Lieber Bruder Antonius....

23. März 2020 | von

Seit unserer Januar-Ausgabe prangt ein zusätzliches Logo auf unserer Titelseite. Es verweist auf das Jahr 2020 und den Beginn des franziskanischen Weges unseres heiligen Antonius. Mit einer Serie von Briefen widmen wir uns diesem historischen und folgenreichen Ereignis. Lesen Sie heute den 2. Teil. 

Lieber Br. Antonius!

Mittlerweile habe ich gemerkt, dass ich meinen letzten Brief vielleicht an den „lieben Bruder Fernando“ hätte adressieren sollen. Denn das war ja der Name, mit dem du damals als Augustiner-Chorherr in Lissabon und Coimbra unterwegs und wohl auch ein bisschen bekannt warst. So richtig berühmt wirst du dann freilich erst als „Antonius“ – und zwar als der von Padua. „Fernando“ und deine Geburtsstadt „Lissabon“ fallen irgendwie unter den Tisch. Und vielleicht ist manch einem Verehrer gar nicht bewusst, dass du eigentlich ein Portugiese bist. Ich jedenfalls habe das erst ziemlich spät bemerkt, lange nachdem ich bemerkt hatte, dass in nahezu jeder Kirche eine „Heiligen-
figur“ von dir steht... Und es ist natürlich klar, dass diese Heiligenfiguren einen Franziskanerhabit tragen. Erst einmal konnte dich mit dem Gewand der Augustiner-Chorherren gekleidet finden. 

Manchmal habe ich fast ein bisschen das Gefühl, dass dieser Teil deiner Vergangenheit irgendwie ausradiert wurde. Nachdem du 1220, also vor 800 Jahren, Minderbruder geworden bist, hat man offensichtlich kein großes Interesse gehabt, viel von deiner Vergangenheit in einer anderen Klostergemeinschaft zu berichten. Es ist auch wohl nicht notwendig, aber ich muss gestehen: Seitdem ich von diesem Bruch in deiner Biografie weiß, habe ich manchmal ein wenig Mühe damit. Denn der Mensch liebt ja doch eher die geraden Linien – Lebensläufe ohne Um- und Irrwege, Biografien, in denen von Anfang an alles klar ist und dann auch glatt geht.
In dem Umfeld, in dem ich als Kind aufgewachsen bin, war klar: Wenn Frau und Mann sich in der Ehe die lebenslange Treue versprechen, dann sollen sie auch ein Leben zusammen bleiben. Scheiden tut nicht der Richter, sondern der Tod. Wenn ein Mann zum Priester geweiht wird oder jemand in ein Kloster eintritt und schließlich die Profess ablegt, dann gilt das ebenso für immer wie man eine übernommene Aufgabe oder eine begonnene Arbeit tunlichst zu einem guten Ende führen sollte. Zwischendrin aufgeben? Das ist nicht vorgesehen.
Freilich: Diese Dinge sieht man heutzutage auch ein bisschen anders, vielleicht etwas lockerer, und es haben sich wohl auch die Umstände geändert. Es ist jedenfalls längst keine Seltenheit mehr, dass Menschen ihre getroffenen Lebensentscheidungen revidieren. Vielleicht ist es manchmal „um des Lebens willen“ sogar der Weg, den man unbedingt gehen sollte. Ich bin da längst nicht mehr so sicher wie noch vor einigen Jahren. 
Ich hoffe, Antonius, du merkst, wie sehr ich mich bemühe, deinen Wechsel von der einen Gemeinschaft in die andere zu verstehen. Und auf jeden Fall will ich mich davor hüten, irgendein Urteil zu fällen – zumal ich acht Jahrhunderte später und ohne dich persönlich befragen zu können, ja auch wirklich nur mutmaßen kann, welche Überlegungen bei dir damals eine Rolle gespielt haben.

