Im Entscheiden reifen

24. April 2023 | von

In jungen Jahren verlässt Fernando sein Elternhaus. Er schließt sich einer Ordensgemeinschaft an. Ein Schritt ins Ungewisse, den er mit großer Entschiedenheit geht – aber dann schnell merkt, dass es Ruhe braucht, wenn Entscheidungen reifen sollen, um dann auch im Leben tragen zu können.

Von heftigen Versuchungen des Jugendalters war eben noch die Rede, da nimmt das Leben des jungen Fernando – unseres späteren Antonius von Padua – eine entscheidende Wende. Sein Biograf, der Verfasser der Assidua, berichtet: „In der Nähe der eingangs erwähnten Stadt erhebt sich ein Kloster des Ordens des heiligen Augustinus, dessen für ihren religiösen Geist berühmte Bewohner dem Herrn im Habit der Regular-Kanoniker dienen. An diesen Ort eilte der Mann Gottes, um die weltlichen Verlockungen zu überwinden, und zog mit demütiger Frömmigkeit den Habit der Regular-Kanoniker an.“

Ein leidenschaftlicher Beginn

Heute und in unseren Breiten ist es vielleicht nur noch schwer vorstellbar, dass junge Menschen sich für das Klosterleben oder eine geistliche Laufbahn entscheiden. Und obendrein werden Lebensentscheidungen immer später getroffen, nicht bereits im Alter von 16, 17 Jahren, die Fernando bei seinem Klostereintritt gehabt haben dürfte.

Und trotzdem kann man sich wohl hineinversetzen in den Eifer dieses jungen Menschen, der da offensichtlich gefunden zu haben scheint, was sein Platz im Leben ist. Man kann erahnen, wie er sich leidenschaftlich aufmacht, voll Hoffnung und Zuversicht, wie er mitgenommen wird vom „Zauber des Anfangs“, den Hermann Hesse Jahrhunderte später in ein Gedicht gefasst hat.

Vielleicht gab es doch den einen oder anderen skeptischen Freund. Auch in der Familie und Verwandtschaft könnte man sich, bei aller Frömmigkeit, doch vorstellen, dass jemand zur Gegenrede anhob. Und nicht zu vergessen die zahlreichen Versuchungen, mit denen Fernando zu kämpfen hatte, und die wohl auch zu jeder Zeit die Macht gehabt hätten, ihn von seinem Entschluss wieder abzubringen. Doch fürFernando ist klar: Er „eilt“ in das Augustiner-Chorherren-Stift seines Heimatorts und wird dort in den Kreis der Ordensmänner aufgenommen.

Erste Schritte

Was er bei diesem Neuanfang empfindet und spürt, darüber lässt sich nur spekulieren. Doch jeder, der selbst schon eine oder mehrere Lebensentscheidungen getroffen hat, wird sich wohl irgendwie hineinversetzen können in die Gefühlslage des jungen Portugiesen. Das Heimweh nach der eigenen, vertrauten Familie mag da gewesen sein – aber ganz bestimmt tritt es zurück hinter die vielen Facetten des neuen Lebens, das Fernando da Schritt für Schritt im Kanoniker-Stift kennenlernt: die Orientierung im mächtigen Konvent, das Sich-Einfügen in eine über Generationen bewahrte Ordnung, die Teilnahme am Chorgebet und ein intensives geistliches Leben, die Übernahme von Diensten in der Gemeinschaft, das Vertiefen der eigenen Gottesbeziehung und des Glaubenswissens. Ganz bestimmt ist er immer wieder fasziniert von der neuen Welt, die sich da gerade für ihn auftut – und manchmal möglicherweise auch erst irritiert und enttäuscht.

Doch wo er manchmal vielleicht zurückblick oder seine Entscheidung doch noch einmal in Frage stellt, haben ihm die erfahrenen Mönche möglicherweise diesen bekannten Abschnitt des Lukas-Evangeliums zum Meditieren gegeben: „Als sie auf dem Weg weiterzogen, sagte ein Mann zu Jesus: ‚Ich will dir nachfolgen, wohin du auch gehst.‘ Jesus antwortete ihm: ‚Die Füchse haben Höhlen und die Vögel des Himmels Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.‘ Zu einem anderen sagte er: ‚Folge mir nach!‘ Der erwiderte: ‚Lass mich zuerst weggehen und meinen Vater begraben!‘ Jesus sagte zu ihm: ‚Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh und verkünde das Reich Gottes!‘ Wieder ein anderer sagte: ‚Ich will dir nachfolgen, Herr. Zuvor aber lass mich Abschied nehmen von denen, die in meinem Hause sind.‘ Jesus erwiderte ihm: ‚Keiner, der die Hand an den Pflug gelegt hat und nochmals zurückblickt, taugt für das Reich Gottes.‘“

