Haus Gottes unter den Menschen

01. Januar 1900 | von

Wo wohnt Gott? So fragen Kinder manchmal mit ehrlicher Neugier, wenn sie versuchen, sich ein Bild von dem zu machen, der unser Leben geschaffen hat und in seinen Händen hält.
Wo wohnt Gott? Erwachsene lächeln vielleicht über die Frage, ihre Direktheit, ihre kindliche Naivität. Aber der Antwortversuch fällt oft ebenso stammelnd wie unzulänglich aus und greift entweder zurück auf das Bild des Himmels oder sucht sein Heil eher im Abstrakten: „Überall und Nirgends. Manchmal lautet die Antwort auch so: Gott wohnt in seinem Haus, in der Kirche, im Gotteshaus halt.
Eine scheinbar einfache und gelungene Antwort für Kinder - ist sie doch konkret und anschaulich und spiegelt zugleich auch die Erfahrung der Menschen mit sakralen Räumen wider, in denen sie Gott begegnen.

Gott domestiziert? Dennoch, die Kirche als Zuhause Gottes zu bezeichnen, das ist eine Antwort, die gerade in ihrer Selbstverständlichkeit so ihre Gefahren in sich birgt. Werden die Menschen nicht allzu schnell damit als Besucher Gottes definiert, die mehr oder weniger häufig und lange auf Stippvisite beim Allmächtigen sind und deren alltägliches Leben kaum mehr Berührungspunkte mit dem Göttlichen hat? Und umgekehrt, welches Bild von Gott spricht aus so einer Redeweise? Legen wir ihn nicht fest auf einen Ort, so als könnten wir ihn dort - ohne weitere Anstrengung - haben oder ihn so auch - nicht weniger gefährlich - dorthin verbannen? Seinen Anspruch an uns reduzieren auf festgelegte Zeiten und Räume?
Eine durchaus nicht nur „moderne Versuchung, werfen doch schon die alttestamentlichen Propheten sie ihren Zeitgenossen vor. Was soll ich mit euren vielen Schlachtopfern? ... Eure Neumondfeste und Feiertage sind mir in der Seele verhasst... Wenn ihr eure Hände ausbreitet, verhülle ich meine Augen vor euch. Wenn ihr auch noch so viel betet, ich höre es nicht. ( Jes 1)
Ein domestizierter Gott, „gezähmt für den frommen Gebrauch, der mich im Übrigen dann in Ruhe lässt - das war und ist wohl die Gefahr, wenn ich Gott ein „Zuhause gebe.

Orientierungspunkt Heiligtum. Heilige Orte sind Urphänomene religiöser Erfahrung in allen Religionen. Die Welt, der Raum an sich, werden als gebrochen erlebt, als inhomogen. Es gibt Orte, die von anderer Qualität sind, als die übrige sie umgebende Wirklichkeit. Heilige Orte, die von Menschen „entdeckt ( Eliade) werden müssen, also nicht einfach von ihnen geschaffen werden, das sind zunächst Naturheiligtümer ( Berge, Quellen, Flüsse...), dann kamen aber auch Tempel oder andere Kultstätten hinzu. Sie sind herausgenommen, abgetrennt von der übrigen Umgebung und werden, da sie eine Verbindung mit dem Göttlichen ermöglichen, zu einem Orientierungspunkt für das Leben des religiösen Menschen, zum Mittelpunkt seiner Welt. Hier kann er Schutz suchen, hier gelten andere Regeln als in der Welt „draußen.
In der Frühzeit des Alten Testamentes findet man solche Heiligtümer an Stellen, an denen Gott sich den Menschen geoffenbart hatte. Mit einem dieser Erfahrung entsprechenden Namen bezeichnet, wurden sie so zu Kult- und Anbetungsstätten.
Eigentümlich, dass gerade für die israelitische Religion dann die Bundeslade, das „mitgehende Heiligtum des Gottes Jahwe, des „Der ich bin, der ich bin, wird.
Gott, unterwegs mit seinem Volke, ist gegenwärtig durch sein Wort und sein Handeln.

Ein festes Haus. König David macht als erster den Versuch, Gott ein festes Haus zu bauen. Doch Gott weist sein Ansinnen ab und rückt in seiner anschließenden Rede an David die „Proportionen wieder zurecht: „Der Herr aber wird dir ein Haus bauen (1 Chr 17, 10b.) Nicht Gott bedarf eines wie auch immer gebauten Schutzes, sondern der Mensch, ja der König, bedarf der Verheißung und der Zusicherung Gottes, ihm ein „Haus, eine Heimat und Zukunft zu geben.
Erst Salomo erhält die „göttliche Erlaubnis einen Tempel zu bauen in der Tradition der Bundeslade, die im Allerheiligsten aufbewahrt wurde. Nach dem Neubau des zweiten Tempels ist das Allerheiligste ein dunkler und leerer Raum, der vom Hohenpriester nur am Versöhnungstag betreten werden darf und der durch einen Vorhang vor den Blicken der Gläubigen abgeschirmt ist.
Jesu Botschaft und die neutestamentliche Zeit setzen ganz neue Akzente hinsichtlich der Frage nach der Erfahrbarkeit Gottes, nach dem Ort der Anbetung.

