Kreuzverehrung in der Liturgie

21. Februar 2014 | von

Kreuzwegandachten gehören in der österlichen Bußzeit zur praktizierten Volksfrömmigkeit. Franz von Assisi hatte vor dem Kreuz von San Damiano sein Berufungserlebnis und hielt seine Brüder zur Verehrung des heiligen Kreuzes an. Die ersten Franziskanerkirchen wurden meist auf den Titel sanctae crucis geweiht, so die Basilika Santa Croce in Florenz (der Legende nach soll Franziskus selbst den Grundstein gelegt haben). Die Übung der Kreuzesverehrung begann in Jerusalem, nach der Auffindung des Kreuzes Jesu durch die Kaiserinmutter Helena, und verbreitete sich über Rom auf die ganze Kirche aus.



Kein Kreuz, keine Kreuzesikone ist wohl in der ganzen Welt so bekannt wie das byzantinische Kreuz von San Damiano, von dem her um das Jahr 1206 Christus selbst zu Franz von Assisi gesprochen haben soll und von wo aus die franziskanische Bewegung ihren Anfang nahm. Der einstige Lebemann Franziskus war tief getroffen von dem Auftrag Christi, die zerfallene Kirche San Damiano, ja mehr noch die Kirche allgemein wiederaufzubauen, so dass er ein Leben in der Nachfolge Christi und in vollkommener Armut begann.



KREUZESMYSTIK DES FRANZISKUS

In einer durch das Mittelalter geprägten Kreuzesmystik verehrte Franziskus das Kreuz von San Damiano, das den lebendigen, aufrechten Christus zeigt. Er sprach bis heute überlieferte Gebete vor dem Kreuz; er gestaltete den Habit, das franziskanische Ordenskleid, bewusst in Kreuzesform; er erhielt kurz vor seinem Tod die Stigmata und ließ sich am Lebensende nackt wie Christus auf den nackten Boden legen.

In seiner Kreuzesfrömmigkeit griff Franziskus ein Gebet auf, das schon seinerzeit in der Liturgie des Karfreitags und in Brevieren unter den Festen Kreuzauffindung und Kreuzerhöhung im Kern bekannt war. Er erweiterte es um kleine Zusätze, wie es neben seinem Testament verschiedene franziskanische Quellenschriften bezeugen: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, hier und in allen deinen Kirchen auf der ganzen Welt, und wir preisen dich, weil du durch dein heiliges Kreuz die Welt erlöst hast.“

Auf diese Weise begrenzt Franziskus seine Anbetung nicht auf eine Kultstätte oder einen liturgischen Anlass, sondern er erweitert und vollzieht sie schon bei jedem Anblick einer Andeutung eines Kreuzes auch außerhalb des liturgischen Raumes und gibt ihr somit einen universellen Zug.

Diese nicht-eucharistische Anbetung ist ganz auf das Kreuz konzentriert. Bis heute ist das Gebet aus dem Testament Bestandteil der täglichen Gebete der franziskanischen Orden und Gemeinschaften, so dass ihnen diese durch ihren Gründer Franziskus vermittelte besondere Verehrung des Kreuzes am Herzen liegt.



KARFREITAG UND OSTERNACHT

In der offiziellen Liturgie der Kirche findet sich die Kreuzesverehrung heute explizit nur noch an wenigen Stellen. Zunächst ist die Feier des Karfreitags zu nennen, in der die Kreuzesverehrung wohl am deutlichsten erfahrbar ist. Bis zum vierten Jahrhundert kannte die Kirche die Liturgie des Karfreitags jedoch nicht. Die altchristliche jährliche Osterfeier war eine einzige Feier in der Osternacht. Diese legte noch nicht die spezielle Betonung auf die Auferstehung Christi, sondern brachte das gesamte Paschamysterium von Leiden, Tod und Auferstehung zum Ausdruck.

