Kein Leben eines Taugenichts

24. Oktober 2008 | von

 Mit seiner volksliedhaften Lyrik voll Klang und Magie avancierte Joseph Freiherr von Eichendorff zum bedeutendsten und beliebtesten Dichter der Romantik. Unsterblich aber wurde er durch seine märchenhafte und augenzwinkernde Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts".



Ein Name findet sich noch immer in den Zeitungen, wenn auch nicht auf den Literaturseiten, sondern als Autor unter Gedichtzeilen, die einer Traueranzeige poetische Weihen geben: „Und meine Seele spannte / weit ihre Flügel aus, / flog durch die stillen Lande, / als flöge sie nach Haus." Doch wer kennt noch die ersten Strophen?



Vertonte Zauberworte. Die „Mondnacht" ist nur eines von rund 5000 vertonten Gedichten des vor 220 Jahren in Schlesien geborenen Joseph von Eichendorff. Schon 1835 befand der Kritiker August Kahlert: „Seine Lieder atmen Musik; sie sehnen sich danach, und die Tonsetzer können kaum glücklichere Texte finden, als jene Schriften darbieten." Robert Schumann, Felix Mendelssohn Bartholdy, Johannes Brahms, Friedrich Glück, Hugo Wolf, Hans Pfitzner und viele andere

fassten Eichendorffs Lyrik in Melodien. Darunter fanden nicht wenige den Weg von großbürgerlichen Hausmusikabenden ins volkstümliche Liedgut. Oft weiß man den Namen des Dichters gar nicht mehr zu nennen, so vertraut sind sie. „Wem Gott will rechte Gunst erweisen", „Mich brennt’s in meinen Reiseschuh’n", „O Täler weit, o Höhen, o schöner grüner Wald" oder „In einem kühlen Grunde" sind wahre Volkslieder geworden. Schon Eichendorffs Zeitgenosse Friedrich von Schlegel stellte die Frage, ob seine Gedichte noch Kunst seien oder schon wieder Natur.

Andere Gedichte wiederum, wie etwa „Die Wünschelrute" („Schläft ein Lied in allen Dingen, / die da träumen fort und fort. / Und die Welt hebt an zu singen, / triffst du nur das Zauberwort.") werden im Schulunterricht als Inbegriff deutscher Romantik präsentiert. Eichendorffs Poesie ist voll Klang und Magie, voll Sehnsucht und

Transzendenz.



Kindheitsparadies. Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff wird am 10. März 1788 auf Schloss Lubowitz in Oberschlesien geboren. Die nächs-te Stadt, Ratibor, gehörte damals zu Preußen. Sein Vater, Adolf Theodor Rudolf von Eichendorff, war preußischer Offizier, bevor er das neuerbaute klassizistische Schloss samt Gutsbesitz und Dorf Lubowitz seinem Schwiegervater für einen stattlichen Preis abkaufte. Joseph wächst hier zusammen mit dem zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm und der jüngeren Schwester auf. Durch geistliche Hauslehrer erhalten die Brüder eine streng katholische Erziehung.

Das aristokratische Landleben des späten 18. Jahrhunderts – mit Bällen, Jagden, Schlittenfahrten, Hauskonzerten und großzügiger Haushaltsführung – lebt in vielen seiner Werke fort. Das poetische Kindheitsparadies geht jedoch bald verloren: Der Vater ist wirtschaftlich wenig erfolgreich und verspekuliert sich. Nicht erst seit der Zwangsversteigerung von Lubowitz im Jahr 1823 ist die literarisch überhöhte Landschaft seiner Jugend für Eichendorff mit der Erfahrung der Entbehrung verknüpft: Lust und Verlust – eine Ambivalenz, die sein Werk durchzieht.



Ernste Zeiten. Die glückliche Geborgenheit weicht der Notwendigkeit, durch ein erfolgreiches Jurastudium einen auskömmlichen Beamtenposten zu finden. Joseph von Eichendorff studiert zunächst in Breslau und Halle, dann in Heidelberg, wo er 1808 nähere Bekanntschaft mit Joseph Görres macht. Neben der Jurisprudenz studiert er Italienisch und Französisch, nimmt Gitarrenunterricht und diskutiert mit den Protagonisten der deutschen Romantik. Als „Florens" wird er in den „Eleusischen Bund" des Grafen von Loeben aufgenommen. Im Gegensatz zu vielen Romantikern verliert Eichendorff jedoch nie die Realität aus den Augen – die Zeiten sind zu ernst. So sprechen beispielsweise die zweite und dritte Strophe des von Friedrich Glück, einem komponierenden Pfarrer im Vormärz, vertonten Gedichtes „In einem kühlen Grunde" deutlich von Krieg und Tod.