Die lieben Freunde und Verwandten…

Es wird wohl nach und nach immer deutlicher, dass Fernando eine tatsächliche Berufung zum geistlichen Leben hat. Er tut alles dafür, seiner Entscheidung zu folgen. Doch von keiner Seite wird es ihm allzu leicht gemacht. Von den ersten zwei Jahren im Kloster berichtet der Biograf nämlich schließlich, dass er „von den häufigen Besuchen der Freunde“ in seiner Sammlung gestört wurde.

Man kann es sich lebhaft vorstellen, wie Verwandte und Freunde immer wieder an die Klosterpforte kommen und nach dem jungen Fernando verlangen. Sie werden um Rat fragen, ihn um sein Gebet bitten, aber möglicherweise auch die neusten Geschichten aus ihrem Alltag erzählen. Immer neue Impulse und Ablenkungen, da kann man den Blick aufs Wesentliche rasch verlieren – zumal dann, wenn dieser neue Weg ja erst beginnt und man sich selbst erst ein stabiles geistliches Fundament erarbeiten muss.

In der Assidua ist schließlich zu lesen: „Um sich aber von derlei Störungen zu befreien, beschloss er, seine Heimat zu verlassen, die nicht wenig dazu beitrug, den tapferen Geist zu zermürben. So wollte er dem Herrn in Ruhe dienen – in der Sicherheit eines fremden Hafens. Und nachdem er mit Mühe und nach viel Gebet die Erlaubnis des Oberen bekommen hatte, wechselte er zwar nicht den Orden, wohl aber den Wohnort. Und mit lebendigem Eifer siedelte er in das Kloster Santa Croce in Coimbra über.“

Ein notwendiger Umzug

Schon wieder eine echte Entscheidung! Zumal eine solche, bei der er offensichtlich erst mühsam die Erlaubnis des Oberen bekommen musste. Der wird vielleicht nicht schlecht gestaunt haben, als einer der Jüngsten im Konvent zu einem ganz und gar unüblichen Zeitpunkt um eine „Versetzung“ in ein anderes Kloster bat. Ein schnelles „Ja“ scheint Fernando auch nicht bekommen zu haben. Vermutlich gab es auch einiges an Gerede im Konvent: Wenn schon die Jüngsten solche „Sonderwünsche“ haben… Doch letztlich wird die Begründung des jungen Augustiner-Chorherrn auch transparent und nachvollziehbar gewesen sein: Sein Wechselwunsch nach Coimbra hatte ja nichts mit der berühmten „Lust und Laune“ zu tun, sondern dem ernsthaften Anliegen, sich ungestörter der Sache Gottes widmen zu können.

Und so macht er sich denn bald auf ins 200 Kilometer entfernte Kloster der Augustiner-Chorherren von Coimbra. Freunde und Verwandte scheinen nun weit genug entfernt. Mit regelmäßigen Überraschungsbesuchen und Störungen ist nicht mehr zu rechnen. Fernando braucht diese Distanz, damit seine Entscheidung reifen kann, damit seine Lebensentscheidung Festigkeit bekommt.

Herausforderungen anpacken

Wer heute Entscheidungen zu treffen hat oder Entscheidungen anderer begleiten darf, der dürfte sich vom jungen Portugiesen Fernando ermutigen lassen, irgendwann den Sprung zu wagen – und vielleicht lieber früher als zu spät. Es wird immer Zeit brauchen, bis Entscheidungen gefestigt sind. Sie wollen erprobt sein in den alltäglichen Lebensvollzügen. Da wird nicht immer alles auf Anhieb klappen. So manch eine Herausforderung will bewältigt werden. Und vielleicht muss manches Mal auch nachjustiert werden, vielleicht müssen manchmal Rahmenbedingungen und Umstände verändert werden. Doch wer sich auf diese Prozesse einlässt, der wird in seinem Entscheiden allmählich reifen.

Zuletzt aktualisiert: 24. April 2023
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