Sie war eine Ganznachtfeier, die in zwei Phasen eingeteilt war. Die erste Phase, die Trauerphase über das Leiden und den Tod Jesu, bestand aus Fasten, den Gebeten und dem Vortrag von Lesungen aus dem Alten Testament, den Psalmen und den Evangelien. Die sich anschließende Freudenphase über die Auferstehung ist durch die Eucharistiefeier und ein Mahl um Mitternacht oder am frühen Morgen gekennzeichnet.

PILGERIN EGERIA BERICHTET

Im vierten und fünften Jahrhundert setzte eine Entwicklung zu einer speziellen Ausprägung der eigenständigen Feiern an Gründonnerstag, Karfreitag und der Osternacht bzw. des Ostersonntags ein. Als Ursprungsort dafür muss Jerusalem angenommen werden, da Israel der Ort ist, an dem sich die Ereignisse um das Leben und den Tod Jesu historisch abgespielt haben. Die frühchristliche Pilgerin Egeria beschreibt in ihrem Reisebericht sehr detailliert, wie nach ihren Erfahrungen die Kar- und Ostertage in Jerusalem am Ende des vierten Jahrhunderts begangen wurden. Unter anderem erwähnt sie, dass der nachmittägliche Wortgottesdienst des Karfreitags (er bestand aus Lesungen, Psalmen und Gebeten) getrennt von einer individuellen Kreuzesverehrung am Vormittag stattfand.

Dabei wird das vermeintlich echte (und von Kaiserin Helena aufgefundene) Kreuz beim Golgothafelsen vom Bischof auf einen Tisch gelegt und von Diakonen bewacht. „Es wird deshalb so bewacht“, schreibt Egeria, „weil es üblich ist, dass das Volk, einer nach dem anderen, kommt, sowohl die Gläubigen als auch die Katechumenen. Sie verbeugen sich vor dem Tisch, küssen das heilige Holz und gehen weiter. Und weil irgendwann einmal jemand zugebissen und einen Splitter vom Kreuz gestohlen haben soll, deshalb wird es nun von den Diakonen, die (um den Tisch) herum stehen, so bewacht, dass keiner, der herantritt, wagt, so etwas wieder zu tun. So geht das ganze Volk vorüber – einer nach dem andern, alle verbeugen sich, berühren zuerst mit der Stirn, dann mit den Augen das Kreuz und die Inschrift, küssen das Kreuz und gehen weiter; aber niemand streckt die Hand aus, um es zu berühren.“



IN ROM ÜBERNOMMEN

Die von Egeria beschriebene Kreuzesverehrung ist zunächst gebunden an den historischen Ort in Jerusalem und an eine wahre Kreuzreliquie. Es handelt sich weiterhin nicht um ein gemeinschaftliches liturgisches Geschehen wie bei dem Jerusalemer Wortgottesdienst am Nachmittag, sondern um einen Akt privater Frömmigkeit.

Erst im achten Jahrhundert ist die Kreuzesverehrung des Karfreitags in der Kirche des Westens, in Rom, bekannt. Dort ziehen Papst und Klerus um 14 Uhr in Prozession von der Lateranbasilika barfuß zur Kirche Santa Croce in Gerusalemme. Während der Papst, das Weihrauchfass schwenkend, vorangeht, folgt ihm ein Diakon mit einem mit Gold und Edelsteinen verzierten Reliquiar, in dem sich ein weiterer Teil der Kreuzesreliquie befindet.

In der Kirche angekommen, stellt der Diakon das Reliquiar auf den Altar, worauf der Papst es öffnet, sich zum Gebet vor dem Altar niederwirft, im Anschluss die Kreuzesreliquie küsst und sich zu seinem Platz begibt. Daraufhin küssen alle anderen Kleriker ebenfalls die Reliquie auf dem Altar, bevor sie zu den Chorschranken gebracht und vom übrigen Volk geküsst wird.



