Kämpferin hinter den Kulissen

01. Januar 1900

Eine Frauenbewegung kennzeichnete schon das gesellschaftliche Leben des 12. und 13. Jahrhunderts. Es gab damals eine Reihe von Frauen – vornehmlich Adelige – die sich nicht auf ihre eigenen vier Wände beschränkten, sondern sich öffentlich mit großer Energie und Gewissenhaftigkeit bemerkbar machten. Zu diesen Frauen gehörten Hildegard von Bingen, Elisabeth von Schönau, Ortulana, die Mutter Klaras, Agnes von Prag, Elisabeth von Thüringen, Mathilde von Magdeburg und andere. Diese hervorragenden Persönlichkeiten übten Werke der Barmherzigkeit an den Armen. Unter ihren menschlichen Tugenden werden besonders ihre beispiellose Sorge für Haus und Familie, ihre Höflichkeit und Gastfreundschaft, aber auch ihr Interesse an den kulturellen, bürgerlichen und politischen Problemen gerühmt.
Einzigartig und unverkennbar unter diesen Frauen ist Klara. Der calvinistische Pfarrer Paul Sabatier beurteilt sie so: Sie erscheint als eine der edelsten Frauen, die in der Geschichtsschreibung vorkommen. Man hat den Eindruck, dass sie aus Demut hinter den Kulissen blieb.

Tochter eines Ritters. Kriegs- und Feuerzeichen prägten Umbrien, als Klara Offreduccio di Favarone 1193 in Assisi geboren wurde. Spannungen gab es zwischen Konrad von Urslingen, der in der Burg von Assisi die kaiserlichen Rechte und feudalen Gesetze vertrat, und der Stadt mit ihren Leibeigenen, dem kleinen Volk und den stolzen, selbstbewussten Bürgern.
Auch die Bevölkerung Assisis war gespalten. Es gab die Majores, die Adeligen, und die Minores, das kleine Volk. Klaras Familie gehörte zu den ersteren. Ihr Elternhaus lag links vor dem Dom San Rufino in Assisi. Ihr Vater und ihre beiden Onkel Monaldo und Scipione galten als adelige, mächtige Herren in der Stadt. Waffen, Pferde, Bedienstete mit dem entsprechenden Lebensstandard und höfisches Milieu prägten diese Ritterfamilie.
Klara war etwa 13 Jahre alt, als sich vor dem Bischofspalast die Szene abspielte, in der sich Franziskus vor dem Bischof öffentlich und feierlich von seinem Vater lossagte. Klara war auch betroffen, als sich die Konflikte zwischen Majores und Minores in Assisi so steigerten, dass die Adeligen nach Perugia fliehen mussten. Unter ihnen war auch die Familie Klaras.

Herzenswunsch Christusnachfolge. Klaras geistliche Berufung ist ein Geheimnis, das sich uns nicht entschleiert. Sicher lässt sich sagen, dass sie kein Damaskuserlebnis war, sondern ein stufenweises, langsames Wirken der Liebe Gottes, die ihr Herz zunehmend faszinierte.
Ihre Weigerung zu heiraten machte den Eltern Sorge. Ihren in der Stille gereiften Herzenswunsch, ein Leben in den Fußspuren Jesu zu führen, behielt sie als ihr Geheimnis.
Von einer Predigt des heiligen Franziskus im Dom zu Assisi war sie so beeindruckt, dass sie sich entschloss, ebenfalls den Weg der Armut zu wählen.
Bald folgten heimliche Begegnungen zwischen Klara und Franziskus. Vermutlich hatte sie Bruder Rufino, der Cousin Klaras, vermittelt. Klara wünschte diese Heimlichkeit, weil sie wusste, dass sie mit ihren Plänen die Absicht der Eltern störte und sie fürchtete, dass auch andere junge Mädchen aus Assisi mit ihr diesen Weg gehen könnten. Natürlich musste sie auch auf das Misstrauen und die Geschwätzigkeit der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Deshalb hatten sowohl die 17-jährige Klara, als auch der 28-jährige Franziskus jeweils eine Begleitung, wenn sie sich trafen.

