Im Herzen Bildhauer

31. Januar 2014 | von

Bildhauer, Architekt, Freskenmaler und Dichter - Michelangelo Buonarroti verkörpert das Renaissance-Ideal des Universalmenschen. Er hinterließ ein enormes Werk, das Generationen über 450 Jahre nach seinem Tod noch immer beeinflusst. Sein Vorname allein steht heute synonym für künstlerische Größe.



Im Dämmerlicht lag nicht nur die berühmte Erschaffung Adams, denn 35 Jahre alt waren die Lampen. Sie warfen den Kardinälen im Konklave gerade das nötigste Licht auf die Stimmzettel und blendeten den Besucher, der zur Decke blickte. Nun erstrahlt die Sixtinische Kapelle in neuem Glanz. Schon im Dezember wurde eine neue Beleuchtungstechnik installiert, die die berühmten Fresken aus dem Düsteren ins Helle holt. „Wenn wir uns fragen, wie die Sixtinische Kapelle beleuchtet werden soll, müssen wir uns fragen, wie sie zu Zeiten Michel-angelos beleuchtet war“, erklärt Antonio Paolucci, Direktor der Vatikanischen Museen. Vor über fünfhundert Jahren präsentierte Michelangelo seine meisterlichen Fresken Papst Julius II. im Sonnenlicht, das durch die Fenster einfiel. Da heute die Fenster verhängt bleiben müssen, um die Kunstwerke zu schützen, braucht es technische Systeme, die natürliches Licht suggerieren. Die Münchener Firma Osram hat ihr Können mit vier Partnern aus ganz Europa in diesem Projekt umgesetzt. Vorbild war das Lichtsystem im wiedereröffneten Lehnbachhaus. Doch längst nicht Osrams hellste Lampen kommen zum Einsatz: Siebzig Leuchten, bestehend aus circa 7.000 LEDs, strahlen zwar zehn Mal heller als ihre Vorgänger, doch bleiben sie im sonnigen Bereich. „Der Respekt vor dem Kunstwerk steht im Vordergrund. Das Licht soll zurückhaltend bleiben und gleichmäßig, nicht zu stark, nicht zu schwach und keinen Teil außer Acht lassen an diesem heiligen Ort“, präzisiert Paolucci. Die Farbenpracht in vollem Glanz darf Papst Franziskus als Erster genießen: „Denn es ist seine Kapelle, die wichtigste Kapelle der Welt.“ Am 18. Februar 2014 findet die Premiere zu Ehren des 450. Todestages Michelangelos statt.



FLORENZ UND ROM

Am 6. März 1475 wird Michelangelo als zweiter von fünf Söhnen des Stadtvogts Ludovico di Leonardo Buonarroti Simoni und seiner Frau Francesca di Neri in Caprese in der heutigen Provinz Arezzo geboren. Demnach lautet sein vollständiger Name Michelangelo di Ludovico Buonarroti Simoni. 1476 zieht die Familie nach Florenz um. Schon sehr früh verfolgt der Junge vehement nur ein Ziel: Künstler zu werden. Der Vater ist mit diesen Zukunftsplänen zunächst nicht einverstanden, lässt sich aber schließlich vom Talent des Sohnes überzeugen.

Gerade erst 13 Jahre alt, beginnt Michelangelo in der Werkstatt von Domenico Ghirlandaio eine Ausbildung in der Freskomalerei. Seine Leidenschaft jedoch gilt von Anfang an der Bildhauerei, und so wechselt er im darauffolgenden Jahr an die Bildhauerschule, die Lorenzo de’ Medici in den Medici-Gärten gegründet hatte. Der Hausherr holt den begabten Neuankömmling bald in den Palast. Von nun an lebt Michelangelo im geistigen Zentrum der Epoche, denn der Hofkreis besteht aus bedeutenden Dichtern und Denkern des Neoplatonismus.



KRIEG UND KUNST

Immer wieder wird Michelangelo in den folgenden Jahrzehnten in seine Heimatstadt Florenz zurückkehren. Mehrfach gerät er zwischen die Fronten kriegerischer Unternehmungen der Medici, kämpft für und gegen sie. Am Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen ist der Künstler sogar als oberster Baumeister der Stadtbefestigung tätig. Neben Florenz kann er seine künstlerischen Arbeitsstätten bis Rom ausweiten. Längst hat sein Ruf den Vatikan erreicht. Papst Julius II. beauftragt ihn 1505 mit der Errichtung seines Grabmals (37 Jahre wird es bis zur Fertigstellung dauern). 1534 ernennt ihn Papst Paul III. zum obersten Baumeister, Bildhauer und Maler des Apostolischen Palastes.

