Lebendiges Wasser und reife Tomaten

24. Mai 2010 | von

 Die Republik Kongo wurde von einem brutalen Bürgerkrieg in die Knie gezwungen. Auch sieben Jahre nach dessen Ende leidet die Bevölkerung unter unsäglicher Armut. Täglich sterben Tausende Kinder, weil sie verseuchtes Wasser trinken müssen, die medizinischen und schulischen Infrastrukturen sind fast gänzlich zusammengebrochen. In der Erzdiözese von Brazzaville unterstützt die Caritas Antoniana mit ihrem diesjährigen Projekt zum 13. Juni eine Initiative, die in 80 Dörfer sauberes Wasser bringt, elf Krankenstationen aufbaut und mit einer Berufsschule Jugendlichen den Start in eine lebenswerte Zukunft ermöglicht.



Das große Dorf Kimongò hat ein Krankenhaus, eines der wenigen, die es in der Republik Kongo nach dem Ende des Bürgerkrieges noch gibt. Der Ort liegt 40 Kilometer von Dolisie, der drittgrößten Stadt des Kongo, entfernt. „Krankenhaus" ist eigentlich zu viel gesagt: Das Gebäude besteht aus drei kärglichen Räumen, zwei davon sind Krankenzimmer, das dritte dient als Büro, Arztpraxis, Kreißsaal und Apotheke. Schmutzige Schaumstoffmatratzen, Strohmatten, Fliegengitter und die Habseligkeiten der Kranken lagern auf dem Zementboden. Auf der einzigen vorhandenen Holzpritsche liegt ein dreijähriges Mädchen. Ihr Gesichtsausdruck ist leer, der Körper scheint ihr nicht mehr zu gehören, langsam und stetig markiert das Tropfen aus dem Infusionsbehälter die schmerzhaft verstreichende Zeit. Neben ihr sitzt ihre Mutter. Sie ist selbst fast noch ein Kind, mit verlorenem Blick hält sie die Hand ihres Töchterchens. Cécile hat Malaria.



Im Kongo erkranken und sterben Tausende von Kindern an dieser Krankheit und an unzähligen anderen, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden: Cholera, Durchfall, Infektionen. Mit dieser Information klingt es mehr als parodox: Das Land ist reich an Wasser. Sein Name leitet sich vom Fluss Kongo ab, Afrikas wasserreichstem Strom. Leider sind drei Viertel dieses kostbaren Schatzes kein Trinkwasser, und vor allem in den ländlichen Gebieten wird das Flusswasser für alles mögliche genutzt: zum Kochen und Waschen, zum Tränken des Viehs und zum Baden.



Das Land wurde von einem langen Krieg in die Knie gezwungen. Der Konflikt schwelt noch unter der Asche eines scheinbaren Friedens, der von zu vielen ausländischen Interessen bedroht wird. Es geht um Bodenschätze: Mineralien und vor allem Rohöl. In der Luft hängt noch der Hauch des Todes, überall sieht man Zeichen hoffnungsloser Armut.



Lebendiges Wasser



Neben dem Krankenbett und der schmerzerfüllten Mutter steht Pater Danilo Salezze, der Generaldirektor des „Messaggero di sant’Antonio". Mit ihm zusammen sind Pater Paolo Floretta, der Vizedirektor, und Don Abel Nienze, ein junger Priester, der sie auf dieser Reise begleitet. Sein Traum ist die Verwirklichung eines großen Hilfsprojektes in einer der ärmsten Gegenden der Welt: das Projekt zum 13. Juni, dem Festtag des heiligen Antonius. Pater Danilo wirkt verunsichert. Er weiß nicht, ob er sich Cécile und ihrer Mutter nähern soll. Er tut es, berührt die vom Fieber glühende Stirn des Mädchens, segnet es. Ein paar Worte auf Französisch zu der Mutter, die ihm mechanisch antwortet; sie wendet sich ihm zu und sieht durch ihn durch: Ihre großen Augen sind dunkel vor Schmerz.



Neben dem Bett steht auf dem Boden eine halb leere Wasserflasche. Ob das Wasser darin wohl sauber ist? Macht diese Behandlung überhaupt noch Sinn? Fragen, die einem angesichts der Szene durch den Kopf gehen.



„Unser Projekt beginnt beim Wasser", erklärt Pater Danilo vor dem Krankenhaus. Die Hoffnung wird durch Wasser genährt, durch lebendiges Wasser, sauberes Wasser, das durch die Adern dieses gequälten Landes fließen soll, reines Wasser für Céciles Körper.



