Hinaus in die ganze Welt
Mit dieser Ausgabe beginnen wir im Sendboten eine neue Reihe - eine Weltreise in die Länder, in denen wir
Franziskaner-Minoriten präsent sind. Mittlerweile lebt unsere vor 800 Jahren gegründete Gemeinschaft auf
allen Kontinenten. Wir werden Einblicke in das Leben und Wirken von über 4.000 Konventualen weltweit
gewinnen. Den Einstieg macht unser Generalminister Br. Marco Tasca mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen zur weltweiten Mission des Ordens.
Der Sendungsauftrag des auferstandenen Jesus an seine Jünger ist grenzenlos. Er sagt ihnen: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung!“ (Mk 16,15)
Das Evangelium gilt allen Menschen, nur hier finden sie Heil und Leben. Intuitiv erfasst Franz von Assisi in seiner radikalen Jesus-Nachfolge, dass seine Brüder keineswegs an ihrem jeweiligen Ort verbleiben dürfen, sondern berufen sind, offen zu sein für die Welt, als Zeugen einer neuen Lebensart. So schreibt er in seiner nicht-bullierten Regel: „Wenn die Brüder durch die Welt ziehen, sollen sie unterwegs nichts bei sich tragen, weder Beutel noch Tasche noch Brot noch Geld noch Stab. Und wenn sie ein Haus betreten, sollen sie zuerst sagen: Friede diesem Hause!“ (NbR 14)
Armut als Kommunikation
Der Poverello von Assisi macht sich diese Worte des Evangeliums zu eigen. Er will wie Jesus mitten in der Welt leben, um ihr das Geschenk der Brüderlichkeit zu bringen. Sich ohne irgendetwas auf den Weg zu machen, das bedeutet letztlich, dass das Wichtigste einer solchen Mission in der Beziehung, die zu den Menschen aufgebaut wird, besteht. Die Abhängigkeit einer Person ‚ohne jegliches Eigentum‘ von anderen Menschen ist ein Zeichen von Gewaltlosigkeit. Der Friedensgruß dabei bedeutet: Ich bin positiv eingestellt gegenüber dem, der anders ist als ich. Er wird zur Einladung, herzlich und offen in eine Kommunikation einzutreten. Und tatsächlich ermahnt die nicht-bullierte Regel gleich darauf die Brüder, bösen Menschen keinen Widerstand zu leisten und auf Beleidigungen nicht mit Gewalt oder Vergeltung zu antworten. Der Friede ist das Wesen eines Lebens nach dem Evangelium.
In der gleichen Regel beschreibt Franziskus die beiden Weisen, wie die Brüder leben sollen unter Menschen, die keine Christen sind. Die erste Art besteht darin, „um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur untertan zu sein und zu bekennen, dass sie Christen sind“. Das Zeugnis eines einfachen Lebens – offen für Freundschaft, für gemeinsame Arbeit und im Bemühen für das Wohl des Nächsten – wird zur konkreten Form der Verkündigung des Evangeliums. Die zweite Art besteht in der Vermittlung des Wortes Gottes auf direkte Weise. Diese beiden Arten stehen in enger Beziehung zueinander und müssen sich entsprechen, damit sie wirksam sind. Das Wort Gottes ermöglicht neue Weisen, mit Personen unterschiedlicher Kultur, Weltanschauung oder Religion umzugehen. Franziskus hat keine Scheu vor der Begegnung mit dem Anderen, dem Fremden. Er begreift sie als Anreiz spirituellen Wachstums.
Positive Überraschungen
In der Geschichte des Franziskanerordens bedeutete die Begegnung mit den Anderen, den Fremden, immer eine Herausforderung, ganz unterschiedlich nach Art und Zeit. Der Andere soll als wertvoll begriffen werden in seiner Einzigartigkeit und Originalität; er ist ein Geschenk, ja eine Manifestation der Liebe des Schöpfergottes. Die Begegnung mit ihm ist aufzufassen als eine Zeit der Kontemplation und des persönlichen Gewinns. Doch ist eine solche Haltung nicht immer leicht, denn wir können den Anderen nur verstehen, wenn wir von unserer eigenen Identität ausgehen, der individuellen wie kulturellen. Es gibt die Versuchung, sich dem Neuen zu verschließen und das Eigene als das „Normale“ anzusehen. Wer so denkt, bei dem tauchen sofort Zweifel auf, Vorurteile, Ablehnung und auch Rückzug in den geschützten eigenen Raum, der dann zu verteidigen ist, was sich bisweilen äußert in den künstlichen oder symbolischen Barrieren unserer Städte. Wer die Begegnung mit dem Anderen wagt, muss lernwillig sein, sich von der Verschiedenheit positiv überraschen lassen. Erst dann kann er in einen Dialog eintreten, um mögliche Konflikte und Missverständnisse zu klären und so ehrlich und offen miteinander zu kommunizieren.