Tempel Mensch. In Jesus selbst wird Gott erfahrbar, in seiner Person, in seinem Handeln ist Gott da und gegenwärtig. Im Gespräch mit der samaritischen Frau betont Jesus, dass nicht der Ort der Anbetung entscheidend ist: „Glaube mir, Frau, die Stunde kommt, zu der ihr weder auf diesem Berg noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet...Aber die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit (Joh 4, 21.23)
In diesem Sinne kann Paulus im Korintherbrief den Ort der Begegnung mit dem Göttlichen, also den Tempel, in den Menschen selbst „hineinverlegen: „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt? Wer den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben. Denn Gottes Tempel ist heilig, und der seid ihr (1 Kor 3,16-17). Im Neuen Testament ist Gott Ereignis, Geschehen, Beziehung – im Feiern des Abendmahls „ereignet sich Gott, im erinnernden Handeln wird er gegenwärtig und die Frage nach dem rechten Ort für ein Heiligtum wird damit überflüssig.
„Da riss der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei (Mk 15,38) Gott „wohnt nicht mehr in einem abgesonderten Bereich, sondern hat sich den Menschen in ganz unerhörter Weise gezeigt und ihren Blicken enthüllt. Der universale Ordnungspunkt ist nicht mehr ein Ort sondern der auferstandene Christus selbst: „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir (Apg 17,28).

Ausdruck der Zeit. Wozu überhaupt Kirchen? - könnten Sie jetzt mit Recht fragen. In der Frühzeit der Kirche gab es in der Tat keine Kirchen, die Häuser der Christen dienten als Versammlungsorte – profane Räumlichkeiten also, nicht herausgenommen aus dem übrigen Leben. Je mehr die Erwartung auf die nahe Wiederkunft Christi schwand, umso mehr richteten sich die Christen auch in dieser Welt ein: Ämter und Strukturen entstanden, ebenso auch eigens gebaute Versammlungsräume.
Im Laufe der Zeit entstanden so die Kirchenbauten, frühchristliche Basiliken, romanische und gotische Kathedralen, barocke und neugotische Kirchen. Zunehmend gewannen Kirchen auch neue Funktionen hinzu: Sie wurden Ausdruck künstlerischen Schaffens, der Kultur und Architektur ihrer Zeit, von Macht und Reichtum. Vor allem aber verleiht ihnen die Religiosität der jeweiligen Zeit ihren besonderen Charakter. So vermitteln zum Beispiel romanische „Himmelsburgen das Gefühl der Wehrhaftigkeit in stürmischen Zeiten, Gottes Schutz für die Menschen. Gotische Kathedralen überragen und transzendieren alles – durch ihre Lichtfülle, ihre filigrane Art, ihre Zurschaustellung von Reliquien und Schreinen.

Gebaute Antwort. Als Ausdruck einer in der jeweiligen Zeit besonders vorherrschenden Seite von Religiosität, menschlicher Sehnsüchte und Ängste, legen sie Zeugnis davon ab, dass es gerade der Vielfalt, der jeweils neuen und aktuellen Umsetzungen des Glaubens bedarf, gerade, weil das Christentum nicht an eine Form, an ein Heiligtum gebunden ist.
Es gibt also nicht die richtige Kirche, nicht eine Form, die für immer Gültigkeit hätte, weil das „Ereignis Gott im christlichen Sinne unabhängig ist von einer bestimmten Ausgestaltung des Gottesdienstraumes. Immer wieder kann es nur darum gehen, Annährungen an die Botschaft Jesu zu versuchen, die aktuellen Fragen der Menschen, ihre Befindlichkeit in Form, Farbe und Material umzusetzen, und damit den anstehenden religiösen Fragen auch architektonisch und sinnlich erfahrbar eine Antwort zu geben.