Pater Danilos Tagebuch



Ich lande in Brazzaville, der Hauptstadt der Republik Kongo in Zentralafrika. Die Basis ist immer dieselbe wie in den anderen afrikanischen Staaten, die ich bisher besucht habe: ein fruchtbares und an Bodenschätzen reiches Land, und doch eines der ärmsten der Welt. Don Abel empfängt uns mit einem offenen Lächeln am Flughafen. Er ist der Ökonom der Diözese Nkayi, rund 650 Kilometer von hier entfernt. Der Referent für unser Projekt ist ungefähr dreißig Jahre alt. Er spricht gut Italienisch, weil er in Rom Theologie studiert hat, und kennt die Widersprüche unserer Welt, die aufgeteilt ist zwischen wenigen Reichen und viel zu vielen Armen. Aber er richtet nicht, er schaut in die Zukunft. Er ist stolz, ein Kongolese und arm zu sein wie seine Leute, wie die Kirche, der er angehört.



Wir nehmen den Anschlussflug nach Dolisie, der Bischof von Nkayi erwartet uns. Die Diözese Nkayi ist riesig, sie umfasst die drei Regionen Niari, Bouenza und Lékoumou und ist fast so groß wie Bayern. Nur gibt es hier leider so gut wie kein Verkehrsnetz: 96 Prozent der Straßen im Kongo sind unbefestigt, staubig in der Trockenzeit, heimtückisch in den Regenperioden.



Monsignor Daniel Mizonzo wirkt sehr müde und gestresst. Trotzdem übt er seinen Dienst an der Kirche aus, als liefe alles normal. Er hat weder Gehalt noch Krankenversicherung, seine Situation ist genauso prekär wie die seiner Priester, wie die seines Volkes. Jetzt wird mir bewusst, warum hier die Kirche die einzige Quelle für eine Entwicklung ist, eine lebendige, reine Quelle. Das wird hier glaubhaft, denn sie ist Zeugin eines Gottes, der uneingeschränkt liebt, Zeugin des gekreuzigten Christus, der kommt, um zu retten. Und die Menschen hier wissen das. Und glauben. Und hoffen. Don Abel berichtet über die Zustände in der Diözese: „50 Prozent der Krankheiten werden durch den Mangel an Trinkwasser verursacht, wir brauchen mindestens 80 Brunnen in den 25 Gemeinden der Diözese und an einigen strategischen Punkten. Die bereits vorhandenen Brunnen müssten nur instand gesetzt werden, aber die meisten sind ganz neu zu bauen."



Er erklärt, wie während der langen Zeit unter der kommunistischen Regierung im Kongo wenigstens das öffentliche Gesundheitssystem einigermaßen funktioniert hat, damals gab es kleine medizinische Krankenstationen und eine mobile Einheit, die auch die abgelegensten Dörfer versorgen konnte. „Heute gibt es nichts mehr, und für einen Kongolesen ist es schon viel, wenn er 50 Jahre alt wird. Durch den Krieg wurde AIDS großflächig verbreitet, mittlerweile sind 13 Prozent der 12- bis 20-Jährigen infiziert. Wir müssten zumindest die elf Krankenstationen in unseren Gemeinden reaktivieren und wieder eine mobile Station einrichten, die auch die in den Wäldern liegenden Dörfer erreicht."



Projekt in guten Händen



Das Projekt nimmt Gestalt an, das lebendige Wasser beginnt in den Adern dieses Teiles des Kongo zu fließen in Form von Maßnahmen für die medizinische Versorgung, dank der armen örtlichen Kirche. Der Gedanke erfüllt mich mit Freude, aber auch mit Zweifel: Wer betreut das Projekt? Wer wird daran arbeiten? Ich frage Abel: „Aber woher nehmt ihr die Ärzte?" Er antwortet mir stolz: „Es gibt eine Gesundheitskommission der Diözese." Am nächsten Tag stellt er sie uns vor: Doktor Boniface Yaba Ngot, ein Chirurg mit einem Diplom von der Sorbonne, die Kinderärztin Georgetta Kouloungou, die in Moskau studiert hat, und Jean Makouango, ein Kongolesischer Krankenpfleger. Es handelt sich um drei pensionierte Fachkräfte, drei Laien mit einem tiefen Glauben, die sich bereit erklärt haben, den letzten Teil ihres Lebens in den Dienst der Diözese zu stellen. Boniface, der alte Chirurg, beschreibt mir seine Hoffnung. Seine Augen haben alle Tragödien im Kongo gesehen, aber auch den Überfluss in europäischen Krankenhäusern, deshalb kann er auch mit Würde um etwas bitten. Er vertraut darauf, dass ein paar Krümel vom Tisch der Reichen auch für sein Land abfallen und dessen Wiedergeburt einleiten. Ich hingegen habe Vertrauen in ihn, in sein gutes Gesicht, seine Sanftheit und seine Erfahrung. Ich fühle, dass unsere Hilfe in guten Händen ist.