Unwiderrufliche Weihe. In der Nacht des Palmsonntags 1212 verließ Klara heimlich Haus, Familie und Heimatstadt, um nach Santa Maria von Portiunkula in der Ebene bei Assisi zu gehen. Noch am selben Abend bat Klara den Herrn, sie in ihrem neuen Lebensstil zu unterstützen. Als Zeichen ihrer Hingabe an Gott schnitt Franziskus ihre langen Haare ab, gab ihr das Büßergewand und brachte sie in die Benediktinerinnenabtei San Paolo in Bastia. Kurz darauf kamen ihre Angehörigen und versuchten, die Aussteigerin durch Schmeicheln und Drohungen nach Hause zurückzuholen. Doch Klara nahm ihren Schleier ab, zeigte ihren kahl geschorenen Kopf als Zeichen Ihrer unwiderruflichen Weihe an den Herrn und hielt sich am Altar der Kirche (Symbol für Christus) fest.
Franziskus erbat nun vom Bischof von Assisi das kleine Heiligtum San Damiano am Rande der Stadt, um Klara und ihrer künftigen Gemeinschaft ein Leben in Buße, Gebet und Arbeit zu ermöglichen.

Als Vorbild vollkommen. Persönliche Charakteristika Klaras waren nach Zeugenaussagen: ehrenhaft und von gutem Ruf, liebenswürdig und höflich. Sie wirkte selbständig und entschieden. Die Männer bemerkten, dass sie schön von Angesicht war und als sie noch im Vaterhaus lebte, trug sie ein weißes und raues Gewand unter ihren anderen Kleidern. Johannes Ventura, der als Bediensteter im Hause Offreduccio lebte, berichtete bei der Zeugenbefragung, dass sie fastete und betete und andere fromme Werke tat, wie er sah.
Klara wurde zum faszinierenden Beispiel, dem viele nachfolgten. Thomas von Celano schildert, wie der Quell des Glaubens, der durch Klara im Spoletotal entsprungen war, zu einem Strom anschwoll und die ganze Kirche erfasste. Überall entstanden neue Gemeinschaften.

Der Ruf ihrer Vollkommenheit erfüllte die Zimmer vornehmer Frauen, erreichte die Paläste von Herzoginnen, ja drang sogar hinein bis in die innersten Gemächer der Königinnen. Der höchste Adel beugte sich herab, ihren Fußspuren nachzugehen und sie, ein Sprössling stolzen Blutes, verleugnete sich in ihrer Demut. Gar manche Herzoginnen und Königinnen, zur Ehe berufen, taten strenge Buße, von Klaras Vorbild ermuntert; und die, welche einen Mächtigen geheiratet hatten, ahmten Klara in ihrer Weise nach. Viele Städte errichten sich Klöster, aber auch auf ebenem Land und auf Berghöhen entstehen solche himmlische Bauten. (Celano, Leben,11).

Tatsächlich entstanden schon zu Klaras Lebzeiten viele Gemeinschaften, die sich am Modell ihrer Gemeinschaft in San Damiano orientierten. Selbst Abteien von Benediktinerinnen erbaten beim Papst die Erlaubnis, sich der neuen Lebensweise anzuschließen (Valle Gloria in Spello).