Michelangelo erlangt den Zenit künstlerischer Ehren, trotz seines exzentrischen, verrückt anmutenden Wesens. Immer wieder überwirft er sich mit Freunden und Gönnern; auch mit berühmten Kollegen wie Leonardo da Vinci steht er in ständiger Konkurrenz. Exzessiv tüftelt er zeitlebens an tausenden Plänen und Ideen, von denen nur ein Bruchteil vollendet wird. Sei es aus Zeitmangel, sei es aus verlorenem Interesse oder überzogenem Perfektionismus, die Gedanken der Forschung zum Thema Non-finito bei Michelangelo sind mannigfaltig.



DAVID VOR DER HELDENTAT

Aber alles, was das Renaissance-Genie entstehen lässt, hat die Kunstwelt bereichert. Wunderschöne Fresken und architektonische Meisterwerke begeistern Experten wie Laien; er selbst verstand sich aber in erster Linie als Bildhauer.

Eine der bekanntesten Skulpturen der gesamten Kunstgeschichte ist der David. Der 5,17 Meter große Kämpfer hat seine Steinschleuder auf der Schulter angelegt, der Kampf mit Goliath steht unmittelbar bevor. Schon die Wahl des gezeigten Zeitpunktes ist ungewöhnlich, denn damals war die siegreiche Darstellung Davids mit dem abgeschlagenen Kopf des Riesen üblich. Hier jedoch verbirgt die rechte Hand noch das Wurfgeschoss, die Anspannung treibt die Adern hervor. Sein Blick stiert zielgerichtet und höchstkonzentriert in die Ferne. Ein Held also, der noch keiner ist.

Aus einem Block musste die ganze Skulptur gehauen werden, eine Vorgabe, an der einige Künstler zuvor gescheitert waren. 1501 erhält Michelangelo den Auftrag. Der Standort vor dem Palazzo Vecchio entpuppte sich allerdings als unsicher: Als 1512 die Medici ihre Macht in der Stadt gewaltsam zurückgewannen, flogen Stühle und eine Bank. Letztere aus dem Fenster und auf den David, dem sie den linken Arm zertrümmerte. Dank Giorgio Vasari, Urvater der Kunstgeschichte, konnten die Einzelteile eingesammelt und die Skulptur 1543 restauriert werden. Heute steht vor dem Palazzo eine Replik. Um das kostbare Original vor Witterungsschäden und aggressiven Besuchern zu schützen, ist es seit 1873 in der Florentiner Accademia untergebracht.



VOM ANFANG BIS ZUM ENDE

1564 stirbt der große Künstler im Alter von unglaublichen 90 Jahren, nach einem erfolgreichen und aufreibenden Leben. Seine künstlerische Entwicklung in den vielen Jahrzehnten Schaffenszeit lässt sich anhand zweier Pietà-Darstellungen gut aufzeigen. Ab 1498 arbeitet er im Auftrag des französischen Kardinals Jean Bilhères de Lagraulas, Benediktinerabt von Saint Denis, an einer Maria mit dem Leichnam Jesu, die sich heute im Petersdom befindet. Das Bildthema der Pietà war damals in Italien wenig bekannt und eher nördlich der Alpen auf Vesperbildern geläufig. Maria selbst scheint in Andacht über ihrem toten Sohn versunken. Gesicht und Körper zeigen vollkommene Schönheit und symbolisieren das Göttliche. Das ideale Schöne und die Wiederentdeckung der Antike stehen exemplarisch für die Renaissancezeit.

Fünfzig Jahre später (um 1547) winden sich die Körper manieristisch in gegenreformatorischer Prägung. Angst, Not und Schmerz durchdringen die Personen der Darstellung, in der sich Kreuzabnahme, Beweinung und Grablegung vereinen. Vier Figuren, aus einem einzigen Marmorblock geschlagen – damit übertraf dieses Projekt die antike Laokoon-Gruppe, die als Maßstab der Bildhauerei zu verstehen war. Angeblich habe Michel-angelo das Werk noch unvollendet aus Zorn über mangelnde Perfektion zerschlagen. Doch auch diese Skulptur wurde repariert und kann heute im Museo dell’Opera di Santa Maria del Fiore in Florenz bewundert werden.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016