Kniebeuge vor einem Lüstling

24. Oktober 2008 | von

 Zeitlebens muss es den heiligen Antonius beschäftigt haben, dass sein Angebot, als Märtyrer für den katholischen Glauben zu sterben, von Gott nicht angenommen wurde. Auch die Autoren seiner Lebensbeschreibungen greifen dieses Motiv mehrfach auf – und verweben es in wunderbaren Legenden wie der vom bekehrten Notar.



Für den historischen Aufenthalt des heiligen Antonius in Frankreich in den Jahren 1224 bis 1227 hat sich leider kein Chronist gefunden, der über das Leben und Wirken unseres Heiligen chronologisch berichtet. Wie nachhaltig Antonius bei der gläubigen Bevölkerung in Erinnerung geblieben ist, zeigen die vielen Legenden, die Jahre und Jahrzehnte nach dem Aufenthalt des Heiligen in Frankreich aufkommen und in denen von seinen Großtaten und Wundern erzählt wird.



Ehrenvorschuss. Im Septemberheft konnten Sie lesen, wie eine Hausfrau auf den Dachboden stieg, um der Predigt des heiligen Antonius zu lauschen. Erfahren haben Sie auch die Geschichte von der schwangeren Frau, der Antonius voraussagt, dass ihr Kind später die Krone des Martyriums erlangen wird. Der Franziskaner Bartholomäus von Pisa erzählt in seiner Legenda „Leben und Wunder des heiligen Antonius" aus dem Jahr 1385 in Kapitel 4 eine weitere sonderbare Geschichte ähnlichen Inhalts, die sich ebenfalls in der südfranzösischen Stadt Le-Puy-en-Velay zugetragen haben soll: „Der heilige Antonius besaß die Gabe, in die Zukunft zu blicken und Dinge vorherzusehen, die dann eintreffen sollten.

Durch göttliche Offenbarung waren ihm Sachverhalte bekannt, die sich in weit entfernten Gegenden zutrugen.

Als Beispiel dafür will ich von einer Begebenheit berichten, die ich von einem vertrauenswürdigen Bruder mit eigenen Ohren gehört habe. Zu der Zeit, als der selige Antonius in der Stadt Le-Puy-en-Velay lebte [in der Auvergne gelegen] und das Amt eines Guardians im dortigen Konvent der Minderbrüder ausübte, gab es im Ort einen gewissen Notar, der durch und durch lüstern war, zuchtlos lebte und den Kreisen der Schickeria angehörte. Diesem Notar begegnete Antonius häufig auf der Straße und jedes Mal tat er etwas Eigenartiges: Er zog seine Kapuze ab und kniete sich vor dem Notar auf die staubige Erde nieder. Natürlich bemerkte das dieser Lüstling und versuchte, sich einen Reim darauf zu machen. Er vermutete, Antonius wolle ihn auf den Arm nehmen und der Lächerlichkeit preisgeben. Daher versuchte er, wo er nur konnte, einen weiten Bogen um den seligen Antonius zu machen und jegliche Begegnung mit ihm zu vermeiden.

Doch eines Tages, als der selige Antonius diesen Notar wieder einmal traf und sich so verhielt wie immer, explodierte der und fauchte ihn an: ‚Hätte ich nicht so viel Ehrfurcht vor Gott, dann würde ich dich mit meinem Schwert durchbohren, weil du mich vor allen Leuten derart lächerlich machst. Warum beugst du deine Knie vor mir?‘ Ihm antwortete darauf der selige Antonius, von prophetischem Geist erleuchtet: ‚Weißt du, vor Jahren habe ich versucht, mich selbst Gott als Märtyrer anzubieten; doch fand meine Bitte kein Gefallen vor seinen Augen. Du aber, und dies hat mir der Herr selbst offenbart, wirst einmal als glorreicher Märtyrer sterben. Und ich bitte dich heute schon von Herzen: Lege ein Memento für mich ein, wenn du dereinst als Märtyrer im Todeskampf liegst!‘ Der Advokat aber, als er das hörte, lachte dem seligen Antonius ins Gesicht.



Glaubenszeuge Lebemann. Wie geht die Geschichte weiter? Der Bischof von Le-Puy-en-Velay bricht mit vielen Gefährten nach Jerusalem auf, um den Sarazenen den katholischen Glauben zu predigen. Auf göttliche Eingebung hin schließt sich auch unser Notar dieser Gruppe an; zuvor verkauft er seinen gesamten Besitz. Als der Bischof dann nur sehr lau und halbherzig vor die Sarazenen hintritt und ihnen predigt, lässt es ihm unser Notar dreimal durchgehen. Schließlich wirft er dem Bischof vor, dass er den christlichen Glauben nicht glühenden Herzens predige und verteidige. Nun spricht der Notar selbst zu den Sarazenen; er bezeichnet Jesus Christus als Gott und Mohammed als „Sohn des Teufels" und „Sohn des Verderbens" (Joh 17,12; 1 Thess 2,3).

