortspfarrer Naber machte sie den Eindruck einer schwer Leidenden. Er brachte daher nachmittags das Krankenöl mit, denn er befürchtete ihren baldigen Tod. Als ich sie (Therese) am Karfreitag nach dem Mittagstisch mit noch einem Geistlichen besuchte, berichtet er, lag sie da wie ein Marterbild, die Augen von Blut ganz verklebt, zwei Streifen Blut über den Wangen, fahl wie eine Sterbende. Bis um 3 Uhr, der Todesstunde des Heilands, rang sie in furchtbaren Todesqualen.

Für den Arzt unerklärlich. Nach dem Karfreitag blieben die fünf Wunden noch vierzehn Tage offen. Es musste ein Verband angelegt werden. Die Wunden waren am äußeren Rand erhöht, im Innern ein wenig vertieft. Sie hatten die Farbe frischen Blutes. Dr. Seidl aus Waldsassen stellte fest, dass die Seitenwunde einen Durchmesser von etwa drei und ein Drittel Zentimeter hatte und sagte, dass ihm Ähnliches in seiner langjährigen ärztlichen Praxis noch nicht vorgekommen sei. Dr. Gerlich gibt ein persönliches Gespräch mit Therese zu Protokoll, ein Beweis dafür, dass autosuggestive Ursachen bei der Stigmatisation ausscheiden. Er berichtet: Sie habe gedacht, was jetzt dies wohl sei und sein solle. Wenn dies bekannt werde, wenn es jemand sehe und dann auch die Seitenwunde bekannt werde, ja wenn sie sogar sagen müsse, sie habe den Heiland am Ölberg gesehen, so würden die Leute sagen, sie spinne. Resl wörtlich: Denkens mal, Herr Doktor, Sie stehen morgens auf und haben Löcher in den Händen, wie Ihnen dann zumut ist. Ich hab' denkt, weil i's in der Seiten kriegt hab, wie ich den Heiland am Ölberg g'sehen hab, werden die Wunden damit zusammenhängen. Hab aber nicht gewusst, was das ist. Hab von Stigmen nix g'wusst und g'hofft, es werd' vorübergehn, wie die Aufliege-Wunden am Rücken.
Stigmen, Karfreitagsleiden und Visionen biblischer Ereignisse sind Therese Neumann bis an ihr Lebensende verblieben. Alljährlich in der Karwoche strömten von weit und breit Menschen nach Konnersreuth, um die Leidens-Ekstase mitzuerleben. Am 18. September 1962 starb Therese Neumann.

Vertiefung des Glaubens. Durch umfangreiche Lektüre, Gespräche und Nachdenken habe ich mich intensiv mit dem Leben, der Stigmatisierung und vor allem den Visionen von Therese Neumann beschäftigt. Die einzelnen Inhalte der Visionen und der Zeit und Raum überbrückende Echtheitsgehalt der darin sichtbar gewordenen religiös-historischen Inhalte wurden mit kritischer Distanz angegangen. Heute versichere ich: Wer sich ohne Vorbehalte damit beschäftigt, lässt eine ganze Menge Zweifel und Verunsicherung hinter sich, welche manche theologischen Entmythologisierungs-Diskussionen über das heutige religiöse Denken und Fühlen vieler Menschen gebracht haben. Ich fand weder im Geschehen der Stigmatisation noch in ihren Visionen etwas, das im Widerspruch zur heiligen Schrift oder zur authentischen Lehre der Kirche stünde. Das Leben der Resl war schlicht, fromm und in ihrer Opferbereitschaft in hohem Grad von der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen geprägt. Durch all dies fühle ich mich in meinem katholischen Glauben voll bestätigt. Ungezählten Menschen bedeutet dieselbe Erfahrung ein unschätzbarer Segen, der vom Geschehen in Konnersreuth bis in unsere Gegenwart hereinwirkt.

Informationen zu Therese Neumann: Marie-Theres Neumann, Am Bahnhof 2, 96158 Reundorf
(Fax: 09502/921509), E-Mail: Marie-Theres.Neumann@t-online.de

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016