Freundschaften verbinden
Andererseits müssen auch jene, die jemanden aufnehmen, der von außerhalb kommt, versuchen, ihn zu verstehen. Dem Anderen soll nicht nur geholfen werden, sich in eine neue Wirklichkeit zu integrieren, er soll auch als Geschenk angenommen werden. Gerade in der Begegnung mit den Anderen entdecken wir, welche vielfältigen Möglichkeiten von Kommunikation und Gemeinschaft uns zur Verfügung stehen. Tatsächlich erwächst als Frucht des Lebens nach dem Evangelium die Freundschaft, geboren aus der Tiefe des menschlichen Geistes. Sie ist ihrerseits Widerschein der Liebe Gottes, die in jedem von uns wohnt. Ohne Freundschaft ist es unmöglich, das Wort Gottes zu übersetzen in eine Sprache, die auch in einem nicht-christlichen Ambiente verstanden wird. Wir denken hier nicht nur an jene, die nie etwas von Jesus gehört haben oder die sich zu einer anderen Religion bekennen, sondern auch an alle, die sich innerlich entfernt haben und ihren Glauben nur am Rande leben, obgleich sie in einer geographischen Region geboren wurden, die historisch vom Christentum geprägt ist. Ohne die Beziehung von Freundschaft mangelt es der Verkündigung des Evangeliums an Substanz und Vitalität. Es ist kein Zufall, dass die Evangelien uns Jesus in einer neuen Art des Zusammenlebens präsentieren, zu Tisch sitzend mit jeglicher Art von Personen. Für Jesus ist das freundschaftliche Miteinander der ideale Raum, um die erneuernde Kraft der Gnade erfahrbar zu machen.
Hoffnung auf eine neue Welt
In einer globalisierten Welt wie der unsrigen, in der Kontakte mit unterschiedlichen Kulturen und Kreisen alltäglich geworden sind, gehören die Wiederherstellung der menschlichen Verbindungen in Freundschaft, die Liebenswürdigkeit, die Verfügbarkeit und die Güte zu einer dringlichen Aufgabe. „Hinausgehen in die ganze Welt“ bedeutet in unserer Zeit, offen zu sein dafür, in jeder Begegnung mit dem Anderen eine Möglichkeit zu sehen, die Verbundenheit und die Beziehung neu zu festigen. Unsere großen Städte wandeln sich zu Räumen, wo die Einsamkeit ihre zerstörerische Kraft entfaltet und in Depression führt oder zu einer unsinnigen Verteidigung von Sicherheiten. Der Wettbewerb, die Welt des Konsums und der falsche Zwang, erfolgreich zu sein, haben uns zu „Wölfen“ gegenüber den anderen werden lassen. Die Hoffnung, einmal in einer neuen und erneuerten Welt zu leben, wird nur dann begreiflich, wenn wir die verändernde Kraft konkret erfahren: in der Gegenseitigkeit von Zuneigung und Engagement zugunsten des Anderen.
Hier wird deutlich, wie wichtig der Gruß des Friedens ist. Er scheint auf und wird greifbar in der einfachen Art und Weise, wie ich mit anderen zusammenlebe, freundlich mit ihnen spreche und Freude habe an dieser neuen Wirklichkeit. Die führt dann auch zu neuen menschlichen Beziehungen, welche sich festigen können in Respekt und Brüderlichkeit. Ohne Zweifel verlangt diese Weise des Seins in der Welt von heute eine besondere Spiritualität, gegründet in Großherzigkeit, die sich vorbehaltlos verschenkt.
Gott ist schon da
Unser Orden konnte während der letzten siebzig Jahre seine Niederlassungen in vielen Ländern ausweiten. Die Begründung für Mission in heutiger Zeit ließ neue Formen klösterlicher Gemeinschaften entstehen, in denen versucht wird, das Erbe des Franz von Assisi konkret zu leben, eingebettet in die jeweilige Kultur. Überraschend für uns war: Bei diesem Bemühen, anderen Völkern das Evangelium zu bringen, war uns der Herr bereits zuvorgekommen, entsprechend dem Wort Jesu: „Seht, die Felder sind schon weiß zur Ernte!“ (Joh 4,35). In vielen Menschen hatte er bereits das Geschenk des Glaubens ausgesät. Einige von ihnen fanden dann auch den Weg zu seiner Nachfolge in unserem Orden. Die Begegnung zwischen Missionaren und Einheimischen in jenen Landstrichen ließ uns das Charisma unseres Ordens tiefer verstehen. Wir dürfen mit Hoffnung in die Zukunft blicken. Nicht zufällig wächst unser Orden in jenen Landstrichen stärker; es entwickeln sich neue Gestaltungen, Werte, Frömmigkeitsformen und Glaubensäußerungen.
Hier in Europa hilft uns diese neue Vitalität – ein Geschenk der Gnade und getragen durch neue Brüder – dabei, neue Wege der Evangelisierung zu entdecken und in unserer seelsorglichen Praxis kreativer zu werden. Die größere kulturelle Verschiedenheit erweist sich so als neuer Hauch des Geistes, vor allem dort, wo die Säkularisierung beklagt wird. Neue Gemeinschaften, international zusammengesetzt, sind offen für Erneuerung und Wandel, mit vielen guten Resultaten. So findet der Orden zu neuen Ausdrucksformen und Gestaltungen, die fruchtbringend weiterzuentwickeln sind.