Kanzel und Katheder: Neue Brüder werden ausgebildet

27. September 2021 | von

Die achte Folge unserer Jubiläumsreihe wirft einen Blick auf eine der Tätigkeiten, die immer mehr an Bedeutung gewinnt bei den ersten Brüdern: das Predigen. Das aber hat Folgen für den inneren und äußeren Aufbau der Gemeinschaft.

Die erste Generation von Minderbrüdern in Deutschland gründete nicht nur unermüdlich neue Konvente in den Städten, sondern bemühte sich ebenso darum, mit ihren Predigten die unterschiedlichsten Kreise eines städtischen Publikums zu erreichen. Kurzum, das Predigen stieg früh zum zentralen Element franziskanischer Verkündigung auf. Allerdings zeigte sich sehr bald auch, dass die anfangs noch einfachen Predigten, in denen die Brüder zur Buße und Umkehr aufriefen, nicht ausreichten, um die Menschen dauerhaft zu erreichen. Die Predigtthemen wurden vielfältiger, das theologische Verständnis wie die Sprache anspruchsvoller. Diese gesteigerten Erwartungen spiegelten sich auch in dem drängenden päpstlichen Wunsch nach qualifizierter Predigt durch die neuen Bettelorden.

Entscheidung für Predigt – und Studium

Während die Dominikaner – wie ihr offizieller Ordensname „Orden der Prediger“ (ordo praedicatorum) klar ausdrückt ­– den Anspruch ohne Vorbehalte und konsequent erfüllten, zögerten Franziskus und seine Minderen Brüder zunächst. Sie fürchteten die Konsequenzen für ihre Lebensweise in Armut und Demut, die sich aus der Ausweitung ihrer Predigttätigkeit ergeben könnten. Franziskus bringt das in einem kurzen Brief an den in gleichem Maße gebildeten wie begabten Theologen und Prediger Antonius von Padua, der 1220 seiner Gemeinschaft beigetreten war, auf den Punkt: „Es gefällt mir, dass du den Brüdern die heilige Theologie vorträgst, wenn du nur nicht durch dieses Studium den Geist des Gebetes und der Hingabe auslöschst, wie es in der Regel steht.“ Mit Respekt erkennt Franziskus das Studium der Theologie an, mahnt aber zugleich, darüber nicht das eigentliche franziskanische Leben zu vernachlässigen. Eine für Lehrer und Schüler gleichermaßen herausfordernde Wanderung auf schmalem Grat, denn die Sorge um eine Entfremdung vom Ordensideal war und ist real.

So gehören zu den unabdingbaren Voraussetzungen für ein Studium der Theologie, das für eine Predigttätigkeit qualifiziert, nun einmal Bücher. Diese waren für viele Menschen des Mittelalters unerschwinglich teuer, und nur unter großem Zeitaufwand und enormen Mühen zu beschaffen, weil es nötig war, über weite Strecken von Bibliothek zu Bibliothek zu laufen, um vor Ort den gesuchten Text auf Pergament abschreiben zu können. Hinzu kam, dass aus Mangel an Schulen und Universitäten die Brüder ein eigenes Studienwesen aufbauen mussten. Derweil die Brüder vor allem in Oxford und Paris sich an die noch jungen Universitäten anlehnen konnten, mussten sie im Deutschen Reich einen eigenen Weg gehen. Hier bauten sie ein zunächst universitätsfernes Studienwesen auf, denn es sollte im Reich erst ab Mitte des 14. Jahrhunderts zu Gründungen von Universitäten kommen, an denen dann auch Franziskaner lernten und lehrten.

Wissenschaft auf dem Vormarsch

Wie wichtig der Ordensleitung der frühzeitige Unterhalt eines Studiums in den einzelnen Ordensprovinzen war, lässt sich in der Chronik des Jordan von Giano zum Jahr 1228 nachlesen: „Da der Generalminister Bruder Johannes Parens hörte, die (Provinz) Theutonia habe noch keinen Lektor der Theologie, befreite er in demselben Jahr Bruder Simon vom Amt des Provinzials, er bestimmte ihn zum Lektor und Bruder Johannes von Piano di Carpini zum Minister.“ Um einen geeigneten Theologie-Dozenten berufen zu können, scheute sich der Generalminister also nicht, die Leitung der Provinz auszutauschen. Als Ort des Studiums wurde Magdeburg bestimmt. Leider starb Bruder Simon von England schon 1230 und es folgte sein Landsmann Bruder Bartholomäus, der aus Paris an die Elbe wechselte. Welche Wertschätzung die Brüder ihrem neuen Theologie-Lehrer entgegenbrachten, ist wörtlich zu nehmen: Sie schickten zwei Brüder nach Paris, um Bartholomäus das Ehrengeleit in ihre Provinz zu geben. Und Bartholomäus erfüllte die Erwartungen. Hier verfasste er sein Lebenswerk mit dem Titel „De proprietatibus rerum“ (Über die Eigentümlichkeit der Dinge), eine Enzyklopädie des mittelalterlichen Wissens, die über Jahrhunderte Standards setzen sollte. Beispielsweise zeigte sich der wohl bekannteste Franziskanerprediger des 13. Jahrhunderts in Deutschland, Berthold von Regensburg, stark vom Werk des Bartholomäus beeinflusst. Ob Berthold auch in Magdeburg studiert hat, ist allerdings unsicher. Jedenfalls stieg das Magdeburger Studienhaus rasch zu einem Wissenschaftszentrum auf, das weit über die Grenzen der Provinz und sogar des Ordens ausstrahlen sollte. Es sollte aber nicht lange der einzige Ort bleiben, an dem die Brüder ausgebildet werden sollten. Mit Berthold entwickelten sich Regensburg und Augsburg zu frühen Orten franziskanischer Bildung im süddeutschen Raum. Lamprecht von Regensburg schrieb um 1238 mit seinem „Sanct Francisken Leben“ die erste deutschsprachige Franziskus-Legende. Er trat daraufhin in Regensburg in den Orden ein, wo er vermutlich mit David von Augsburg auf einen Novizenmeister traf, der vor allem mit seinem Werk „Vom äußeren und inneren Menschen“ ein erfolgreiches Lehrbuch vorlegte. David arbeitete zudem als Prediger und Gefährte des Berthold von Regensburg eng mit diesem zusammen. Ein weiteres Studienzentrum entstand in Köln, an das 1307 mit Johannes Duns Scotus einer der wichtigsten Theologen und Philosophen des lateinischen Mittelalters zum Lektor berufen wurde. Er starb indes schon ein Jahr später in der Rheinmetropole.

Ohne Studium keine Kanzel

Diese wenigen Schlaglichter zeugen von den erfolgreichen Anstrengungen der Franziskaner, ein leistungsstarkes Bildungswesen für die Brüder in Deutschland aufzubauen, das jeder Priesterbruder durchlaufen sollte, bevor er die Erlaubnis zu predigen erhielt. Es zeigt bildlich gesprochen: Kanzel und Katheder bedingten jetzt einander. Ohne Studium durfte kein Franziskaner die Kanzel betreten. Die normative Kraft des Faktischen setzte sich zwar grundsätzlich durch, es bedurfte aber seitdem immer wieder spannungsreicher Neujustierungen im Verhältnis von franziskanischer Armut und Bildung.

Zuletzt aktualisiert: 04. Oktober 2021
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