Und so will ich nun meine Idee von der „geraden Linie“, vom Lebenslauf ohne Brüche einmal beiseitelassen und mich selber daran erinnern, was ich schon in meinem letzten Brief zur Berufung geschrieben habe: Die Berufung als Plan Gottes für mein Leben. 
Und da weiß ich dann aus eigener Erfahrung, dass es ja nicht immer so einfach ist, den Plan zu entdecken, den jemand für mich hat – und umso schwerer, wenn dieser jemand Gott ist, den ich ja nicht wie einen Menschen befragen kann, um dann eine eindeutige Antwort zu erhalten, was nun zu tun wäre. Den göttlichen Plan zu erkennen, das geht wohl nur über ein Hören, über das Gebet, über geistliche Gespräche, über Ausprobieren und Versuchen. 
Und da kann ich mir nun wirklich gut vorstellen, dass du als junger Mann gespürt hast, dass Gott etwas mit dir vor hat. Vielleicht hast du zuerst geglaubt, dass dein Platz bei den Augustiner-Chorherren wäre. Und als du von Verwandten und Freunden durch zahlreiche Besuche abgelenkt wurdest, hast du ja nicht einfach die Gemeinschaft schnell wieder aufgegeben, sondern erst eine Versetzung nach Coimbra erbeten. Du hast eine gute Ausbildung erhalten – Rüstzeug, das du später erst so richtig einsetzen konntest. Ich kann mir ausmalen, wie du im Kloster bei den Mitbrüdern angesehen warst – als fleißiger, zuverlässiger und intelligenter junger Chorherr. Vielleicht hat man mit dir schon große Pläne gehabt und dabei gar nicht gemerkt, dass eine große Sehnsucht in dir brennt und hinter diesen Klostermauern nicht gestillt werden wird. Es war die Sehnsucht nach dem Martyrium, von der ich dir schon beim letzten Mal gestehen musste, dass ich sie nicht so ganz nachvollziehen kann. Gut verstehen kann ich aber die Sehnsucht, alles für Jesus geben zu wollen, ganz im Dienst Gottes zu stehen. Und da waren dir wohl die Klostermauern und der geordnete Tagesablauf der Augustiner-Chorherren hinderlich. 
Was dich hat gehen lassen, war also nun sicherlich nicht der Wunsch nach einem bequemeren Leben, nach irgendwelchen Privilegien, nach größerem Ansehen oder schnellere Aussicht auf Erfolg. Ganz im Gegenteil. All das dürfte bei den noch ziemlich unbekannten Minderbrüdern keine große Rolle gespielt haben. Was dich hat gehen lassen, war der unbedingte Wunsch, Christus noch intensiver nachzufolgen.

In der Begegnung mit den Minderbrüdern und vor allem durch das Zeugnis der „franziskanischen Erstlingsmärtyrer“ um den heiligen Berard herum scheinst du einen Weg entdeckt zu haben, dieser Sehnsucht näher zu kommen. 
Ja, so eine Suche nach dem eigentlichen Platz im Leben kann wohl manchmal dauern und den ein oder anderen „Umweg“ nehmen, um schließlich am Ziel anzukommen. Den Plan Gottes entdeckt man wohl nie in seiner ganzen Fülle von einem Tag auf den andern. Vor ein paar Jahren habe ich eine gute Formel gefunden, die helfen will, seiner eigenen Berufung auf die Spur zu kommen. Mir hat jemand empfohlen: „Wenn du auf dein Leben blickst, auf dein Denken, dein Fühlen, deinen Alltag und wenn du das über einen längeren Zeitraum tust: Wenn dann die „drei F“ zunehmen, dann bist du am richtigen Platz – an dem Platz, wo Gott dich haben will.“ Und diese „drei F“? Das sind: Frieden, Freude und Freiheit. Nun kann man gewiss ganze Abhandlungen schreiben, was unter diesen Worten zu verstehen ist. Gemeint ist auf jeden Fall etwas, das Tiefe und Dauer hat – also nicht ein vorübergehender Spaß oder ein augenblicklicher Glücksmoment. Hin und wieder nehme ich die drei F für meine Meditation: Spüre ich in mir und um mich herum den Frieden? Wenn ich auf mein Leben und mein Arbeiten in meiner Gemeinschaft denke, empfinde ich dann eine tiefe, innere Freude? Und schließlich: Erlebe ich mich als eingeengt, in Zwängen gefesselt, durch alles Mögliche begrenzt – oder habe ich das Gefühl, bei aller Bindung an Gemeinschaft und Gott, wirklich innerlich frei zu sein? Sicher habe ich da nicht jeden Tag gleichermaßen das Gefühl, dass Frieden, Freude und Freiheit immer nur wachsen. Es gibt Rückschläge und Enttäuschungen – aber auf lange Sicht kann ich doch immer wieder feststellen: Ja, ich glaube, da bin ich am richtigen Platz.

Ob du damals auch schon über die drei F nachgedacht hast, das darf man wohl getrost bezweifeln. Aber ganz bestimmt hast du deinen Weg gehabt, herauszufinden, wo der Platz ist, an dem Gott dich braucht – der Platz, an dem dein Leben blüht. Und wenn ich an den weiteren Verlauf deines Lebens denke und wenn ich wahrnehme, wie du bis heute von vielen Menschen verehrt wirst, dann kann ich wirklich nur sagen: Mit diesem Schritt bist du wohl angekommen!

Und so grüße ich dich wieder voller Freude darüber, dich doch immer ein bisschen besser kennen und verstehen zu dürfen. Bis zum nächsten Mal!

Dein Br. Andreas

Impuls für meinen eigenen Weg:
Wie gehe ich um mit den Brüchen in meinem Leben – und im Leben von Anderen? Kann ich mir (und Anderen) zugestehen, dass es im Leben doch auch Irr- und Umwege gibt? Dass ich vielleicht manchmal sogar in Sackgassen stecken bleibe? Was ist meine „Methode“, um dem göttlichen Plan für mein Leben auf die Spur zu kommen?

Zuletzt aktualisiert: 23. März 2020
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