Le Mont Saint-Michel - Pilger, Häftlinge und Touristen
Die franziskanische Ordensfamilie feiert seit einigen Jahren regelmäßig 800-jährige Jubiläen: das Jubiläum der Ordensgründung, der Regel, des Weihnachtsfests in Greccio, des Sonnengesangs oder des Todes des hl. Franziskus. Auf eine noch einmal deutlich längere Geschichte blickt ein Kloster im Nordwesten Frankreichs zurück: Der Mont Saint-Michel feiert in diesem Jahr seinen 1.000 Geburtstag – unser Thema des Monats!
Etwa 30 Einwohner zählt die Gemeinde Le Mont-Saint-Michel. Etwa 100.000-fach höher liegt die Zahl der jährlichen Besucher: Ungefähr drei Millionen Pilger und Touristinnen besuchen jedes Jahr das Inselchen im französischen Wattenmeer. Dicht an dicht drängen sie sich dann durch die Gassen des kleinen Ortes und sorgen vor allem in den Sommermonaten dafür, dass die Gemeinde zwar kaum zur Ruhe kommt, aber am Tourismus auch ordentlich Geld verdient. Besonders im Jubiläumsjahr, das noch bis in diesen Monat November hinein mit verschiedenen Sonderausstellungen und Aktivitäten begangen wird, gehörte Le Mont-Saint-Michel zu den beliebtesten Touristenattraktionen Frankreichs.
Initiative des Erzengels Michael
Dabei ist der Ort nicht nur einwohner-, sondern auch flächenmäßig sehr überschaubar: Die etwa einen Kilometer von der Küste entfernt gelegene Insel hat gerade einmal einen Umfang von 830 Metern und eine Gesamtfläche von vier Quadratkilometern. Ursprünglich trug sie den Namen „Mont-Tombe“, was auf Deutsch einen Grabhügel bezeichnet. Namensgebend war dabei wohl die ursprüngliche Form des unbebauten Bergs, der ein wenig wie ein Grab aussieht.
Der heutige Name erinnert an den Erzengel Michael und steht im engen Zusammenhang mit dem Bau des Klosters. Mit dessen Geschichte untrennbar verbunden ist die Gründungslegende. Bischof Aubert, am 18. Juni 725 als Bischof von Avranches verstorben, hatte sich während seiner Amtszeit immer wieder auf die felsige Insel zurückgezogen. Dort gab es bereits seit dem 6. Jahrhundert zwei Einsiedeleien. Während er sich also wieder dort aufhielt, erschien ihm der Erzengel Michael und gab ihm den Auftrag, auf der Felseninsel eine Kirche zu bauen. Der Bischof aber war entweder zu beschäftigt oder nahm den Auftrag zunächst nicht ernst. Jedenfalls musste ihm der Erzengel noch zwei weitere Male erscheinen, wobei er ihm bei der letzten Erscheinung der Legende zufolge mit dem Finger in den Schädel bohrte – wohl damit Bischof Aubert den Auftrag nun wirklich ernst nehmen würde. Tatsächlich ließ Aubert nun den Kirchbau beginnen. Am 16. Oktober 709 konnte das Gotteshaus, ausgestattet mit Reliquien des Erzengels aus dem italienischen Monte Sant’Angelo, schließlich geweiht werden. Nach seinem Tod ließ Aubert sich in der von ihm errichteten Kirche beisetzen.
Ausbau zur Festungsanlage
Wer heute den Mont Saint-Michel besucht, wird von dieser ursprünglichen Kirche nur mehr Überreste einer Mauer finden können. Das liegt vor allem daran, dass im Jahr 966 Benediktiner aus der Abtei Saint-Wandrille (bzw. Fontenelle) die Verantwortung für die Kirche übernahmen. 30 Mönche sorgten in der Folgezeit für einen allmählichen Aufschwung des Ortes. Im 11. Jahrhundert beschlossen sie einen Neubau der Kirche, der allerdings von bretonischen Truppen bereits 1204 niedergebrannt wurde. Sage und schreibe 300 Jahre lang wurde anschließend gebaut: Man reparierte die entstandenen Schäden und erweiterte gleichzeitig die Anlage. Der Festungscharakter des Mont Saint-Michel stammt aus dieser Zeit. Erfolgreich abgewehrte Angriffe – zum Bespiel die der Hugenotten in den Jahren 1562 bis 1598 – sprechen für die Beständigkeit der Bauweise.
