Kulturelle Extraschichten
Mit „RUHR.2010" präsentiert sich erstmals eine ganze Region als europäische Kulturhauptstadt: das Ruhrgebiet. Die 53 Städte und Gemeinden von Deutschlands größtem Industrierevier werden zu Spielorten für Kunst, Theater, Tanz, Musik und Performance: Mit rund 300 Projekten und 2.500 Veranstaltungen machen die Organisatoren und Ausführenden den Mythos Ruhr und seinen Wandel zu einer Metropole der Kultur und Vielfalt begreifbar.
Von Alpen über Duisburg und Essen bis hin zu Xanten – insgesamt 53 Städte und Gemeinden bilden das Ruhrgebiet. Unter dem Namen „RUHR.2010" wird die Region in diesem Jahr als europäische Kulturhauptstadt gefeiert, neben Istanbul (Türkei) und Pécs (Ungarn). Das Motto „Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel" benennt die Entwicklung des Ruhrgebiets von Deutschlands größtem Industrierevier rund um Kohle und Stahl zu einer werdenden Metropole der Kultur und Dienstleistungen: Inzwischen ist es nämlich zur Heimat geworden von etwa 200 Museen, 120 Theatern, 100 Kulturzentren, fünf Sinfonieorchestern und über 1.000 Industriedenkmälern, darunter die Essener „Zeche Zollverein", seit vielen Jahren UNESCO-Weltkulturerbe.
Kunst auf Zollverein
Nach dem Stopp der Steinkohleförderung 1986 und der Schließung der Kokerei 1993 wurde das gesamte Gelände auf Zollverein saniert und in ein Zentrum für Geschichte, Kultur, Kreativität, Veranstaltungen und Gastronomie umgewandelt. Über die größte freistehende Rolltreppe Deutschlands gelangt der Tourist zur „Kohlenwäsche, Schacht XII". Sie beherbergt heute das neu eröffnete „Ruhr Museum", das mit beeindruckenden Dauer- und Sonderausstellungen in den original erhaltenen Industriegebäuden aufwartet. Spektakulärer kann ein Ausstellungsgelände kaum sein. Ähnlich der „Gasometer Oberhausen": Als ehemals größter Gasspeicher Europas mit einer Höhe von 117,5 und einem Durchmesser von 68 Metern bietet er Raum für die außergewöhnlichsten Projekte. Momentan schwebt im Rahmen der Schau „Sternstunden – Wunder des Sonnensystems" ein Mond von 25 Metern Durchmesser über den Köpfen der Besucher. Doch auch dieser verliert an Größe, fährt man mit dem Panoramaaufzug im Inneren hoch zur Aussichtsplattform. Von hier aus wundern sich nicht wenige, wie falsch inzwischen ihre Vorstellung vom „grauen Kohlenpott" ist.
Spektakulärer Strukturwandel
Beinahe kaum zählbare Ausstellungen, Konzerte, Lichtinstallationen, Feste, Literaturlesungen und Theateraufführungen bilden das Programm von „RUHR.2010", einer Metropole, die abwechslungsreicher kaum sein kann: Großstädte und Badeseen, Autobahnen und Naherholungsgebiete. Alte Bergbausiedlungen und schönste Radwege. Klar ist es in diesem Jahr ein Highlight, wenn Ende Mai an rund 400 ehemaligen Bergbauschächten im ganzen Ruhrgebiet riesige, gelbe Heliumballone in bis zu 80 Metern Höhe schweben und so den Strukturwandel visualisieren. Oder wenn neben diesen „SchachtZeichen" am 18. Juli auf 60 Kilometern der A40/B1 (Ruhrschnellweg) 20.000 Tische die längste Tafel der Welt bilden. Jeder Tisch ist eine eigene kleine Bühne, die zu einem Fest der Kulturen beiträgt, während die Gegenrichtung an diesem Tag für alles freigegeben ist, was keinen Motor hat. „Still-Leben Ruhrschnellweg" heißt das Ganze. Doch zahlreiche Aktionen laufen schon seit Jahren. „Jedem Kind ein Instrument" ist eine davon. Was in Bochum 2003 begann, ist im Rahmen von „RUHR.2010" auf das gesamte Ruhrgebiet ausgeweitet worden: Grundschulkinder kommen in der ersten Klasse mit Grundlagen der Musik und verschiedensten Musikinstrumenten in Kontakt, entscheiden sich für eines und erlernen es in Kleingruppen. Zusätzlich wird das gemeinsame Musizieren im Ensemble gefördert. Das Ergebnis bringen die Nachwuchsmusiker bei 50 Konzerten im Hauptstadtjahr zu Gehör.
Weitere kulturelle Höhepunkte: das „Klavier-Festival Ruhr", die „Ruhrtriennale", die „ExtraSchicht", die „Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen" und vieles mehr.
Kirche, Kultur, Kreativität
Das Ruhrgebiet hat viel zu bieten! Hier die Oper, 500 Meter weiter die Philharmonie, ein Museum dazwischen, Fußball daneben. Selbst die Bochumer Ruhr-Universität ist im Kulturhauptstadtfieber und bot Mitte Januar „anner Aktionstheke inner Mensa lecker Happahappa ausm Pott" an. Am Donnerstag konnten sich die Studenten auf das „Zanderfilet ‚Baldeney’ auf Kartoffels-pampe und vom Wirsingkappes sein Gemüse" freuen. Esskultur rund um die Ruhr.
Nicht zuletzt bereichern die Kirchen und Glaubensgemeinschaften das Programm von RUHR.2010. Zum Auftakt luden die katholische, die evangelische und die griechisch-orthodoxe Kirche zu einem festlichen, ökumenischen Eröffnungsgottesdienst in den Essener Dom ein, der schon geraume Zeit vorher überfüllt war. Alle Glocken der christlichen Kirchen des Ruhrgebiets läuteten zu diesem Anlass. „Als Christen beginnen wir das Kulturhauptstadtjahr mit dem Dank für die ererbte Kulturvielfalt und für das kreative und vielfältige Schaffen in dieser Region", eröffnete der Bischof von Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck, den Gottesdienst. In dessen Rahmen wurde das „Kulturhauptstadtkreuz" vorgestellt, das die Thematik Wandel symbolisiert. Das Kreuz in Form eines Labyrinths, in dem sich Menschen nicht verirren, sondern finden, soll in diesem Jahr in jeder Stadt des Ruhrgebiets eine Woche lang zu Gast sein.
Auch wenn dann das Kulturhauptstadtjahr 2010 zu Ende geht, bleibt das Ruhrgebiet eine Region voller Vielfalt. Der Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg bemerkte: „Das Ruhrgebiet atmet nicht mehr Staub, sondern Zukunft." Recht hat er. Glück auf!