Hier kam der heilige Antonius vorbei...
In dieser Ausgabe führt uns der Antonius-Weg zu den Einsiedeleien von La Verna, Cerbaiolo und Montecasale in der Provinz Arezzo, wo sich der heilige Antonius der Legende nach im Jahr 1221 auf seinem Weg nach Montepaolo kurze Zeit aufhielt.
Die Geschichte, die wir hier erzählen, birgt das Risiko, zu sehr anderen Legenden zu ähneln, um wahr zu sein. Wie viele Bäume gibt es wohl in Italien, unter deren schattigen Kronen sich der berühmte italienische Freiheitskämpfer Giuseppe Garibaldi (1807-1882) ausgeruht haben soll? Wenn alle Orte, von denen das behauptet wird, historisch wären, hätte Garibaldi wohl mehr Zeit damit zugebracht, erholsame Schläfchen zu halten, als für die Einheit Italiens zu kämpfen.
Wir heute hingegen kennen nur noch wenige Legenden und Geschichten und sind auch nicht mehr so stark an ein bestimmtes Gebiet oder eine Region gebunden, sondern virtuell „global“ – aber es ist nicht zu leugnen, dass es wohl fast überall Gedenksteine der Art „hier ruhte sich … aus“, „auf seiner Reise nach … rastete hier…“, „an diesem Ort trafen sich…“, „in diesem Bett schlief…“ gibt.
Wir müssen heute nicht mehr bestimmte Orte, an denen wir zufällig und nicht wirklich bewusst vorbeikommen, markieren, weil wir so sehr vernetzt und online sind und es uns unnötig vorkommt, zu kennzeichnen, ob in jenem Haus eine bestimmte, mehr oder weniger bekannte Person gelebt oder ein Heiliger in genau dieser oder einer anderen Zelle in jenem Konvent geschlafen hat. Für uns sind das fromme Traditionen, um einem Ort mehr Sichtbarkeit oder scheinbar eine größere Wichtigkeit zu geben.
Urfranziskanische Orte
Die gleiche Voreingenommenheit könnte auch für den heiligen Antonius und die franziskanischen Einsiedeleien in der östlichen Toskana an der Grenze zur Emilia Romagna, den Marken und Umbrien gelten: La Verna, Cerbaiolo und Montecasale, die allesamt in der Provinz Arezzo liegen. Und alle drei haben und hüten stolz eine Zelle „des heiligen Antonius“. Eine kurze Auffrischung in franziskanischer Geschichte kann hier recht hilfreich sein.
Ohne Zweifel sind diese Einsiedeleien, so wie wir sie heute sehen und besichtigen können, nicht mehr exakt so, wie sie damals vom heiligen Franziskus und seinen Gefährten und vielleicht auch vom heiligen Antonius bewohnt wurden. Alle sind in ihrer heutigen architektonischen Form im 15. Jahrhundert entstanden, zur Zeit von Bernhardin von Siena und der franziskanischen Observanten-Bewegung, auch wenn sie in ihrem Inneren noch alte und antike Elemente oder „Stücke“ der ursprünglichen Bauten bewahrt haben. Da sie fast ununterbrochen von Brüdern oder Schwestern der franziskanischen Ordensfamilie bewohnt wurden, wurden im Laufe der Zeit einige Modernisierungen oder Restaurierungen vorgenommen. Die Einsiedelei von Cerbaiolo zum Beispiel wurde fast vollständig neu erbaut, nachdem sie im 2. Weltkrieg zum Großteil zerstört worden war. Um uns vorzustellen, wie dieser Ort zur Zeit von Franziskus ausgesehen hat, müssen wir uns mit etwas Phantasie die aktuellen Gebäude „wegdenken“ und uns einige Grotten oder ehemalige, halb verfallene Häuser, die mehr recht als schlecht mit Ästen und Steinen hergerichtet worden waren, und ein paar etwas besser strukturierte Hütten und eine kleine, ärmliche Kirche, die meistens im Besitz eines Benediktinerklosters und schon seit jeher als Einsiedeleien genutzt wurden, vorstellen.
Einsamkeit, Stille und Herberge
Franziskus von Assisi hebt, wenn er von diesen Einsiedeleien spricht, zwei parallele und sich ergänzende Zwecke hervor. Vor allem sind es – im besten Einklang mit der traditionellen christlichen Spiritualität – Orte der Einsamkeit und der Stille, wo man mit allen Kräften eine intime, besondere Begegnung mit Gott finden kann. Andererseits dienten diese Einsiedeleien auch als Herbergen oder Anlaufstellen, echte „Bed & Breakfast“ für wandernde Brüder, die sich an solchen Orten ein wenig von den Strapazen ihrer langen Wanderungen durch Italien erholen und spirituell „auftanken“ konnten, da sie dort ausgedehnte Momente der Stille und des Gebets erleben konnten, die es unterwegs sonst nicht gab. Hier konnten sie auch Verletzungen und Krankheiten auskurieren, sich ausruhen und, gegebenenfalls, auch christlich sterben. Jedenfalls waren diese Einsiedeleien auch die wenigen Orte außer den großen Kapiteln, an denen sich die Brüder begegnen und kennenlernen konnten. Unsere drei Einsiedeleien liegen in der Tat eine Tagesstrecke voneinander entfernt an den Pilgerwegen, die von Norden hinunter nach Assisi führten (oder von Süden Richtung Padua, wie es beim Antonius-Weg der Fall ist).
Antonius war hier!
Im Ansinnen des heiligen Franziskus gab es keinen Gegensatz zwischen den Brüdern, die in den Einsiedeleien lebten und denen, die der Regel entsprechend durch die Welt zogen; im Gegenteil, sowohl in dem einen als auch dem anderen Fall sind es dieselben Brüder, nur vielleicht jeweils in einer anderen Phase ihres religiösen Lebens. Und das kann, ganz nebenbei, auch uns einen Impuls für unser Glaubensleben geben. Es ist also durchaus möglich, dass auch Antonius an diesen Orten Halt gemacht hatte; das erste Mal, als er nach dem Mattenkapitel im Jahr 1221 von Assisi aus nach Montepaolo unterwegs war, aber sicherlich ein paar Jahre später, 1228, als er in Assisi an der feierlichen Heiligsprechung des Franziskus und der Überführung seines Leichnams von der Kirche San Giorgio in die neue Basilika und auch an dem Generalkapitel jenes Jahres teilgenommen hatte, und auch 1230, als er wieder wegen des Kapitels nach Assisi kam.
Unterwegs an diesen Orten, die von der Stille und der üppigen Natur umgeben sind, fast so, als wolle die Natur sie vor indiskreten Blicken schützen, können wir uns gedanklich in die Zeit des heiligen Antonius zurück versetzen: Es braucht nicht viel, um sich ihn hier in tiefes Gebet versunken vorzustellen. Ja, der heilige Antonius war hier, an diesen Orten!