Kloster mit Gefängnis
Die machte sich auch König Ludwig XI. mit dem Beinamen „der Kluge“ zu Nutze. Von 1461 bis 1483 regierte er als französischer König und bekam von den Mönchen die Erlaubnis, Räumlichkeiten des Klosters als Gefängnis zu nutzen. Oft ohne Gerichtsurteil ließ er hier politische Gegner einsperren und machte sich dabei häufig auch einen an der Decke hängenden Eisenkäfig zu Nutze. Thomas Basin, von 1447 bis 1474 Bischof von Liseux, hält ihn wohl auch deshalb für einen hässlichen Tyrannen. In seiner Chronik bezeichnet er ihn als einen „besonderen Schurken, hier auf Erden bis in die Hölle bekannt – ein grauenvoller Tyrann, vom Volk bewundert, ein dämonisches Genie“.
Der Mont Saint-Michel wird aber auch von späteren Herrschern als Gefängnis benutzt, besonders während und nach der Französischen Revolution. Von 1793 bis 1863 sollen hier etwa 14.000 Menschen Haftstrafen verbüßt haben. Napoleon richtet schließlich ein Zentralgefängnis ein, in dem vorrangig Häftlinge mit langen Strafen ihre Haft verbüßen. Die hygienischen und baulichen Zustände sind schwierig – und aus dem einstigen Wallfahrtsziel ist nun endgültig ein Gefängnis geworden. Denn die Abtei war mit dem Verbot der Orden zu Beginn der Französischen Revolution aufgehoben worden. Erst im Oktober 1863 wird das Gefängnis auf dem Berg geschlossen.
Wieder klösterliches Leben
Doch es hat gut weitere 100 Jahre gedauert, bis Ordensleben in die Abtei zurückkehren konnte. Dafür wurde anlässlich der Jahrtausendfeier der ursprünglichen Benediktinerabtei (gegründet 966) das Abtgebäude als Wohnraum zur Verfügung gestellt, während der Rest der Anlage weiterhin in staatlicher Hand blieb.
Heute leben auf dem Mont Saint-Michel zwei Gemeinschaften: Zunächst die Schwestern und Brüder der Gemeinschaft von Jerusalem. Diese monastische Gemeinschaft wurde nach dem 2. Vatikanischen Konzil gegründet und legt großen Wert auf die feierlich gestaltete Liturgie des Stundengebets. Die Verantwortung für die Wallfahrtsseelsorge ist seit dem Jahr 2022 der Gemeinschaft Sankt Martin anvertraut. Diese Gemeinschaft von Weltpriestern hatte zwei Jahre zuvor außerdem die Wallfahrtsseelsorge in Neviges übernommen.
Die großen Pilgerströme aus früheren Zeiten sind Geschichte – beziehungsweise wurden sie durch Touristen abgelöst. Aber es gibt doch eine wachsende Zahl von Menschen, die auch aus religiösen Gründen zum Berg pilgern.
Durchs Wattenmeer
Egal ob Pilger oder Tourist: Auf die Insel muss man erst einmal kommen. Sie ist umgeben vom Wattenmeer, so dass man ursprünglich nur bei Niedrigwasser zur Wallfahrtsstätte pilgern konnte. Dass das nicht immer ein ungefährliches Unterfangen war, wird am Namenszusatz deutlich, den Pilgernde dem Berg gaben: „Mont-Saint-Michel au péril de la mer“ – „in den Gefahren des Meeres“. Denn zwischen niedrigstem und höchstem Wasserstand liegen bis zu 14 Meter! Victor Hugo (1802-1885) hat die Gezeitenkräfte mit „der Schnelligkeit eines galoppierenden Pferdes“ verglichen.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein Damm gebaut, um unabhängig von den Gezeiten zum Mont Saint-Michel gelangen zu können – nun auch mit dem Auto und von 1901 bis 1939 sogar per Dampfeisenbahn. Dass man mit dem Damm einen massiven Eingriff in die Natur vorgenommen hatte, wurde erst nach und nach bewusst: Mit ihm wurde die natürliche Meeresströmung unterbrochen und mit den Jahren versandete die Bucht. Die Folge: Der Inselcharakter ging mehr und mehr verloren. Mit Millionenaufwand wurde seit den 2000er Jahren der Damm zurückgebaut und 2014 durch eine Stelzenbrücke ersetzt. Der Parkplatz für die Millionen von Besuchern ist mittlerweile 2,5 Kilometer entfernt angelegt und per Shuttlebus werden die Gäste bis zum Steg gebracht, um den Mont Saint-Michel schließlich zu Fuß zu erreichen. – Die Natur atmet auf. Doch der Massentourismus zur UNESCO-Weltkulturerbestätte bleibt eine Herausforderung.