Im Jahr 1809 verlobt sich Joseph von Eichendorff in Lubowitz mit einer jungen Adeligen aus der Nachbarschaft. Aloysia Aurora Victoria von Larisch ist nicht die gute Partie, die seine Eltern angesichts der finanziellen Misere vorgezogen hätten. Ganz romantisch siegt bei ihm aber Liebe über die Vernunft, zu Wohlstand wird er es im Leben nicht bringen. 1810, während des Studiums in Wien, kommt Eichendorff, der schon in Breslau ein eifriger Leser und großer Freund des Theaters war, mit Friedrich und Dorothea Schlegel in Kontakt. Dorothea ermutigt den jungen Dichter, sein Manuskript „Ahnung und Gegenwart" zu veröffentlichen.

1815 heiratet das Paar, Joseph zieht bald darauf gegen Napoleon zu Felde, 1816 kehrt er zurück. Erst 1819, nach dem zweiten Staatsexamen, wird er Beamter. Bis 1844 wird er auf verschiedenen Posten diesen Brotberuf behalten, dann lässt er sich vorzeitig pensionieren, da seine katholische Einstellung ihn zunehmend in Konflikte mit dem Preußenstaat bringt.



Unsterbliche Novelle. Neben seiner Arbeit veröffentlicht er Novellen und Romane, Lustspiele und Gedichte. Zu den bekanntesten Werken zählen „Ahnung und Gegenwart" (1815), „Das Marmorbild" (1816), „Aus dem Leben eines Taugenichts" (1826), „Dichter und ihre Gesellen" (1834) und „Schloss Dürande" (1836). Später widmete er sich auch literarhistorischen Arbeiten, doch die lyrische Erzählung „Aus dem Leben eines Taugenichts" mit ihrem märchenhaften Zauber und ihrer augenzwinkernden Ironie wird es sein, die ihn unsterblich macht.

Heute gilt Joseph von Eichendorff als bedeutendster Dichter der deutschen Hochromantik. Dieter Struss charakterisiert in seinem Band „Deutsche Romantik" Eichendorffs Werke so: „Er beschwor die Welt des Rokoko, in der er aufwuchs, aber er durchsetzte sie mit Elementen romantischer Unstetheit und gefährlichen Irrlichtern. Die Welt des Rokoko war ihm abgelebt und verstaubt, aber der romantische Gefühlsüberschwang war ihm ebenfalls suspekt. Ihm war die Gefährdung des Menschen in einer Zeit des Umbruchs bewusst."



Das Leben – ein Fest. So schildert Eichendorff in Zeiten von Kriegen und Revolutionen, von Restauration und der Wende zum Industriezeitalter das ländliche Leben seiner Kindheit und Jugend, die Harmonie seiner Heimat und die Sehnsucht nach südlichen Landschaften – meist schwebend zwischen Märchenwelt und Wirklichkeit. Ein ganz eigenartiger Kosmos prägt die Szenerie seiner Romane und Novellen, die durchwirkt sind mit so vielen eingestreuten Liedern.

Seine Akteure sind vielfach Edelleute, Studenten, Mönche, Musikanten, Bauern, Gaukler, Verkörperungen der Venus oder engelhafte Frauen. Gegensätze der seelischen Gestimmtheit seiner Protagonisten zeigen sich oft als Freude und Traurigkeit, freies Künstlerdasein und fromme Innerlichkeit. Die Natur erscheint bei ihm in wiederkehrenden Begriffspaaren wie „Berg und Wald", „Nachtigall und Lerche", „ummauerte Gärten und schroffe Gipfel": allesamt beschwörende Symbole für die Schönheit der Schöpfung. Den unsteten Zeiten setzt Eichendorff die zeitlose Schönheit seiner Ideal-Landschaft entgegen und lässt sie zur Hintergrundmelodie werden im Fest des Lebens. Doch diese Apotheose der Natur ist bei ihm auch immer wieder durchwoben von der Ahnung des Abschieds…



Abschied. Nach seiner Verabschiedung aus dem Staatsdienst reist Eichendorff im Winter 1846/47 ein letztes Mal nach Wien. Hier trifft er mit Robert und Clara Schumann zusammen. Clara überlieferte der Nachwelt Eichendorffs Kommentar zu den Vertonungen seiner Gedichte durch ihren Mann: Er habe seinen Liedern erst Leben gegeben! Auch Eichendorff selbst wird gebührend gewürdigt durch Musiker und Schauspieler des Künstlervereins Concordia und im Musikverein.

1857 erkrankt Eichendorff bei den Vorarbeiten zu einem Werk über Schlesiens Schutzpatronin, die heilige Hedwig. Am 26. November 1857 stirbt der Dichter an einer Lungenentzündung, verlässt diese Welt, deren Wälder, Täler und Höhen von ihm in seinen Werken wie Vorhöfe des Paradieses dargestellt worden sind. Er wird neben seiner 1855 verstorbenen Frau auf dem Friedhof in Neisse bestattet.







 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016