Wie er nun den christlichen Glauben mit aller Standhaftigkeit predigt und verteidigt, wird er von den Sarazenen ergriffen und drei Tage lang schlimmsten Folterungen unterworfen. Als diese zu Ende sind und er zur Hinrichtung geführt wird, macht er allen Umstehenden kund, dass ihm Bruder Antonius vorausgesagt habe, er werde einmal den Märtyrertod erleiden; dieser Mann sei ein großer Heiliger. Nach Abschluss des Martyriums kehren seine Gefährten in die Heimat zurück und berichten allem Volk darüber. Aus diesem Grund wachsen das Ansehen und die Verehrung des seligen Antonius."



Sarazenenschelte. Bei einer bestimmten Passage der Legende werden Sie vielleicht ein wenig gestutzt haben, liebe Leserinnen und Leser. Ich wiederhole diese Stelle und verwende die Antonius-Biographie von Emanuel von Azevedo aus Coimbra in Portugal, in einer Übersetzung aus dem Italienischen, angefertigt im Jahr 1838 in Bozen, daher die altertümliche Sprache.

Das Zitat verdanke ich wieder dem Bibliothekar des Franziskanerklosters in Würzburg, P. Willibrord Wiemann: „Da der Notar aber zuletzt die Ungläubigen selbst angriff und ihnen vorwarf, dass ihr Mahomet so viele und große Irrtümer ersonnen habe, dass er ein falscher Prophet und ein Sohn des Verderbens sei, der sich bereits in der Hölle befinde und alle seine Verehrer mit sich hinabziehe, da ergrimmten sie, schlugen ihn und ließen ihn drei Tage lang die schwersten Peinen empfinden und töteten ihn endlich nach deren Ablauf aus Hass gegen den christlichen Glauben." Derart beleidigende Worte gehören allerdings nicht zur Sprache des heiligen Antonius gegenüber den Muslimen. Selbst in der dreibändigen Ausgabe seiner „Sermones" finden sich keine Ausfälle gegen Muslime. Nur ein einziges Mal kommt das Wort Saracenus vor: Saracenus negat – ein Muslim bestreitet, dass Jesus Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist.



Toleranter Antonius. Erfahrungen mit Muslimen hatte Antonius sehr wohl. Als ehemaliger Augustiner-Chorherr in Coimbra und frisch gebackener Franziskaner war er voller Sehnsucht nach dem Martyrium als Missionar nach Marokko aufgebrochen, musste aber den Winter 1220/1221 krank in Marrakesch verbringen. Wir dürfen uns fragen: Wie konnte er als kranker christlicher Missionar diese langen Wintermonate unter Muslimen überleben? Bei Befragungen gaben mir kompetente Mitbrüder drei Deutungen: Sein Gefährte Filippo sei ihm beigestanden. Damals gab es zwischen Portugal und Marokko Handelsbeziehungen; portugiesische Kaufleute hätten ihrem Landsmann geholfen. Antonius konnte Arabisch, denn zu seinen Lebzeiten gab es noch ein Maurenviertel in seiner Heimatstadt Lissabon. Doch persönlich vermute ich, dass der kranke Antonius bei den Muslimen in Marrakesch Barmherzigkeit erfahren hat, und dass dies der Grund war, weshalb er zeitlebens eine Art theologischer Beißhemmung gegenüber den Muslimen hatte.



Wahrer Franziskaner. Ja, Antonius hielt sich an die Vorgaben seines Ordensvaters Franziskus, nachzulesen in der nicht-bullierten Regel (Kap. 16), mit denen auch Bischof Hinder seinen Beitrag über die Christen in Arabien abschließt. Die Brüder, die unter die Sarazenen gehen wollen, so heißt es dort, sollen um Gottes willen jeder menschlichen Kreatur untertan sein und einfach bekennen, dass sie Christen sind. Als Franziskus selber zum Sultan al-Malek al-Kamil will, fragen ihn die Sarazenen, wer er sei. Er antwortet: „Ich bin ein Christ" – also kein Kreuzfahrer. Dies war ein Schlüsselwort für die Sarazenen, heißt es doch im Koran 5,85: „Und ihr werdet immer erfahren, dass diejenigen, die sagen: ‚Wir sind Christen’, den Gläubigen in der Liebe am nächsten sind."

Die Kreuzfahrer wollen die ungläubigen Sarazenen unterwerfen. Franziskus fordert von seinen Brüdern das genaue Gegenteil. Er verlangt, dass die Brüder sich um Gottes willen den Sarazenen unterwerfen und in Dienstbarkeit Leben, Arbeit und Brot mit ihnen teilen zum Frieden. Dies ist die franziskanische Antwort auf die Kreuzzüge, wie sie Antonius selber gelebt hat.







 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016