Konsequente Kämpferin. Klara ging ihre eigenen Wege, weil sie der Geist des Herrn dazu drängte. Wie Klara sich ihrer Familie gegenüber durchsetzte, so erwies sie sich auch später als konsequente Kämpferin. Dies gilt zum Beispiel für ihr Ringen um die Armut. In ihrem Brief an Agnes von Prag schilderte sie ihre persönliche Erfahrung: Wahrhaft glücklich, wem es gegeben ist, diese heilige Lebensgemeinschaft (mit Jesus) zu erlangen, um mit allen Fasern des Herzens demjenigen anzuhangen, dessen Schönheit alle seligen himmlischen Heerscharen unaufhörlich bewundern, dessen Liebe reich beschenkt, dessen Anschauung erquickt, dessen Güte sättigt, dessen Liebenswürdigkeit erfüllt…
K
lara hatte erlebt, dass der Herr liebt und trägt und für seine Kinder sorgt. Deshalb wollte sie arm leben. Auf keinen Fall sollten materielle Dinge ihre Freundschaft zu Jesus stören, sich nicht zwischen sie und ihren Herrn schieben.
Sie rang mit dem Papst um die franziskanische Seelsorge an den Schwestern. Als der Papst anordnete, dass in Zukunft niemand mehr ohne besondere Erlaubnis des apostolischen Stuhles mit den Schwestern in Kontakt kommen dürfe, schickte Klara alle Brüder zu ihrem Ordensgeneral zurück, weil sie keine Almosensammler haben wollte, die nur das Brot des Leibes besorgten (dies wäre weiterhin erlaubt gewesen), nachdem die Schwestern die Spende des geistlichen Brotes (Eucharistie und Predigt) nicht haben durften. Sie wollte, dass die Brüder den Tisch des Brotes und des Wortes deckten; deshalb ihre Art Hungerstreik! Der Papst gab nach.
Als große starke Frau erwies sich Klara auch bei der Erstürmung von Assisi und San Damiano durch die plündernden Truppen Friedrichs II. von Hohenstaufen. Sie trat den wilden Horden tapfer und betend entgegen und bezeugte so, woher sie ihr Vertrauen hatte und bei wem sie Kraft schöpfte. Die Feinde zogen ab.
Klara war bis dahin die einzige Frau, die eine eigene Regel für Frauen geschrieben hatte, vorher hatten nur Männer Ordensregeln gestiftet. Sie lehnte auch die Regel, die Papst Innozenz IV. für ihre Gemeinschaft geschrieben hatte, ab. Es war ein Ringen, das sich über Jahrzehnte hinzog. Zwei Tage vor dem Tod der Ordensgründerin wurde die von ihr verfasste Regel durch den Papst bestätigt. Erst dann konnte sie in Ruhe sterben.

Geschwisterliche Liebe. Kleine Pflanze des heiligen Vaters (Franziskus) nennt Klara sich selbst. Sie ist ohne Franziskus nicht zu denken. Als Klara am Ende ihres Lebens in ihrem Testament auf ihren geistlichen Weg zurückschaute, schrieb sie: Und zur Liebe gegen uns bewegt, verpflichtete er sich, immer für uns … fleißig besorgt und auf ganz besonderer Weise um uns bekümmert zu sein, sowohl in eigener Person, als auch durch seinen Orden (Test 8). Es war eine Beziehung tiefen Vertrauens und kostbarer Liebe. Es war nicht so, dass Franziskus der große Meister war und Klara die kleine Schülerin. Sie rangen miteinander um die konkrete neue Lebensform. Eine Schwester berichtete von einem Traum, den Klara im Kreis der Schwestern erzählte. In diesem Traum geht es um ihre Beziehung zu Franziskus. Die Freiheit, in der Klara einen solch intimen Traum erzählen konnte, ist faszinierend. Klara wollte Franziskus dienen und konnte dabei aus Liebe leicht alle Hindernisse überwinden. Die Begegnung mit ihm erlebte sie als sehr bereichernd.
Die Beziehung zwischen Franziskus und Klara war nicht immer gleich beschaffen. Sie musste einen Klärungs- und Verwandlungsprozess durchlaufen. Es war ein Ringen, in dem nicht das persönliche Sehnen und Wünschen das letzte Wort hatte. Was zählte, war der Herr und ein glaubwürdiges Leben in seiner Nachfolge. Die beiden wussten sich erst von dem Zeitpunkt an in einer tiefen Freundschaft verbunden und empfanden keinen Trennungsschmerz mehr, als sie gelernt hatten, den anderen loszulassen und an den Herrn zurückzugeben hatte. Beide entschieden sich für den Herrn und durften erfahren, wie großzügig er ist. Er ließ sie emotional nicht verhungern; sie durften einander als Geschenk vom Herrn empfangen.  

Auftrag Arbeit. Gerade die Menschen unserer Tage, in denen das Tun und Haben vor dem Sein und Leben steht, werden fragen: Was haben Klara und ihre Schwestern in San Damiano getan? War es nicht ein vergeudetes Leben? War es kein Zeitverlust? Klara würde auf die Frage Was tut ihr? wohl nicht einen Katalog von Arbeitsbereichen aufzählen und versuchen, ihre Lebensweise zu rechtfertigen. Sie würde antworten: Uns geht es nicht in erster Linie um Aktionen, sondern um ein Leben nach dem Vorbild Jesu Christi. Klara sprach von der Gnade der Arbeit ebenso wie Franziskus. Sie sah in dem Engagement Jesu Christi Arbeit und wollte ihm auch darin folgen.
Die Arbeit war für Klara nicht drückende Last, sondern zuerst Gabe und Auftrag Gottes. Sie sah in ihr Element der Nachfolge Christi, der selber in Nazareth als Arbeiter gelebt hatte. Ihm weihte sie sich ganz. In der Lebens- und Schicksalsgemeinschaft mit Jesus wollte sie treu arbeiten. Zwei Punkte waren ihr wichtig: Die Arbeit sollte ehrbar und für die Gemeinschaft nützlich sein. Hinzu kam, dass sie darauf achtete, dem Geist des Gebetes und der Hingabe genug Entfaltungsraum zu geben.

