Lotto, Tombola, Bingo - vom Papst getauft
„Die päpstliche Regierung aber duldet nicht bloß die Lotterie, nein, sie genehmigt, ermutigt, ja sie heiligt sie“, spottete Santo Domingo in seinem antikirchlichen Romführer aus dem Jahre 1825.
Das Lottospiel hatte in der Mitte des 17. Jahrhunderts, aus Genua kommend, in der Ewigen Stadt seinen Einzug gehalten. Zunächst nur in privaten Kreisen. Als es dann jedoch größere Verbreitung fand und es zu Missbräuchen (Betrug, Ausbeutung) kam, befasste sich die Regierung des Kirchenstaates mit dem Problem. Nach anfänglich scharfen Verurteilungen, die jedoch keinerlei Erfolg zeigten, erkannten die Päpste, dass sich das Lotto nicht unterbinden ließ, dass jedes Verbot das Spiel in die Illegalität treiben würde und so jeder sinnvollen staatlichen Kontrolle entzöge.
Erlös ermöglicht Aussteuer
Die Päpste konnten und wollten das Glücksspiel nicht „heiligen“, aber sie konnten es zumindest „taufen“. Klemens XII. (1730-1740) entschied sich daher, dem Lottospiel einen moralischen Sinn zu geben. Er ließ die Spielfelder mit der entsprechenden Zahl von „zitelle“ gleichsetzen.
„Zitelle“ war die Bezeichnung für jene unverheirateten römischen Frauen, die über kein eigenes Vermögen für ihre Aussteuer verfügten. Nach der Ziehung der fünf Gewinnzahlen wurde fünf Frauen aus dem Erlös des Spiels die Aussteuer gezahlt und ihnen dadurch die oft lang ersehnte Heirat ermöglicht.
Das Glücksspiel wird „getauft“
Der Karneval des Jahres 1732 brachte das von vielen Römern mit Spannung erwartete Ereignis, die offizielle Einführung des Lottospiels. Der Chronist des „Diario di Roma“ schrieb: „Das ganze war als große Festlichkeit aufgezogen. Auf dem Platz vor dem römischen Rathaus hatte man eine Bühne aufgebaut, ausgelegt mit Samt. Darauf nahm der Kommissar Platz, zusammen mit den Klerikern der Apostolischen Kammer. Auf dem Tisch stand, allem Volke sichtbar, eine schöne Urne aus versilbertem Kupfer für die Lose. Dahinein legte ein Mann mit langem violettem Rock die Kugeln, deren Nummern er mit lauter Stimme dem Volke verkündete. Die zu dem Ereignis herbeigeströmte Menge war so groß, dass nicht nur der Rathausplatz und die Treppe dicht besetzt waren, sondern auch noch der untere Platz bis zum Palazzo Astalli. Ein Waisenkind nahm dann fünf Kugeln aus der Urne und zeigte sie dem Volke. Es waren die Nummern 56, 11, 54, 18 und 6.“ Aus der Ewigen Stadt war das Lottospiel seit diesem Tag nicht mehr wegzudenken. Und schon kurze Zeit später wurde es in allen Provinzen, in jeder kleinen Stadt des Kirchenstaates gespielt.
Der Papst sollte seine Entscheidung nicht bereuen. Sie verschaffte seinen Untertanen eine „allegrezza“ (Vergnügen) – und der Apostolischen Kammer willkommene Einnahmen. Den Gewinn, der nach Abzug der Kosten für die Aussteuer der „zitelle“ übrig blieb, nutzte man für soziale Projekte (Waisenfürsorge, Armenspeisung und Ausgabe kostenloser Arzneien an Bedürftige), aber auch für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben.
Wichtige Einnahmequelle
Dem Papst folgten bald andere geistliche Landesherren. Kurfürst Clemens August von Köln führte das Glücksspiel 1750 ein. In katholischen Ländern erfreuten sich die in Kirchenregie durchgeführten Lottospiele und die „Tombola“, die in der Regel statt auf der Ausschüttung von Geldsummen auf Sachpreise setzte, immer größerer Beliebtheit. In England und den USA schufen die Anglikaner und Freikirchen später eine eigene Variante: das Bingo-Spiel.
Noch im 20. Jahrhundert waren Lotto und Tombola für so manche Pfarrgemeinde in ärmeren Gegenden oder in Ländern ohne Kirchensteuer eine wichtige Einnahmequelle; viele Kirchen, Schulen, Krankenhäuser und karitative Einrichtungen wären ohne diese „getaufte“ Form des Glücksspiels nicht so schnell entstanden.
In Köln, im Schatten der Kathedrale, kann man noch heute Lose der Dom-Lotterie kaufen; seit 1864 dienen sie mit Erfolg der Erhaltung des größten gotischen Gotteshauses der Welt. In vielen Pfarreien, Seminaren und geistlichen Häusern Italiens blieb die Tombola bis zum heutigen Tag heimisch.
Auf dem Schreibtisch des Verfassers dieses Beitrags steht eine kleine, unscheinbare Madonnenstatue, die ihm lieb geworden ist. Den Ausführungen, die er vor ihr niedergeschrieben hat, dürfte sie wohlwollend gegenüberstehen. In den Besitz der Madonna gelangte er während seiner römischen Studienzeit, bei der vorweihnachtlichen Tombola einer päpstlichen Universität!
Wer letzte Zweifel an einer Verträglichkeit des Lottospiels mit der christlichen Lehre hat, dem sei ein Blick in den „Katechismus der Katholischen Kirche“ empfohlen: „Glücksspiele oder Wetten verstoßen an und für sich nicht gegen die Gerechtigkeit. Sie werden jedoch dann sittlich unzulässig, wenn sie jemand um das bringen, was er zu seinem und anderer Menschen Lebensunterhalt braucht“ (KKK, Nr. 2413).