Ein solches Projekt entsteht natürlich nicht aus dem Nichts, das ist klar. Ich frage Abel, wie sie es geschafft haben, die Gegend zu sondieren, die Notwendigkeit einzuschätzen, zu entscheiden, wo Brunnen entstehen sollen und welche Krankenstationen reaktiviert werden können, so mittellos, wie sie sind. Auch in diesem Fall ist die Antwort ein Name: Serge, 30 Jahre alt, Soziologe und ehemaliger Kindersoldat. Er ist das „technische Untersuchungsbüro" des Projektes, in dem er die Chance seines Lebens sieht, seinen geliebten Kongo aus der Gewalt heraus wiederauferstehen zu lassen. Aus diesem Grund antwortet er ohne Zögern, als ich ihn bitte, mir von sich zu erzählen: „Im Dezember 1998 war ich in Brazzaville, um an der Uni zu studieren, weil ich hier nicht die Möglichkeit hatte, meine Studien fortzusetzen. Der Krieg überraschte mich auf dem Campus, den die Rebellen besetzt hatten. Wir waren gezwungen, in die Savanne zu fliehen. Überall lagen Leichen. Die Rebellen hatten Barrikaden errichtet, um alle diejenigen zu erschießen, die der Regierung nahe standen.



Ein Kindersoldat packt aus



Ich galt nicht als suspekt und wurde gezwungen, mich dem Militär anzuschließen, die anderen wurden vor unseren Augen getötet." Das war der Beginn von vier furchtbaren Jahren, immer an der Front, „denn ich gehörte nicht zu ihrer Ethnie. Ich aß eine Dose Ölsardinen am Tag und schlief in den Wäldern. Dann schließlich lud die Regierung die Rebellen ein, zu einem Waffenstillstand in die Stadt zu kommen. Ich nutzte diese Möglichkeit, um nach Brazzaville zurückzukehren und mein Studium wieder aufzunehmen. Es war sehr, sehr schwierig, wieder in die Normalität zurückzukehren, denn das Misstrauen der anderen verfolgte mich." Serge ist nicht nur seine eigene Geschichte, er ist eine Ikone seiner ganzen Generation.



Tausende Jugendliche wurden zum Militärdienst eingezogen, mit dem Versprechen, dass nach Kriegsende alle eine Arbeit finden würden. Der Frieden jedoch hat niemandem etwas gebracht und es gab keine Aussichten darauf, sich die Zukunft zurück zu erobern. In den acht Kriegsjahren kamen nur 48 Prozent der Schulpflichtigen zum Unterricht, das Schulsystem war quasi nicht mehr existent.



Serge und Abel haben sich eine Quelle der Hoffnung auch für diese Jugendlichen ausgedacht. „Wir möchten mit Eurer Hilfe in Dolisie eine Berufsschule errichten, die wir ‚Heiliger Antonius von Padua’ nennen wollen. In ihr sollen alle Jugendlichen der Diözese einen Beruf wie Klempner, Elektriker, Maurer, Schreiner, Zimmermann erlernen können. Ein Grundstück haben wir schon gefunden. Das wäre wirklich ein großes Geschenk!"



Chaotisch und hoffnungsvoll



Nun bewässert das lebendige Wasser dieser Kirche, dieses Landes das zarte Pflänzchen Bildung und Zukunft. „Die Jugendlichen reagieren bereits darauf", bestätigt Abel, „schau’ dir nur an, was sie in meinem Heimatdorf Kimongò tun." Etwas beklommen steige ich in Abels Geländewagen, es geht wieder über die rote Straße, über Schlaglöcher, durch Pfützen und Schlamm, bis wir einen seltsamen Ort im Wald erreichen, wo kultivierte Beete scheinbar den Kampf gegen die üppige Vegetation der Umgebung aufnehmen: ein Durcheinander von Blättern und winzigen Tomaten, offensichtlich ohne das nötige Wissen gepflanzt. „Siehst du, Pater Danilo, diese Jugendlichen versuchen, auf eigene Faust etwas anzubauen, alleine und ohne Mittel, eben so, wie es ihnen möglich ist. Sie haben eine kleine, spontane Genossenschaft gebildet. Ich habe schon den Kontakt zu einem Agrarwissenschaftler hergestellt, der ihnen nützliches Wissen zum Anbau vermitteln wird. Stell’ dir nur vor, was wir hier aus dieser fruchtbaren Erde herausholen könnten, wenn wir nur einen Traktor hätten." Nachdenklich nähere ich mich einem dieser Beete mitten im Wald, pflücke eine Tomate, probiere sie und schließe die Augen. Ich sehe den Traum von Abel und Serge, von Boniface und dem Bischof Mizonzo: Man muss ihn einfach teilen! Dieses Projekt hat die Frische von lebendigem Wasser – und schmeckt wie eine reife Tomate!

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016