Herzlich willkommen!
Unser regelmäßiger Autor für Fragen zum Kirchenrecht war mehrere Monate unterwegs. Hier schildert er uns eine weitere Reiseerfahrung inklusive Anregung für das konkrete Leben in unseren Gemeinden.
In einem Live-Chat der „Tiroler Tageszeitung“ hat sich der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler auch zum Gläubigenschwund und zum Rückgang von Gottesdienstbesuchern geäußert. Er sprach damit ein Problem an, das von vielen regelmäßigen Kirchgängern als sehr schmerzlich erfahren wird. Der Bischof warnte die Pfarreien davor, „in die Falle zu tappen, den Fernbleibenden oder Nicht-Mehr-Kirchengehern vorwurfsvoll zu begegnen.“ Wenn jemand in einen Gottesdienst komme, dann sollte er vielmehr gastfreundlich empfangen werden. Und weiter sagte der Bischof: „Wir müssen von einem zu engen Kirchenvereins-Denken wegkommen. Auch der Gedanke der Stellvertretung ist wichtig: Die kleiner gewordene Gemeinschaft betet und feiert auch stellvertretend für Viele. Jeder christliche Gottesdienst ist von einer solidarischen Verbundenheit mit dem ganzen Dorf geprägt.“
Neues liturgisches Amt
Angesichts dieser Äußerung des Innsbrucker Bischofs ist mir wieder eine Reiseerfahrung in den Sinn gekommen, die ich kürzlich machen durfte:
In Baddeck, einer kleinen Stadt im Osten Kanadas, habe ich ein neues liturgisches Amt kennengelernt, das mir so noch nicht begegnet war: das Amt des Welcome-Ministers. Im Eingangsbereich einer Kirche waren auf der Gottesdienstordnung nicht nur die Lektorinnen und Lektoren, Kantorinnen und Kantoren, Ministrantinnen, Ministranten und Kirchenmusiker verzeichnet, sondern jeweils auch zwei Personen, die bei den Gottesdiensten das Amt des Welcome-Ministers ausübten.
Welcome-Minister – das sind Personen, die damit beauftragt sind, andere im Namen der ganzen Gemeinde beim Gottesdienst willkommen zu heißen. Offensichtlich ist es der Gemeinde ganz wichtig, dass sich alle Mitfeiernden wirklich willkommen fühlen. Mit anderen Worten: Niemand soll sich im Gottesdienst fremd oder störend oder ausgeschlossen fühlen. Weil dies der Gemeinde so wichtig ist, gibt es dort das Amt der Welcome-Minister. Ob sich jemand im Gottesdienst willkommen, angenommen und zuhause erfährt, soll nicht dem Zufall überlassen werden.
Freundliche Helfer für alle Fälle
Was haben solche Welcome-Minister zu tun? Sie begrüßen jede und jeden einzelnen, die als Mitfeiernde zum Gottesdienst kommen. Sie sorgen dafür, dass alle das richtige Gebet- und Gesangbuch finden. Gehbehinderten Menschen wird auf einen geeigneten Platz geholfen. Familien mit kleinen Kindern werden Bilderbücher angeboten; sie werden ausdrücklich zum Mitfeiern eingeladen und nicht in Sonderräume abgeschoben. Fremde werden nach dem Namen und nach ihrer Herkunft gefragt und es wird ihnen ein Platz angeboten. Schwerhörigen wird geholfen, ihr Hörgerät richtig einzustellen. Und wer sonst eine Frage hat oder eine Auskunft benötigt, der kann sich ebenfalls an die Welcome-Minister wenden.
