Ich habe den Weg der Stille gefunden
Unsere Welt braucht Orte, die suchenden Menschen offen stehen. Wo ist solcher Bedarf größer als in der Metropole Berlin? Und wo ist der Kontrast schärfer, als wenn junge Menschen aus der Großstadt mit Karmelitinnen zusammentreffen? Der Karmel Regina Martyrum in Berlin hat offene Pforten. Die Schwestern stehen jedem Fragenden Rede und Antwort.
„Ich habe den Weg zur Stille gefunden“, diese Erfahrung beschrieb eine Schülerin nach einem mehrtägigen Aufenthalt in unserem Kloster Karmel Regina Martyrum in Berlin. Wenn Jugendliche mit ihrer Religionslehrerin für einige Tage in unser Gästehaus kommen, geschieht Begegnung zwischen Welten: Viele der Schülerinnen und Schüler haben keinen religiösen Hintergrund oder nur selten einen lebendigen Zugang zu ihren christlichen oder muslimischen Wurzeln. Zum Kennenlernen des Klosters gehört jedes Mal ein Gespräch mit ein, zwei Schwestern. Die Fragen dieser jungen Menschen fordern uns heraus, und ihr ehrliches Interesse an unserem Leben lässt uns davon überzeugt sein: Sie nehmen etwas für ihr Leben mit.
So schrieb ein Schüler in unser Gästebuch: „Ich denke, dass der Tag im Kloster meine Perspektiven erweitert hat und ich mir ein differenzierteres Bild von der Kirche schaffen kann. Ich wünsche mir, dass jeder Gottes Wege zu erkennen vermag, der es sich von Herzen wünscht.“ Und eine Schülerin: „Sie verdienen meinen tiefen Respekt für das Leben, welches Sie hier führen. Ich würde die Ruhe nicht lange aushalten. Ich brauche mein chaotisches Berlin. Vielleicht sehen wir uns bald wieder; vielleicht als Schwestern, wer weiß.“
Erst kürzlich besuchte uns eine Lehrerin aus Berlin-Marzahn mit ihrer Klasse, in der fast alle Schülerinnen und Schüler keinen religiösen Hintergrund haben. Es war beeindruckend zu erleben, mit welcher Offenheit und Intensität die jungen Menschen im Gespräch und in einer Zeit der Stille und Meditation präsent waren. Im Nachklang an diese Begegnung äußerte ein Schüler, dass er jetzt viel offener gegenüber anderem sei.
Eine Schülerin sagte, dass sie gesehen habe, dass Glauben stark machen kann und dass man sein eigenes Leben ein bisschen mehr schätzen kann. Die Anfragen an unser Haus der Stille haben in den zurückliegenden Jahren zugenommen, unter ihnen sind Menschen verschiedener Konfession ebenso wie solche, die sich ausdrücklich als Atheisten bezeichnen. Manche von ihnen sind voller Fragen, andere wollen in Stille und Gebet einen Zugang zu den eigenen Quellen oder zu Gott finden. Teresa von Avila (1515-1582), die Gründerin des Karmelordens, versteht das Gebet als einen „vertrauten Umgang mit einem Freund, mit dem wir oft und gern zusammen sind, weil wir wissen, dass er uns liebt“. Alle Menschen sind nach der Überzeugung Teresas eingeladen, den Weg der Freundschaft mit Gott zu gehen.
Es braucht heute mehr denn je Orte, die suchenden Menschen offen stehen: Räume der Stille und des Aufatmens, wo Menschen wieder Kraft für den Alltag schöpfen und Gottes Spuren im eigenen Leben entdecken können. Den Wert der Stille zu erfahren, macht Mut, den Weg nach innen zu gehen. Gerade, wo bewährte kirchliche Strukturen selbst Christen immer weniger Halt zu geben scheinen, können solche „Biotope des Glaubens“ (Bischof Joachim Wanke) zu Kreuzungspunkten werden, in denen Menschen nach unserer Hoffnung fragen. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15).