Leo X. - ein Kind seiner Zeit

25. Februar 2013 | von

Vor 500 Jahren bestieg er den Stuhl des heiligen Petrus und gilt als der Papst Martin Luthers. Das Urteil der Geschichte über ihn fällt nicht gut aus. Doch er muss aus seiner Epoche heraus, der Renaissance, betrachtet werden.



Im Alter von nur 14 Jahren kam Giovanni de’ Medici zu höchsten Ehren. 1489 erhob Papst Innozenz VIII. den zweitgeborenen Sohn des Herrschers von Florenz im Geheimen zum Kardinal. Drei Jahre später wurde seine Ernennung öffentlich gemacht. Zu diesem Anlass schrieb ihm sein Vater, Lorenzo il Magnifico: „Seid immer eingedenk, dass nicht Eure Verdienste, nicht Euere Klugheit noch Euere Handlungsweise Euch zu dem gemacht haben, was Ihr seid, sondern dass Gott selbst Euch zum Kardinal berufen hat. Ihm sollt Ihr Euch durch ein heiligmäßiges, vorbildliches und ehrenhaftes Leben dankbar erweisen. Seid immer liebreich im Umgang mit den Kardinälen und mit anderen Menschen und beleidigt niemand. Da ich Euch nun ganz Gott und seiner Heiligen Kirche hingegeben habe, müsst Ihr ein Mann der Kirche werden. Und Ihr müsst das Wohl der Kirche und des Apostolischen Stuhles über alles andere stellen.“



VON HUMANISTEN BEJUBELT

Der hochgebildete und den schönen Künsten zugeneigte Purpurträger sollte noch eine weitere Stufe in der kirchlichen Hierarchie hinaufsteigen. Im Konklave des Jahres 1513 wurde er am 11. März als Leo X. zum Papst gewählt. Die Humanisten feierten und bejubelten den neuen Oberhirten der Kirche als Förderer der Künste und Wissenschaften; „die Poeten Roms verkündigten den Anbruch des goldenen Zeitalters“ (Ferdinand Gregorovius). Als der Papst sich in feierlicher Prozession zum Lateran begab, um von seiner Bischofskirche Besitz zu ergreifen, konnte er in Anspielung auf seine beiden Vorgänger – Alexander VI. und Julius II. –  und auf seine eigene Person an einem Triumphbogen die Worte lesen: „Einst hat Venus geherrscht, dann kam an die Reihe der Kriegsgott, nun beginnet der Tag, hehre Minerva, für dich.“



MIT BRILLE AUF DER JAGD

In dem 2003 gedrehten deutschen Fernsehfilm „Luther“ wird der Zuschauer mit einer eindrucksvollen päpstlichen Jagdszene konfrontiert. Leo X. reitet in ziviler Reitkluft munter einher; hoch zu Ross erledigt er in wildem Ritt einen Eber. Fakt oder Fiktion? Paris de Grassis, der Zeremonienmeister des Papstes, berichtet, dass der Papst bei seinen Reitausflügen zwar nicht ganz korrekt bekleidet gewesen sei, dennoch habe er stets ein weißes Gewand getragen. Ein wilder Jagdritt aber war Leo X. nicht möglich. Körperliche Unzulänglichkeiten hinderten ihn daran. Anstrengungen riefen beim Papst heftige Schweißausbrüche hervor; die Dienerschaft führte, wann immer Leo sich über sein normales Maß bewegte, eine Unmenge von „fazzoletti“ (Taschentücher) mit sich. „Ohne sie wäre der Heilige Vater ertrunken“, vertraute De Grassis seinen Aufzeichnungen an.

Auch um die Sehkraft des Pontifex hatte es nicht gut gestanden. Der Gesandte Mantuas am päpstlichen Hof schrieb 1518 vom Jagdschloss Magliana aus an seine Herrin, die Markgräfin Isabella: „Hier tötete Seine Heiligkeit einen überaus großen Hirsch, den man zuvor in Netzen gefangen hatte; der Papst näherte sich ihm zu Fuß, in der einen Hand den Speer, in der anderen die Augengläser.“ Auch ein berühmtes Bild, das Raffael schuf und heute in den Uffizien von Florenz bewundert werden kann (Abbildung auf Seite 41), zeigt den Papst mit einem Augenglas in der Hand.



EIN HERZ FÜR ARME

Trotz seiner Vorliebe für Weltliches und seiner Verschwendungssucht zeigte sich Leo X. stets hilfsbereit gegenüber den Armen und Bedürftigen. „Er teilte das Geld aus, ohne es zu zählen; ja er rief die Umstehenden freundlich zu sich und frug sie, ob sie in ihrem Hauswesen etwas drücke. Gern steuerte er auf seinen Durchzügen arme Jungfrauen aus und bezahlte den kranken und alten Leuten oder von großer Kinderlast bedrückten Familien ihre Schulden. Dasselbe bestätigen die Rechnungsbücher seines vertrauten Kammerherrn Serapica. Bald sind es Kirchen oder Klöster, bald eine Frau in gesegneten Umständen, bald eine Unglückliche, der das Haus abgebrannt ist, bald ein Jüngling, der studieren, oder ein Mädchen, das heiraten will, bald die Armen, welche die weitgerühmte Freigebigkeit des großmütigen Herrschers erfahren“, berichtet Ludwig von Pastor in seiner „Geschichte der Päpste“.

So ganz schien der Medici-Spross die frommen Ermahnungen seines Vaters nicht vergessen zu haben. Verdienste erwarb sich Leo X. auch in der Sorge, die er dem Volk des Alten Bundes zukommen ließ; die Juden nahm er stets vor Anfeindungen in Schutz – sogar sein Leibarzt war mosaischen Bekenntnisses. Die drohende Spaltung der Christenheit konnte der kirchliche Renaissance-Fürst aber nicht erkennen, Martin Luthers Aufbegehren war für ihn ein bloßes „Mönchsgezänk“. In dieser Hinsicht erwies sich sein Pontifikat 1513 – 1521 als verhängnisvoll für die Geschichte der Kirche.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016