Andauernde Restaurierungsprojekte
Dass aber so viele Menschen kommen, verwundert nicht: Die Architektur der Klosterbauten gilt seit dem Mittelalter als „Wunder“. Mühsam musste der Granit von benachbarten Felseninsel abgebaut und herbeigeschafft werden.
Das heutige Erscheinungsbild geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Eine Bewegung um Victor Hugo, dem französischen Schriftsteller und Politiker, setzte sich ab 1836 dafür ein, dass der Mont Saint-Michel „wiederentdeckt“ wurde. Die Romantik rückte ihn in Texten und Gemälden in bestes Licht und sorgte auf diese Weise mit dafür, dass schließlich auch konkrete Restaurierungsarbeiten begonnen wurden, die bis heute nicht abgeschlossen sind.
Besucherinnen und Pilger können nicht nur die Kirche besuchen, sondern auch zahlreiche Räume der ehemaligen Abtei – und sich so mitnehmen lassen in die lange und abwechslungsreiche Geschichte von Frankreichs wohl berühmtestem Kloster.
Unter den diesjährigen Jubiläumsgästen war auch der französische Staatspräsident Emmanuel Macron. Im Juni besuchte er unter anderem die Abteikirche.
Der Mont Saint-Michel ist vom Wattenmeer umgeben. Ein Steg verbindet die Insel mit dem Festland. Wer den Weg übers Watt nehmen will, was übrigens nur mit ausgebildeten Wattführern erlaubt ist, muss sich an den Gezeiten orientieren. Wenn die Flut kommt (wie hier auf dem Foto), kann man die Insel auf diesem Weg nicht mehr verlassen.
Eine Buchmalerei der sog. Brüder von Limburg, drei um 1385 geborene niederländische Miniaturmaler, zeigt den Mont Saint-Michel in seinem baulichen Zustand um 1415. Über der Bergspitze kämpft der Erzengel Michael mit Schwert und Stab gegen einen Lindwurm mit Fledermausflügeln.
Der Erzengel-Michael
Der Erzengel Michael („Wer ist wie Gott?“) kommt im Juden- und Christentum vor, aber auch im Islam. Was die jüdisch-christliche Tradition betrifft, tritt Michael bereits im Alten Testament im Buch Daniel als Verteidiger des Volkes Gottes auf. In der neutestamentlichen Offenbarung des Johannes besiegt der Erzengel den Teufel: „Da entbrannte im Himmel ein Kampf; Michael und seine Engel erhoben sich, um mit dem Drachen zu kämpfen. Der Drache und seine Engel kämpften, aber sie hielten nicht stand und sie verloren ihren Platz im Himmel. Er wurde gestürzt, der große Drache, die alte Schlange, die Teufel oder Satan heißt und die ganze Welt verführt; der Drache wurde auf die Erde gestürzt und mit ihm wurden seine Engel hinabgeworfen.“ (Offb 12,7-9)
Im christlichen Volksglauben gilt Michael als derjenige, der die guten und schlechten Taten der Menschen aufzeichnet und schließlich am Tag des Jüngsten Gerichts als „Seelenwäger“ richtet. Er begleitet die Seelen der Verstorbenen auf ihrem Weg ins Jenseits.
Eine wichtige Erscheinung des Erzengels Michael wird für das Jahr 490 überliefert. Dort soll er auf dem Monte Sant’Angelo (Gargano, Apulien) erschienen sein: Ein Viehzüchter wollte einen Stier mit einem Pfeil erlegen. Der jedoch drehte sich in der Luft und verwundete den Schützen. Der Erzengel gab zu verstehen, dass er an dieser Stelle eine Wallfahrtsstätte errichtet sehen möchte – heute eine der bedeutendsten in ganz Italien! 590 soll der Erzengel Michael in Rom erschienen sein und der Pest ein Ende bereitet haben. Das Hadriansmausoleum, worauf der Engel erschien, heißt seitdem „Engelsburg“. Eine bronzene Statue des Erzengels samt Schwert krönt heute den Bau (siehe Foto).
Der Erzengel Michael ist Patron der Soldaten und gilt außerdem als „himmlischer Arzt“ und Patron der Kranken. Sein Festtag ist der 29. September.