Ich will dich (er)tragen
Liebe und Leid berühren sich nicht nur bei jenem Gemütszustand, den wir ein wenig lächelnd mit „Liebesleid“ umschreiben. Ein gemeinsames Leben in Liebe und Treue kann auch Leid und Last mit sich bringen. Dann zeigt sich schnell, wie belastbar die liebenden Partner sind. Und ob sie bereitwillig die Last des anderen tragen. Als Christen blicken wir auf das Beispiel Jesu, der das Leid nicht suchte, ihm aber auch nicht aus dem Weg ging.
„Ich mag dich gut leiden“, sagen wir zu einem Menschen, den wir gern haben. Sagen wir es nur so dahin und denken uns nicht viel dabei? Oder lassen wir uns auch von dieser Aussage beanspruchen? Immerhin steckt darin das Wort leiden. Wer einen Menschen gern hat, ihn sogar leidenschaftlich liebt, der wird auch bereit sein, mit ihm Freude und Leid zu teilen, ja gelegentlich an ihm zu leiden.
Liebende sind einander nicht nur bereicherndes Geschenk, sie können sich gegenseitig auch zur Last werden, bisweilen einander lästig werden. „Die Liebe ist eine Leidenschaft, die hin und wieder Leiden schafft“, spottete einst schon Wilhelm Busch.
SO SCHWER ES AUCH FÄLLT
Wenn ich einen Menschen liebe, nehme ich ihn an, wie er ist: mit seinen Stärken, Fähigkeiten und Talenten, aber auch mit seinen Schwächen, Unzulänglichkeiten und Begrenzungen. Und jeder wird das Unfertige, das Unterentwickelte, das Nichtgelingende und mitunter auch das Versagen des anderen zu akzeptieren haben, so schwer es fällt.
Einen Menschen wirklich lieben bedeutet dann: sich durch ihn belasten lassen, ihm seine Lebenslast tragen helfen, ihn in seiner Andersartigkeit (er)-tragen. „Wir könnten viele Leiden und die Bitterkeit der Leiden vermeiden. Aber nur um einen Preis, der zu hoch ist: wenn wir aufhören zu lieben“, mahnt die Theologin Dorothee Sölle.
MIT-LEIDEN STATT MITLEID
Unsere Vorstellungen von „glücklicher Ehe“ jedoch stehen solch leidvoller Belastung entgegen. Wir sehen Glück vorwiegend verwirklicht, wenn alles harmonisch verläuft, keine Schwierigkeiten oder Meinungsverschiedenheiten auftreten und unsere Lebenspläne durch nichts „durchkreuzt“ werden. Last und Leid werden da vorschnell zu „Störenfrieden“ einer allzu oft oberflächlichen Glückserwartung.
In einer Zeit abnehmender Leidensbereitschaft und Leidens-
fähigkeit gehen wir lieber dem Leid aus dem Wege, ersparen wir uns das Mit-leiden am Leid des anderen. Werden Menschen sich heute so schnell leid, weil sie sich nicht mehr leidenschaftlich genug lieben können?
SICH BEANSPRUCHEN LASSEN
Damit bleibt so manchen Liebes- und Eheleuten die Erfahrung vorenthalten, dass es auch beglückend sein kann, sich vom anderen beanspruchen und belasten zu lassen und die eigene Lebenslast bei ihm gut aufgehoben zu wissen. „Das ist ja eben der höchste Segen der Ehe, dass sie die Bürde des Lebens erleichtert, weil sie die Tragkraft verdoppelt“ (Louise von François).
Die Liebe lässt sich nicht beugen; sie hält so manches aus und kann auch entlasten, selbst in schwierigen Situationen. Nach dem Motto: Gemeinsam sind wir stark.
„ES TUT MIR LEID“
Aber es gibt unbestritten Grenzen der Belastbarkeit. Je vertrauter sich Menschen sind, umso heftiger und bedrückender werden Spannungen und Auseinandersetzungen erlebt. „Ausgerechnet DU musst mir das antun!“ oder „Das hätte ich nie von Dir erwartet!“ – so lauten dann die Vorwürfe. Die betroffenen Menschen sind zutiefst betroffen, verletzt und gekränkt.
„Es tut mir leid“ – eine solche Entschuldigung hilft nur weiter, wenn sie nicht freisprechen will von der begangenen Schuld. Wenn sie ernst gemeint ist und das zugefügte Leid wahrnimmt und annimmt. Woher aber bekommt die Liebe ihre Tragfähigkeit und Beständigkeit, ihren langen Atem – selbst in scheinbar aussichtslosen Lebenslagen?
JESU BEISPIEL UND EINLADUNG
Christen können auf die Einladung Jesu bauen und vertrauen, wenn er sagt: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele“ (Matthäus-Evangelium 11,28-29).
Die Alten kennen noch den Stoßseufzer: Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Wie leichtfertig wurde damals das Bild vom Kreuz „strapaziert“ und nicht selten als billige Vertröstung missbraucht?! Der Blick auf den Gekreuzigten sollte helfen, das eigene Kreuz bereitwillig zu (er)tragen.
DER MENSCHEN LEID TRAGEN
Jesus selbst hat die Menschen nicht einfach vertröstet, sondern ihre Last (an)erkannt und ihr Leid bekämpft. Zumal er selbst sich bis zuletzt gegen die Last des Kreuzestodes aufgebäumt hat. Aber Jesus lässt sich in Mitleidenschaft ziehen. Er leidet am Leid der Menschen. Wer sich auf Jesus beruft, darf bei allem Leid doch hoffen, dass Gott ihn trägt mit seiner ganzen Lebenslast. Jedoch: Wer sich auf ihn beruft, muss sich auch an seine Forderung erinnern lassen: „Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“ (Galaterbrief 6,2).