Madonna del Pozzo

22. November 2012 | von

Mitten im Herzen der Ewigen Stadt liegt ein von den Römern vielbesuchtes Marienheiligtum. Darin spendet ein Brunnen frisches Trinkwasser. Ein römischer Taxifahrer spricht von einer Art Tankstelle, zu der er täglich kommt – eine Einladung an alle Rompilger, auch an nicht-motorisierte, diese „marianische Tankstelle“ ausfindig zu machen.



Santa Maria in Via ist eine der vielen hundert Kirchen in Rom, sie liegt im „Centro Storico“, im historischen Zentrum der Stadt am Tiber. Von ihr sind es nur wenige Schritte, und man steht vor der Marc-Aurel-Säule, bewundert den Trevi-Brunnen oder kann in einem der zahlreichen Cafés in der Via Condotti einen Espresso zu sich nehmen. Das Gotteshaus ist von pulsierendem Leben und hektischem Autoverkehr umgeben. Japanische Touristen, von der Piazza di Spagna kommend, eilen an ihm vorbei zur Piazza di Venezia; eine Gruppe von Schülern aus Deutschland hat sich auf den Stufen niedergelassen, um die Burger eines nahegelegenen Fast-Food-Restaurants zu verzehren. Ein Taxistand und Bushaltestellen ersetzen fast zur Gänze den üblichen Kirchenvorplatz und lassen kein beschauliches Verweilen zu.



IN DEN BRUNNEN GEFALLEN

Aufgesucht wird Santa Maria in Via vor allem von den Bewohnern der Ewigen Stadt, Touristen finden nur vereinzelt den Weg in die Kirche. Dennoch ist sie eine Pilgerstätte, ein Wallfahrtsort der ganz besonderen Art. Wer das vom Servitenorden betreute Gotteshaus betritt, sieht zwar in dem Hauptschiff den ein oder anderen Gläubigen andächtig niederknien, aber der „Publikumsverkehr“ – wenn man ihn so nennen darf – konzentriert sich auf die erste Seitenkapelle zur Rechten.

Ein Laienbruder, der den Schriftenstand der Kirche mit neuem Lesematerial versorgt, gibt dem Besucher die Erklärung: In der Mitte des 13. Jahrhunderts befand sich am Ort der Kapelle eine Scheune mit einem Brunnen, die an den Vorgängerbau des heutigen Gotteshauses grenzte. Sie war im Besitz des Kardinals Pietro Capocci. Ein Diener des Purpurträgers ließ in der Nacht vom 26. zum 27. September 1256 ein Bild der Muttergottes in den Brunnen (it. pozzo) fallen. Bevor es den Grund des Brunnens erreichte, schoss das Wasser hervor und trug es auf wundersame Weise nach oben.

Der Kardinal ordnete die Errichtung einer Kapelle über dem Brunnen und zugleich den Neubau der Kirche an. Das von Papst Alexander IV. approbierte Wunder der „Madonna del Pozzo“ führte dazu, dass die Kapelle zu einem vielbesuchten Wallfahrtsort wurde. Noch heute finden sich hier Tag für Tag Gläubige ein, um aus dem Brunnen zu trinken, da dem Wasser heiltätige Wirkung nachgesagt wird. Auf Wunsch füllt der Mesner der Kirche das Wasser auch in Flaschen ab, zur unentgeltlichen Mitnahme.



TREUE WASSERTRÄGERIN

Das Wasser aus dem Brunnen sei ein Angebot für alle, die daraus trinken möchten, betont der Pfarrer des Gotteshauses. So wie Jesus es am Jakobsbrunnen gelehrt und es gegenüber der Samariterin vorgelebt habe, dürfe dieses Geschenk des Lebens niemandem verwehrt bleiben. Wenn man die „Kunden“ der Madonna fragt, warum sie aus der Quelle trinken oder das Wasser mit nach Hause nehmen, erhält man eine breite Palette von Antworten. Die ältere Dame, die zwei kleine Flaschen in ihrer Handtasche verstaut, kommt seit vielen Jahrzehnten zur Madonna del Pozzo. Für sehr lange Zeit sei ihr Mann krank und bettlägrig gewesen, erzählt die Signora, und als eifriger Verehrer der Gottesmutter sei ihr Gatte dafür dankbar gewesen, wann immer sie ihm eine Flasche des Wassers mitgebracht habe: „Er hat sich keine Wunder davon erwartet, sondern Trost und Stärkung im Leiden.“ Seit fünf Jahren sei ihr Ehemann tot. Aber den Brauch habe sie beibehalten, gesteht sie etwas verlegen ein, jedesmal, wenn sie sein Grab auf dem Campo Verano, dem römischen Zentralfriedhof, aufsuche, bringe sie ihm das Wasser der Madonna vorbei und versorge damit den Grabschmuck.



SPRUDELNDER GLAUBE

Clara steht kurz vor dem Abschluss ihrer Doktorarbeit in Architekturgeschichte; ihr Studium hat sie mit Führungen durch die Ewige Stadt finanziert. In einer halben Stunde ist sie mit einer Gruppe französischer Studenten im Pantheon verabredet. Die Zeit bis dahin nutzt sie für ein kurzes Gebet in Santa Maria in Via. Clara ist oft hier. Und jedesmal besucht sie auch die Kapelle und trinkt ein Glas Wasser. Warum, kann sie gar nicht richtig erklären: „Aber ich fühle mich danach einfach gut.“

Valeriano ist Taxifahrer, gerade dreißig Jahre alt geworden, verheiratet und stolzer Vater von zwei Kindern. Er hat seinen Standplatz auf der Piazza San Silvestro vor dem römischen Hauptpostamt, nur drei, vier Minuten von der Kirche entfernt. Einmal am Tag kommt er zur Madonna del Pozzo, um einen Schluck aus der wundertätigen Quelle zu nehmen. Die Kollegen, die dann auf sein Taxi aufpassen, wissen, wo er hingeht, und bitten ihn manchmal sogar, ihnen eine Flasche Wasser mitzubringen: „Der Brunnen der Madonna ist so etwas wie eine Tankstelle, an der ich für meinen Glauben neue Kraft und Hoffnung finden kann. Wenn ich davon trinke, weiß und spüre ich, dass der Glaube etwas Lebendiges ist.“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016