Gastfreundschaft als Anliegen aller
Die Gemeinde hat aber die Sorge darum, dass sich niemand ausgeschlossen fühlt, nicht einfach an ein paar „Funktionäre“ delegiert: Mir fiel auf, dass sich nach dem Gottesdienst vor der Kirche keine abgeschlossenen Kreise und Zirkel bildeten: Die Gruppen, die zusammenfanden, blieben offen und es wurde sehr darauf geachtet, dass alle Anschluss finden können und dass niemand alleine bleibt. Auf Fremde ging man bewusst zu und versuchte, ein Gespräch mit ihnen zu beginnen. In so einem Gespräch konnte ich unter anderem erfahren, dass die Welcome-Minister gründlich geschult und auf ihren Dienst vorbereitet werden. Sie treffen sich auch regelmäßig, um ihre Erfahrungen auszutauschen. Dabei wird zum Beispiel auch besprochen, wie man mit schwierigen Zeitgenossen umgehen kann oder mit Leuten, die den Gottesdienst stören. Gastfreundschaft, Offenheit für andere und Aufnahmebereitschaft werden zudem immer wieder in Predigt und Katechese thematisiert: Das alles sind keine Randthemen für ein paar Spezialisten, sondern sind zentrale Anliegen der ganzen Gemeinde. Konsequenterweise heißt es in dem in der Kirche aushängenden Mission-Statement, in dem die Gemeinde ihr Selbstverständnis und ihre Ziele beschreibt, unter anderem: „Wir wollen die gelebte Gastfreundschaft zu unserem christlichen Ausweis machen. Fremde sollen sich bei uns angenommen und zu Hause fühlen.“
Feste Plätze und strenge Blicke
So eine Erfahrung ist wie ein Spiegel, in dem wir die uns bekannten Situationen betrachten können. Wenn ich in Deutschland in eine fremde Gemeinde komme, dann stelle ich immer wieder fest, dass es in den Kirchen offenkundig so etwas wie feste Plätze gibt: Man kann sich nicht einfach irgendwo hinsetzen, wo noch ein Platz frei zu sein scheint! Wo Frau Huber oder Herr Maier schon immer gesessen haben, da kann sich nicht plötzlich ein Fremder hinsetzen! Die „Platzbesitzer“ sind zwar heute leider nicht da, aber wo käme man denn hin, wenn ein Fremder plötzlich die hergebrachte Ordnung durcheinanderbringen würde! Oder wenn ein älterer Mensch mit dem Rollator kommt: Dann scheinen alle gespannt darauf zu warten, ob und wie der es wohl fertigbringt, sowohl den Rollator aus dem Weg zu räumen als auch selbst auf einen Platz zu kommen. Und wenn der Rollator doch jemanden behindert, dann erntet der Betreffende zumindest vorwurfsvolle Blicke, wenn nicht Schlimmeres. Und Familien, die einen Kinderwagen dabeihaben, geht es kaum anders. Nach dem Gottesdienst dominieren vor der Kirche abgeschlossene Zirkel und Kreise. Nur wer dazugehört, findet seinen Platz und einen Anschluss. Fremde bleiben in der Regel fremd und alleine. Und wer sich im Eingangsbereich einer Kirche umsieht, der stößt meist auf jede Menge Gebote und Verbote: Was man in der Kirche alles nicht darf und wie man sich zu verhalten hat, das wird in aller Ausführlichkeit auf Plakaten und Anschlägen mitgeteilt. Nur die eine und ganz wichtige Botschaft, die sucht man gewöhnlich vergeblich: „Herzlich willkommen! Schön, dass Du da bist! Fühl Dich wohl und zuhause im Haus Deines Vaters!“
Sich willkommen fühlen
Das Wort von der „Willkommenskultur“ und eine damit verbundene Lebenspraxis ist in den vergangenen Jahren – leider auch von Politikern, die sich selbst als „christlich“ bezeichnen – bewusst in Misskredit gebracht worden. Deswegen tut es gut, durch die Worte des Innsbrucker Bischofs und durch die Erfahrung, die ich in Baddeck machen konnte, daran erinnert zu werden, dass das unterscheidend Christliche die Gastfreundschaft ist und die Offenheit für Fremde. Vielleicht ist man auf Reisen sensibler für diese Botschaft, weil man selbst ein Fremder ist. Jemand, der immer nur hinter dem Ofen sitzt, mag weniger Verständnis dafür haben. Trotzdem – oder gerade deshalb – wünsche ich mir, dass es in christlichen Gemeinden immer mehr Welcome-Minister gibt: Nicht als Alibi, sondern als Ausdruck gelebter Offenheit und Gastfreundschaft.
Die Gemeinde in Baddeck hat ein eigenes Amt geschaffen, um die Willkommenskultur zu stärken. Das ist gut, denn Ämter sind in der Kirche nicht dafür da, um anderen etwas abzunehmen oder um bestimmte Aufgaben zu reservieren. Amtsträger in der Kirche haben vor allem die Aufgabe, jede und jeden einzelnen Gläubigen dazu zu ermuntern, das zu verwirklichen, was ihm durch die Taufe aufgetragen ist. In unserem Fall: Mit dem eigenen Leben und Verhalten zu bezeugen, dass das Wort Jesu verlässlich ist: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen – auch für Dich! Und deshalb bist Du willkommen.“