WELTWEITE VEREHRUNG

Von besonderer Bedeutung ist, dass in den anderen Kirchen Roms ebenfalls eine Kreuzesverehrung stattfand, bei der jedoch schon von einer echten Kreuzesreliquie abstrahiert und ein jedes Kreuz zur Verehrung dargeboten wurde. Damit war der Weg geebnet, dass sich die Kreuzesverehrung universal ausbreiten konnte und somit im Laufe der Jahrhunderte verschiedene dramatische Ausgestaltungen erfuhr.

Erwähnt seien zum Beispiel die Einführung bestimmter liturgischer Gesänge, die bis heute in der Karfreitagsliturgie vorgesehen sind, oder der Brauch der Enthüllung des Kreuzes. Die Ursprünge der Verhüllung liegen zwar im Dunkeln, doch verbreitet sich der Ritus der Kreuzesenthüllung ab der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts stark aus.



ECCE LIGNUM CRUCIS

Die Kreuzesverehrung in unserer heutigen Karfreitagsliturgie steht zwischen dem Wortgottesdienst und der Kommunionfeier. Sie hat zwei formale Bestandteile: die Erhebung und die Verehrung des Kreuzes. Entweder wird ein von zwei Kerzen begleitetes, verhülltes Kreuz nach vorne zum Altar getragen und dem Priester übergeben. Dieser enthüllt es in drei Stufen, hält es jedes Mal empor und singt den Ruf „Ecce lignum crucis – Seht das Kreuz, an dem der Herr gehangen, das Heil der Welt“ (aus dem achten Jahrhundert), worauf die versammelte Gemeinde „Kommt, lasset uns anbeten“ antwortet und zu einer kurzen Gebetsstille niederkniet. Bei der zweiten Form der Erhebung wird das unverhüllte Kreuz vom Priester in Begleitung der Ministranten mit Kerzen in die Kirche hereingetragen. Die Prozession hält am Portal, in der Mitte der Kirche oder am Eingang zum Altarraum dreimal an, wobei der Priester das Kreuz mit dem Deuteruf zur Kreuzeserhebung emporhält und alle in der vorgesehenen Weise antworten und jeweils niederknien.

Nun folgt der zweite Teil, die eigentliche Kreuzesverehrung. Es „treten der Zelebrant, der übrige Klerus und die Gläubigen heran, ziehen am Kreuz vorüber und verehren es durch eine Kniebeuge oder ein anderes Zeichen der Verehrung (z.B. Kuss des Kreuzes)“, schreibt das Messbuch. Dann nimmt der Priester das Kreuz, stellt sich mitten vor den Altar, hebt das Kreuz empor und lädt die Gläubigen ein, es in Stille im Gebet zu verehren.



KUSS UND BLUMEN

Die Kreuzesverehrung an sich ist heute, wie schon in Jerusalem im vierten Jahrhundert, ein individueller Akt, auch wenn sie nicht getrennt ist von der gemeinsamen liturgischen Feier. Sie ist Ausdruck des persönlichen Glaubens an den gekreuzigten und auferstandenen Herrn und kann daher bis heute individuell durch Kniebeuge, Verneigung, Berührung, Kuss oder ein anderes Zeichen geschehen, entsprechend den lokalen kulturellen Gepflogenheiten. So wird es in immer mehr Pfarreien üblich, vor dem Kreuz Blumen abzulegen. Das Schenken von Blumen als profanes Zeichen des Dankes und der Wertschätzung entstammt der alltäglichen Lebenswelt der Menschen, fließt hier in die Liturgie ein und wird zu einem leicht verstehbaren Zeichen der Huldigung vor dem Gekreuzigten. Wenn die von den Gläubigen mitgebrachten Blumen sogar den späteren Osterschmuck für die Kirche bilden, wird ein Zweites symbolisiert: Die Blumen, ursprünglich abgelegt vor dem am Kreuz erhöhten und gestorbenen Herrn, unterstreichen ab der Osternacht die Freude über den selben, jetzt auferstandenen Herrn. Die Kreuzesverehrung impliziert also einen vorösterlichen Charakter.