Tätiges Zeugnis. Vielfältige Arbeitsbereiche taten sich den Schwestern trotz Klausur auf. Das vorrangigste Apostolat waren ihnen Gebet und Kontemplation. Die Schwestern wollten stellvertretend für alle Christen beten. Ihr Beten war Zeugnis und wirkte als gutes Beispiel. Die Schwestern waren auch auf das Heil der Menschen bedacht und brachten deren Anliegen stellvertretend vor den Herrn. Zu bestimmten Stunden verrichteten sie Tätigkeiten wie Gartenarbeit, Haus- und Sakristeidienste, Spinnen, Weben, Sticken und Nähen und die Sorge um pflegebedürftige Schwestern. So fertigten die Schwestern Korporalien, Altar-  und Tabernakelwäsche für die Kirchen der Stadt und der ganzen Gegend.
Die geistliche Begleitung vieler gehörte ebenso wie die Unterrichtung der Schwestern zu den Diensten Klaras. Sie war nicht nur den Schwestern in San Damiano Lehrerin und Wegweiserin beziehungsweise geistliche Begleiterin, sondern auch vielen Laien und Würdenträgern, die zu ihr kamen.
Das Charisma des Heilens war eine besonders leuchtende Gabe Klaras. Sie heilte Schwestern und Außenstehende, Männer und Frauen. Bei diesen Heilungen setzte Klara immer ihre ganze menschliche Wärme und Zärtlichkeit ein, sie berührte, beschenkte, wendete sich den Kranken zu. Letztlich war es die Menschenfreundlichkeit Gottes, die den Kranken durch Klara zukam. Sie wurde greifbar durch das Kreuzzeichen, das sie über die Kranken machte.

Geh hin, Geheiligte! Klara hatte einen langen Sterbeweg zu gehen. Trotzdem war sie vom Herrn mit solcher Kraft ausgerüstet, dass sie alle, die zu ihr kamen, im Dienste Christi stärkte (Celano,Leben,44). Klara wollte noch einmal ihre geistlichen Brüder sehen. Diese durften die Klausur betreten. Sie sollten von ihren Erfahrungen mit dem Herrn Jesus erzählen. Nur um ihn ging es Klara. Mehr als 40 Jahre waren sie getrennt gewesen. Die Brüder Juniper, Angelo und Leo schenkten ihr großen Trost. Auch der Papst und die Kardinäle kamen an Klaras Sterbelager. Vom Heiligen Vater erbat sie die Vergebung ihrer Sünden. Er gab ihr das Gnadengeschenk voller Lossprechung und reichsten Segen (Celano, Leben, 42). Kurz vor ihrem Sterben sagte Klara: Herr sei gepriesen, weil du mich erschaffen hast. Und zu sich selber sagt sie: Geh hin, denn der dich erschaffen hat, hat dich geheiligt. Er hat dich stets behütet, wie eine Mutter ihr Kind und dich mit zärtlicher Liebe geliebt.
Klara starb am 11. August 1253. Sie wurde zunächst in San Giorgio in der Stadt Assisi in Gegenwart des Papstes beigesetzt. Dieser sprach sie am 15. August 1255 heilig. Zu ihrer Ehre wurde in Assisi eine Basilika gebaut, die 1260 soweit fertig war, dass man den Leib der Heiligen dorthin übertragen konnte. Nach dem Erdbeben von 1997 wurde die Krypta der heiligen Klara verändert und wertvolle Erinnerungsstücke dort ausgestellt.
Aus der kleinen Pflanze des Franziskus wurde inzwischen ein großer Baum. Der Orden der heiligen Klara bewahrt heute auf der ganzen Welt das kostbare Erbe seiner Gründerin.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016