Franziskuskirche exemplarisch. Ein Beispiel, das konkret die Frage nach dem Raum, nach seiner Wirkung auf Menschen und - untrennbar davon - nach den theologisch-religiösen Fragestellungen vor Augen führt, ist die Franziskus-Kirche in der Bonner Nordstadt.
Anfang der sechziger Jahre gebaut, entsprach die Kirche in ihrer Außenarchitektur schon konziliären Vorstellungen – eine kupferne Zeltdachkonstruktion bezeugt das Bild der pilgernden Kirche, des Zeltes Gottes unter den Menschen.
In ihrer Innenraumgestaltung folgte die Kirche ursprünglich allerdings noch streng den Normen, die vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil gültig waren: mit einem erhöhten Altarraum mit Hochaltar und Kommunionschranken und entsprechend ausgerichteten Bankreihen. Im Laufe der achtziger Jahre wurde dann ein provisorischer Altar in die Mitte des Altarraumes gestellt, dieser ermöglichte zumindest die Zelebration zu den Gläubigen hin. Unbefriedigend blieb aber weiterhin die Gegensätzlichkeit zwischen Raumwirkung und „Einrichtung. Zentrierte der Raum die Kirche vom Dach her auf die Mitte, so folgte die Innengestaltung einer anderen Ausrichtung, eben zum Altarraum hin. Damit war im Grunde beiden Ansätzen nicht zu genügen. Der Kirchenbau wirkte kontraproduktiv zur Ausstattung, und diese wiederum unterstützte die Raumwirkung und die ihr innenwohnende Spiritualität nicht.
Ende der neunziger Jahre, bedingt durch dringende Reparaturarbeiten an Dach und Boden, stellte sich für die Gemeinde die Frage, ob sich mit diesen Maßnahmen nicht gleichzeitig die Innengestaltung adäquat verändern ließe.
So entstand eine Kirche mit ganz neuem Innenleben.

Neues Innenleben. Ein wesentliches Kennzeichen der neugestalteten Franziskuskirche ist die ellipsenförmige Anordnung der Stuhlreihen für die Gemeinde, deren Mitglieder sich nun gegenüber sitzen. In den Brennpunkten der Ellipse befinden sich Altar und Ambo, beide in der gleichen Material- und Formgebung, aus Olivenholz mit einer blauen Glasplatte, die durch ihre Stellung zwischen Taufbecken und Stele (an der Stelle des ehemaligen Hochaltars) auf der Längsachse des Raumes angeordnet sind. Ein so genanntes bipolares Modell, das eine große „leere Mitte hat.
Mit dieser Anordnung erwächst ein völlig neues Raumgefühl, und damit einhergehend entwickelt der Raum eine neue Form von Spiritualität, die – je nach subjektivem Empfinden – von den einen heftig kritisiert, von anderen begeistert begrüßt wird.
Akzentuiert wird nun die Versammlung aller um Ambo und Altar, Gottes Anwesenheit in der versammelten Gemeinde, in Wort und Brot gleichermaßen. Die leere Mitte soll die „anwesende Abwesenheit Gottes widerspiegeln. Als sinnlich erfahrbare und gestaltete Theologie erleben die Menschen diese „neue Kirche und werden so mit ihren Glaubensüberzeugungen, ihren Frömmigkeitsformen, ihrem Gottesbild konfrontiert. Es wundert also nicht, dass diese Veränderungen vielfältigen Diskussionsstoff liefern und heftige Emotionen hervorrufen.

Raum stellt Fragen. Wie viel Leere kann ich aushalten, wohin den Blick wenden, auf welchen Punkt kann ich meine Augen fixieren? Wohin mache ich die Verbeugung, meine Kniebeuge? Wo mache ich Gott „fest in diesem Raum? Wo haben meine Gebete ein „Gegenüber, wenn sie „nur in einen „leeren Raum gesprochen werden? Vor allem der krasse Unterschied zum „alten Gegenüber eines Hochaltares, auf dem die Augen ruhen konnten, erzeugte bei einigen Gemeindemitgliedern große Unruhe. Wie abwesend wird Gott erfahren in dieser Kirche - oder liegt in dieser Erfahrung der Leere nicht auch die Chance, Gott wieder neu und anders anwesend zu erleben? Füllt sich die Mitte erst durch das gemeinsame Feiern und im Gegenüber zum anderen Menschen? Welche Formen von Liturgie „passen in diesen Raum und werden von ihm unterstützt?

Erfahrung und Engagement. Viele Fragen, auf die so schnell keine Antwort gefunden werden kann, vielleicht auch nicht sollte. Dieser Raum erfordert Zeit, Zeit, entdeckt zu werden. Er verlangt nach Auseinandersetzung und inneres Engagement der Menschen.
Wenn Kirchen dem Lebens- und Glaubensgefühl ihrer Zeit Ausdruck geben, welche Ängste und Hoffnungen kennzeichnen dann diese Stadtgemeinde, die in einem Viertel liegt, das weithin nicht mehr christlich geprägt ist?
Als Gemeinde aufgefordert, „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute (Gaudium et Spes1) als eigene Fragen zu begreifen, versucht die Franziskusgemeinde sich auf diese Art der von Glaubensnot gezeichneten Umgebung zu stellen. Die „moderne Erfahrung des schweigenden Gottes verlangt danach, ernst genommen, ja mehr noch, auch als eigene (An-)Frage verstanden zu werden. Um dann allerdings auch in aller Glaubenshoffnung einzuladen, sich auf die Spurensuche Gottes zu begeben. Sich einzulassen auf den Versuch, den Dunkelheiten des Lebens und Glaubens nicht auszuweichen und sich gerade darin wieder neu auf Gott zu beziehen, ihn in der gemeinsamen Feier als Mitte zu erfahren: unfassbar und doch greifbar, nah und doch der ganz Andere.

 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016