EHRUNG DURCH WEIHRAUCH

Neben dem Karfreitag wird das Kreuz in der Liturgie auch noch an anderen Stellen verehrt, wenn auch auf den ersten Blick nicht so offensichtlich. Zum einen lässt sich das Prozessions- und Altarkreuz nennen, das auf oder neben dem Altar stehen und für die ganze Gemeinde gut sichtbar sein soll. Bis immerhin zum elften Jahrhundert hat es ein Altarkreuz nicht gegeben; es war sogar bis zum Ausgang des ersten Jahrtausends verboten, ein solches auf den Altar zu stellen. Stattdessen hing zumeist entweder ein Kreuz über dem Altar oder war hinter ihm auf eine Stange gesteckt, so dass es bei Prozessionen mitgetragen werden konnte.

Erst im sechzehnten Jahrhundert wurde das Kreuz zum verpflichtenden liturgischen Ausstattungsgegenstand des Altares. Es kann heute während jeder Messfeier und auch während des feierlichen Stundengebets eine besondere Verehrung durch die Inzensierung mit Weihrauch erfahren. Eine liturgische Handreichung sagt: „Befindet sich das Kreuz auf dem Altar oder in dessen Nähe, wird es vor der Inzensierung des Altars beräuchert; andernfalls, wenn der Priester an ihm vorübergeht.“



DAS KNIE BEUGEN

Sind Zeugnisse für den Gebrauch von Weihrauch bereits im dritten Jahrtausend vor Christus in Ägypten bekannt, wurde seine Verwendung im christlichen Gottesdienst zunächst abgelehnt, da er eine bedeutende Rolle im römischen Kaiserkult spielte. Erst als die Bischöfe im Römischen Reich die Rolle von Staatsbeamten erhielten, umfassten ihre Privilegien das Recht, sich auf der Straße Weihrauch vorantragen zu lassen, was sie für den Gottesdienst übernahmen. Als Zeichen der Verehrung (vgl. Mt 2,11) kann also der Weihrauch dem zu verehrenden Gegenstand oder der zu verehrenden Person vorangetragen oder ihm bzw. ihr entgegengeschwenkt werden, so wie es im Gottesdienst geschieht.

Zum anderen sei noch auf die Möglichkeit verwiesen, dem Kreuz im Rahmen einer Segnung eine Verehrung zu zeigen. Das aktuelle deutschsprachige liturgische Buch für Segnungen und Weihen, das Benediktionale, sieht bei der „Feierlichen Kreuzesweihe“ nach Oration, Lesung, Segensgebet und Besprengung mit Weihwasser eine Verehrung durch Kniebeuge vor.



ZEICHEN DER HOFFNUNG

Gefragt nach der Kreuzesverehrung in der römischen Liturgie, würden sie die meisten Gläubigen wahrscheinlich zunächst ausschließlich am Karfreitag ansiedeln. Das mag nicht verwundern, da die „Feier vom Leiden und Sterben Christi“ der einzige Gottesdienst des Messbuchs ist, in der die Kreuzesverehrung einen eigenständigen Teil der Liturgie darstellt. Bei der vorgesehenen und in jeder Eucharistiefeier möglichen Inzensierung des Altarkreuzes mit Weihrauch zu Beginn wird die Kreuzesverehrung wohl eher weniger als eine solche wahrgenommen, nicht zuletzt wegen des Umstands, dass es häufig optisch für die Gemeinde nicht in Erscheinung tritt. Dennoch bleibt zu wünschen, dass die Liturgie dazu beiträgt, den Gläubigen die Bedeutung des Kreuzes als das Sieges- und Hoffnungszeichen der Christen deutlich vor Augen zu stellen und ihnen ein intensives Mitfeiern im Gottesdienst zu ermöglichen.

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016