Lieber Bruder Antonius (8)
1220: Aus dem Augustiner-Chorherren Fernando wird der Minderbruder Antonius. Vom Geburtsort Lissabon geht es über Marokko, Sizilien und Frankreich schließlich nach Padua. Dort strahlt der Stern des künftigen Heiligen wohl am hellsten. Mit seiner Predigtreihe in der Fastenzeit macht er sich unvergessen.
Lieber Br. Antonius!
Nun also Padua. Die Reise, die wir vor einigen Monaten begonnen haben, ist zwar noch nicht zu Ende, aber gewissermaßen doch am Ziel. Man hat jedenfalls den Eindruck: Dorthin, nach Padua, dorthin gehörst du. Immerhin trägst du diese Stadt im Namen und bist bis heute für diesen Ort von größter Bedeutung. Als Stadtpatron ziehst du Millionen von Pilgerinnen und Wallfahrern an – Jahr für Jahr, seit Jahrhunderten.
Das Nachgehen deines Weges von Coimbra aus macht mir aber auch deutlich: Dein Leben bestand natürlich aus weit mehr als nur aus der Zeit in Padua. Und doch ist wohl diese verhältnismäßig kurze Zeit verantwortlich dafür, dass du nun wirklich berühmt geworden bist. Die Zeit in Padua hat dich geprägt. Aber mehr noch hast vermutlich du diese Zeit geprägt, vor allem die berühmte Fastenzeit, in der du dich mit deinen Predigten unvergessen gemacht hast.
Wie du nach Padua kamst, das erzählt dein Biograf und Verfasser der Assidua in knappen Sätzen – und sein Bericht zeigt, dass du eigentlich und ursprünglich gar nicht so sehr zum Predigen in die Stadt kamst, sondern zum Verfassen von „Musterpredigten“. Aber lassen wir ihn selbst erzählen:
„Während des Generalkapitels – als die Reliquien des seligen Vaters Franziskus in die Kirche gebracht wurden, wo man sie gebührend verehrte (und zwar am 25. Mai 1230, einen Tag vor Pfingsten, als die sterblichen Überreste des heiligen Franziskus in die heutige Unterkirche der Basilika in Assisi überführt wurden) – erhielt Antonius, der Diener Gottes, vom Generalminister die volle Freiheit zur Predigt, nachdem man ihn von der Leitung der Brüder entbunden hatte (er war ja Provinzialminister für ganz Norditalien, einschließlich der Romagna). Und weil er sich schon einmal zu anderer Gelegenheit, als er nämlich die Predigten für die Sonntage des Jahres zusammenstellte, in der Nähe von Padua aufhielt – das war im Jahr 1229, und dort vom starken Glauben der Bewohner erfuhr und sich ihnen seitdem mit innigen Gefühlen verbunden wusste, beschloss er, sie in der ersten Phase seiner eben erhaltenen Freiheit zu besuchen, auch weil er sich angezogen fühlte von ihrer bewundernswerten Frömmigkeit.
Als er gemäß dem göttlichen Plan in Padua ankam, predigte er nur ab und an. Den ganzen Winter über gab er sich nämlich ganz den Studien hin und machte sich auf Bitten des Bischofs von Ostia (Bischof Rainaldo, 1231-32, anschließend als Alexander IV. zum Papst gewählt) daran, Predigten für die Heiligenfeste, die das Jahr über gefeiert werden, zu verfassen. Während der Diener Gottes zum Nutzen seiner Nächsten beschäftigt war, näherte sich die Fastenzeit. Als er sah, dass die Gelegenheit günstig war und die Tage des Heils bevorstanden, unterbrach er die begonnene Arbeit und widmete sich ganz der Predigt für das dürstende Volk.“
Was mich an dir, Antonius, fasziniert: In deiner Biografie habe ich immer wieder das Gefühl, dass du etwas unterbrichst, dass du eine begonnene Arbeit ruhen lässt, dass du einen beschrittenen Pfad verlässt, wenn dir im Augenblick etwas anderes wichtiger und bedeutsamer erscheint. Die Arbeit an den Predigtvorlagen, sie mag eine wichtige gewesen sein, zumal vom Bischof offiziell beauftragt und gewünscht, aber vielleicht hast du dir auch gedacht, dass so etwas problemlos später nachgeholt werden könne. Das dürstende Volk, das aber verlangt schon jetzt im Augenblick nach „Wasser“, nach Nahrung für die Seele. Und du kennst dich aus dem mit dem lebendigen Wort Gottes. Kein Wunder, dass du die Initiative ergreifst. Dein Biograf berichtet weiter: „Er wurde von einem so brennenden Verlangen zur Predigt ergriffen, dass er sich vornahm, vierzig Tage ununterbrochen zu predigen – etwas, das er dann auch wirklich in die Tat umsetzte. Es mag gewiss verwundern, dass er – obwohl er geplagt war von einer gewissen natürlichen Beleibtheit und darüber hinaus durch ständige Krankheiten eingeschränkt – dennoch aufgrund seines unermüdlichen Seeleneifers im Predigen, im Unterweisen und im Hören der Beichte bis zum Sonnenuntergang aushielt, und dies oft mit nüchternem Magen.“
Ich gebe zu: Beim Hinweis auf deine Leibesfülle muss ich schmunzeln. Möglicherweise warst du also einigermaßen dick, auch wenn dein Biograf das höflich mit einer „gewissen natürlichen Beleibtheit“ umschreibt und du in Statuen eigentlich meist recht schlank dargestellt wirst. Aber sehr viel wichtiger als dein Gewicht scheint mir wohl der „unermüdliche Seeleneifer“ zu sein. Die Leidenschaft für das Volk Gottes, sie hat dich angespornt, die Mühen auf dich zu nehmen. Und da ging es ja nicht nur um eine kurze Sonntagspredigt. Dein „Projekt“ ging über Wochen und war mit Vorbereitung und Vortrag der Predigt ja bei weitem nicht erschöpft. Nach der Predigt war Beichtehören angesagt – gewissermaßen das Einsammeln der Früchte deiner Rufe zu Umkehr und Buße.
