Im weltweiten Austausch der Gaben

01. Dezember 2006 | von



Neben der Neuevangelisierung Europas nennt unser Autor als „Wegimpulse“ Ökumene und politische Diakonie. Sein Ausblick gilt einem globalen Dialog der Kulturen und Kontinente zwischen „Partnern auf Augenhöhe“, einem Europa in weltumspannender Solidarität.



Immer mehr hat sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die Gemeinschaft der Kirchen und die Einheit Europas untrennbar miteinander verbunden sind. Dabei wird einerseits historisch argumentiert: Da Europa die Spaltungen unter den Christen in die Welt exportiert hat, ist es nun verstärkt verpflichtet, Schritte der Versöhnung in die Welt zu bringen. Zum anderen ist gerade im Blick auf die geforderte Neuevangelisierung die Einsicht gewachsen, dass die fehlende sichtbare Einheit der Christen das geforderte gemeinsame Glaubenszeugnis schwächt.



Im Blick auf eine „versöhnte Verschiedenheit“ darf das Mühen um Formen der Einheit im Glauben nicht unter Ausklammern der Frage nach Wahrheit erfolgen. Ein tragfähiger Brückenbau gelingt nur durch die Sicherung der Fundamente. Die Wahrheitsfrage darf jedoch theologische und ethische Fragen nicht voneinander abkapseln. Glaube und Leben gehören in einem umfassenden Verständnis von Christsein zusammen.



 



Politische Diakonie. Die ökumenischen Bemühungen der Zukunft benötigen weiterhin als wichtige Basis ein verstärktes Mühen um den Dialog mit dem Judentum. Ein Schritt zu mehr Einheit wäre eben auch das gemeinsame Mühen um einen neuen Bezug aller christlichen Kirchen zur Sendung Israels, aus der wir für unser Glaubenszeugnis heute noch Kraft beziehen; schließlich gehört das Alte Testament unverzichtbar zum Kanon der christlichen Bibel.



Als weitere Zukunftsperspektive für Europa habe ich mir persönlich schon länger ein Wort von Roger Schutz zu eigen gemacht: „Unser ökumenisches Denken braucht noch weit mehr als bisher die Prägung durch katholische Weite, evangelische Tiefe und orthodoxe Dynamik.“



Mit „politischer Diakonie“ ist keine kirchliche Einmischung in das politische Tagesgeschehen gemeint, sondern ein Mitgestalten des europäischen Einigungsprozesses von der christlichen Versöhnungsbotschaft und der katholischen Soziallehre her. Dies beinhaltet die Sorge um die mittlerweile fast 20 Millionen Immigranten im europäischen Binnenraum und dem Umgang mit Minderheiten genauso wie die kritisch-engagierte Begleitung der Debatten über Bioethik, die Bewahrung der Schöpfung und die Gerechtigkeit zwischen den Generationen. „Auch das gehört zum christlichen Menschenbild, dass wir nicht alles schon verfuttert haben, was eigentlich künftigen Generationen gehört“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in der Katholischen Akademie München geäußert.



 



Verkannte Werte. Von der gesellschaftlichen Strukturierung her hat eine solche politische Diakonie weiterhin heute mehr denn je die hochbrisante Aufgabe, die Bedeutung der Familie und ihren Zusammenhang mit der Ehe als in Gott selbst gegründete Form der Gestaltung menschlichen Lebens deutlich zu machen. Es wird zwar in Deutschland heute kein Regierungsmitglied mehr wagen, Familienpolitik als „Gedöns“ zu bezeichnen, wie dies in einer Bundestagsdebatte noch vor einigen Jahren geschah, aber der Blick für den inneren Zusammenhang von Ehe und Familie scheint dennoch mehr als getrübt. Es gebietet der Respekt vor dem Anderen, dass ich so genannte alternative Lebensformen zur Kenntnis nehme und solche Menschen nicht diskriminiere. Aber sie als gleichwertig zur Ehe anzusehen oder sie gar aktiv zu fördern, wäre missverstandene Toleranz. „Es gibt eine weit verbreitete Lebenshaltung, der zufolge es geradezu ein Fortschritt sei, dass die Zahl der Kinder abnimmt, die in traditionellen Familien aufwachsen. ... Es spricht ... eine Verkennung daraus, welchen Wert die Familie wirklich hat.“ Dieses Zitat stammt nicht etwa aus einer Kirchenzeitung, sondern aus einem Leitartikel der „Süddeutschen“ vom 21. Januar 2006.Man liest’s mit Interesse und freut sich über so viel Einsicht.



