Luthers giftiger Antisemitismus
Martin Luthers Schriften „strotzen mitunter von Hass“, sein „Antisemitismus war ärger als der seiner meisten Zeitgenossen“, so urteilt sein Biograph Lyndal Roper. Ein Blick auf die wenig sympathische Seite des Reformators.
Nur 20 Jahre liegen zwischen den frühen Judenschriften des Reformators Martin Luther und seinem wüsten Traktat „Von den Juden und ihren Lügen“, 1542 verfasst und am 4. Januar 1543 veröffentlicht, also vor 475 Jahren. Von antijudaistischer Polemik nahezu noch frei sind die Schriften des Jahres 1523: „Dass Jesus ein geborener Jude sei“, der „Brief des Justus Jonas an Andreas Rem, Bürger zu Augsburg“ und Luthers Schreiben an Bernhard, einen bekehrten Juden. Gab es da später eine Wende im theologischen Denken Luthers oder besteht doch eine Kontinuität in seiner heilsgeschichtlichen Einordnung der Juden? Denn es sind weitgehend theologische Argumente, die Luther vorbringt, keine rassistischen. Demnach ist Martin Luther hier als Theologe zu hinterfragen. Ist dabei zu unterscheiden zwischen einem judenfreundlichen frühen Luther und dem alten, verbitterten Judenfeind? Dies gewichten die gelehrten Interpreten sehr unterschiedlich.
Luthers Zwiespalt
Als Wittenberger Professor ergreift Martin Luther 1515 Partei für den Humanisten Johannes Reuchlin in dessen Streit mit dem konvertierten Juden Pfefferkorn, der im Verein mit den Dominikanern (den so betitelten Kölner „Dunkelmännern“) sämtliche jüdischen Bücher konfiszieren und verbrennen will. Allerdings lässt die theologische Begründung Luthers aufhorchen: Nur Gott kann den Schmähungen Christi Einhalt gebieten und die Bekehrung der Juden bewirken. Auch in Luthers Magnificat-Kommentar, 1521 auf der Wartburg niedergeschrieben, ist ein Zwiespalt erkennbar. Weil aus Abrahams Samen, sind die Juden Träger der Verheißung und potentielle Christen, „drum sollen wir die Juden nicht so unfreundlich behandeln“. Schließlich, „wer wollte Christen werden, so er sieht Christen so unchristlich mit Menschen umgehen?“. Sein Rat an die lieben Christen für den Umgang mit Juden: „Man sage ihnen gütlich die Wahrheit. Wollen sie nicht, lass sie fahren!“ In seiner Abhandlung „Vom ehelichen Leben“ 1522 akzeptiert Luther (im Gegensatz zur damaligen katholischen Praxis) die Mischehe zwischen Christen und Juden, erhofft allerdings die Bekehrung des jüdischen Partners zum Christentum.
Erhoffte Bekehrung
Die 1523 veröffentlichte Schrift Martin Luthers „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ löste bei den Juden positive Erwartungen an die Reformation aus, einige vermuteten in ihm sogar einen „Krypto-Juden“. Der Reformator verteidigt sich darin gegen den Vorwurf, er leugne die Jungfrauengeburt: „Ich soll gepredigt und geschrieben haben, dass Maria, die Mutter Gottes, sei nicht Jungfrau gewesen vor und nach der Geburt.“ Diese apologetische Abhandlung war nie als Missionsschrift für jüdische Mitbürger gedacht, obgleich er sich als Nebenabsicht auch Konversionen erhofft, „ob ich vielleicht auch der Juden etliche möchte zum Christenglauben reizen“. Und: „Ich hoffe, wenn man mit Juden freundlich handelt und aus der Heiligen Schrift säuberlich unterweist, es sollen von ihnen viele rechte Christen werden.“ Die Unterweisung besteht darin, den Juden zu demonstrieren, dass sich ihre messianischen Erwartungen in Jesus Christus erfüllt haben, ihre Religion also durch das Christentum obsolet geworden ist.
Es dürfte die ausbleibende Bekehrung der Juden zum (von Luther entdeckten) wahren Christentum gewesen sein, die den Reformator dazu brachte, bei gleichbleibender theologischer Haltung sozusagen andere Saiten aufzuziehen. Auslöser war ein Gerücht aus Mähren, Christen würden dort Sabbat feiern. Luther vermutete eine Missionierung durch Juden und hielt im März 1538 mit der Schrift „Wider die Sabbather“ dagegen. Gebündelt findet sich Luthers Polemik gegen die Juden dann „in zwei von Grausamkeit strotzenden Schriften“ (Volker Leppin) des Jahres 1543: „Von den Juden und ihren Lügen“ sowie „Vom Schem Hamphoras und vom Geschlecht Christi“. In den Tischreden jener Zeit vermutet Martin Luther Heuchelei, wenn Juden zum Christentum konvertieren: „Ich weiß, dass ihr uns hinters Licht zu führen pflegt“ (Sommer 1540). Gefragt, „ob es einem Privatmann erlaubt sei, einem gotteslästerlichen Juden einen Faustschlag zu versetzen“, antwortet der protestantische Reformator gar: „Wenn ich könnte, würde ich ihn zu Boden werfen und in meinem Zorn mit dem Schwert durchbohren.“
Folgenreiche Sätze
In „Von den Juden und ihren Lügen“ identifiziert Luther Christus und Gott in direkter Weise: „Wir Christen aber wissen es, dass sie öffentlich Gott den Vater lästern und fluchen, wenn sie diesen Jesum lästern und fluchen.“ Dieses theologische Argument führt ihn zwingend zur Verfolgung der Juden durch die Christen, wofür er auch praktische Ratschläge liefert: Verhinderung der jüdischen Religionsausübung und Entrechtung der Juden in wirtschaftlicher Hinsicht. „Ich will meinen treuen Rat geben. Erstlich, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe… unserm Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien und solch öffentlich Lügen, Fluchen und Lästern seines Sohnes wissentlich nicht geduldet haben… Dass man ihre Häuser zerbreche und zerstöre… Dass man ihnen nehme alle Betbüchlein und Talmudisten… Dass man ihnen den Wucher verbiete und ihnen alle Barschaft und Kleinod an Silber und Gold nehme… alles, was sie haben, haben sie uns gestohlen und geraubt durch ihren Wucher… Dass man den jungen starken Juden und Jüdinnen in die Hand gebe Flegel, Axt, Karst, Spaten, Rocken, Spindel und lasse sie ihr Brot verdienen im Schweiß der Nase.“
Es braucht nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, wie solche Formulierungen von den deutschchristlichen Theologen im Dritten Reich ausgeschlachtet wurden und eingefleischte Judenhasser „inspirierten“. So verteidigte sich zum Besipiel Julius Streicher, Herausgeber des antisemitischen Hetzblattes „Der Stürmer“, beim Nürnberger Prozess 1946 mit dem Hinweis: „Wenn Martin Luther heute lebte, dann säße er hier an meiner Stelle.“