Und in all dem hast du nicht nur Menschen in ihrer Tiefe erreicht, was wir heute wohl mit dem Prädikat „hoher Qualität“ auszeichnen würden, sondern auch die Quantität der Zuhörenden ruft bis heute Staunen hervor. Dein Biograf berichtet: „Aber das Fassungsvermögen der Kirchen stellte sich bald als völlig unzureichend heraus, solche Mengen aufzunehmen, da so viele Frauen und Männer herbeieilten. Und weil die Anzahl der Zuhörer weiter beständig anwuchs, ging er nach draußen, um dort auf den weitläufigen Plätzen zu predigen.
Es kamen fast unzählbare Scharen beider Geschlechter aus der Stadt, von den Burgen und Dörfern um Padua herum. Alle waren begierig, mit größter Andacht das Wort des Lebens zu hören, weil sie die feste Hoffnung hatten, etwas für ihr eigenes Heil zu tun, wenn sie seinen Unterweisungen folgten. Sie standen bereits mitten in der Nacht auf, weil der eine schneller als der andere sein wollte und ausgestattet mit Lampen eilten sie in großer Erwartung zu dem Ort, wo die Predigt stattfinden würde. Du hättest Edelherren und adelige Damen zu nächtlicher Stunde herbeieilen sehen können, und Leute, die gewöhnlich einen nicht geringen Teil des Tages damit zubrachten, sich in weichen Betten zu rekeln, und die nun, so wird erzählt, ohne Mühe wach blieben, um den Prediger sehen zu können.
Es kamen die Alten, es rannten die Jungen herbei, Frauen und Männer jeden Alters und jeglicher Stellung. Und alle trugen sie, nachdem aller Schmuck abgelegt war, etwas wie – so würde ich fast sagen – einen Habit nach Art der Ordensleute.
Das Verlangen aller, das zu hören, was der Heilige predigte, war so stark, dass man – wie man sich erzählt –, und obwohl nicht selten 30.000 Personen anwesend waren, um die Predigt zu hören, kein Seufzen oder Murmeln aus der Menschenmenge vernahm. In ausdauernder Stille und so, als ob nur eine einzelne Person anwesend wäre, waren Herz und Ohr dem zugewandt, der da sprach. Und selbst die Händler, die in ihren Läden Waren aller Art zum Verkauf hatten, boten ihre Produkte den Vorübergehenden erst nach dem Ende der Predigt an, weil auch sie von dem Wunsch beseelt waren, ihn zu hören.“
Ich muss gestehen, dass ich mitunter daran zweifle, ob wirklich 30.000 Menschen deinen Predigten zugehört haben. Und ich habe Mühe, mir vorzustellen, wie das ohne moderne Lautsprechertechnik funktioniert haben soll. Sehr gut aber kann ich mir in meiner Phantasie ausmalen, wie die Menschen an deinen Lippen klebten, wie sie deine Verkündigung gleichsam aufsogen, weil sie daraus einen großen Gewinn für ihr Leben schöpften. Und ich gäbe doch einiges, wenn ich mit einer Zeitmaschine einmal einige Jahrhunderte zurückreisen könnte, um dich dort in Padua „live“ zu erleben. Aber zumindest etwas davon erahne und erlebe ich immer wieder, wenn ich in Padua sein darf und wenn ich beobachte, wie sich die Menschen in „deine“ Basilika drängen und dort trotz der vielen Gläubigen eine ganz besondere, gesammelte Atmosphäre herrscht. Ja, so ähnlich wird es wohl auch damals gewesen sein, als du in Padua gewirkt hast – in der Stadt, die dich sicher nie vergessen wird.
Aus der Ferne grüße ich dich herzlich.
Dein Br. Andreas
Impuls für meinen eigenen Weg:
Wofür lasse ich mich begeistern? Wem klebe ich förmlich an den Lippen? Oder andersherum gefragt: Kenne ich Situationen, wo ich andere Menschen begeistere, wo sich andere um mich scharen? Und: Was macht das mit mir?