Hilfreich ist für die christliche Wertebegründung des Zusammenhangs von Ehe und Familie die erste Enzyklika von Papst Benedikt XVI. Im Einleitungsteil verdeutlicht der Papst in stringenten Gedanken, dass dem monotheistischen Gottesbild die monogame Ehe entspricht; die ausschließliche und endgültige Bindung von Mann und Frau wird zur Darstellung der Liebe Gottes zu den Menschen; die feste Verknüpfung von Eros und Ehe ist biblisch bezeugt. Solche Positionen mögen unbequem sein, gleichwohl sind sie als christlicher Beitrag zu einer europäischen Zivilgesellschaft notwendig. Wer die Bedeutung der Ehe zwischen Mann und Frau relativiert, betreibt nicht nur die Auflösung einer Lebensform, sondern verdrängt ein biblisch fundiertes Menschenbild, das beileibe kein kirchliches Sondergut darstellt, sondern als übergreifende humane Einsicht Bedeutung für die Gesellschaft als ganze hat.



 



Wohin gehen wir? Der künftige Weg Europas darf nicht nur binnenkontinental verlaufen. Die geforderte Solidarität der Einen Welt und der Einsatz für die Menschenrechte enden weder am Ural noch am Atlantik. Es darf keinen Eurozentrismus im Sinn eines selbstgenügsamen Ghettodenkens geben. Wohlstand für Europa ist stets mit Verantwortung für die Welt verbunden. Gerade „katholisches“ Denken im umfassenden Sinn wird sich niemals mit einer Selbstmarginalisierung oder gar Privatisierung des europäischen Christentums begnügen dürfen, wie Johann Baptist Metz immer wieder betont. Das Interesse der Kirchen darf nicht auf eine Bastion Europa fixiert sein, die sich im eigenen Wohlsein einschließt, sondern muss auf einen Kontinent zielen, der stabiler wird, um den Güteraustausch mit den anderen Regionen der Erde besser in Gang zu bringen und zur Gerechtigkeit und zum Weltfrieden beizutragen.



 



Kultureller Dialog. Europa muss heute seinen Platz in der internationalen Ordnung neu bestimmen. Dazu gehört, die transatlantische Brücke neu aufzubauen. Es wäre ein Armutszeugnis, wenn bloßer Antiamerikanismus das Einheitsband der europäischen Staatengemeinschaft wäre. Es muss Lateinamerika mit seinen vielschichtigen Problemen im Blick behalten. Es darf Afrika nicht vergessen, das heute noch unter den Folgen der Wunden leidet, die ihm von seinen europäischen Kolonialmächten zugefügt wurden. Es muss sich mit Asien auseinandersetzen, das durch sein Bevölkerungswachstum wie auf der wirtschaftlichen und geopolitischen Szene immer wichtiger wird.



Europa darf sich bei diesem globalen Dialog der Kontinente und ihrer Kulturen nicht als Lehrmeister sehen, sondern als „Partner auf Augenhöhe“, der gibt und empfängt. Ich bin überzeugt, dass gerade der weltumspannende christliche Glaube bei diesem „Austausch der Gaben“ seinen Beitrag leisten kann. Es mag sein, dass die Rede von einem „christlichen Europa“ überholt ist. Aber der Auftrag, dass Christen durch ihr vom Glauben inspiriertes Bemühen an entscheidender Stelle dabei mithelfen, dass Europa zukunftsfähig bleibt – mit all seinen Spannungen und Widersprüchlichkeiten, die ja auch dem kirchlichen Leben nicht fremd sind –, diese Aufgabe ist aktueller denn je. Christsein unter heutigen Bedingungen ist spannungsreich und spannend, aufreibend und – im guten Sinn – aufregend zugleich. Wenn ich Ihnen mit meinen Gedanken etwas Mut machen konnte, freue ich mich.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016