Mädchen am Altar?!
Wenn in einer Pfarrei der Pfarrer wechselt, bedeutet das meistens, dass es Veränderungen gibt. So war das auch kürzlich, als in einer Pfarrei, in der Freunde von mir leben, ein neuer Pfarrer eingeführt wurde. Er war noch jung, das hatte Erwartungen geweckt, die aber schnell enttäuscht wurden, denn als erstes hat er die Ministrantinnen verjagt. Seit Jahren taten Mädchen ganz selbstverständlich ihren Dienst am Altar, zusammen mit einer ganzen Reihe von Jungen. Nun sollte das nicht mehr möglich sein.
Dienstverbot für Mädchen?
Im Pfarrgemeinderat auf die Situation angesprochen, gab der Pfarrer zum Besten, dass er nur das geltende Kirchenrecht durchgesetzt habe: Es sei nämlich allgemein verboten, dass Mädchen ministrieren, und die deutschen Bischöfe hätten vor einigen Jahren dem Papst eine Sonderregelung abgetrotzt. Und er als Pfarrer wolle am Altar definitiv keine Frauen und Mädchen sehen.
Da kann man nur tief Luft holen und zu dem klugen Grundsatz greifen, den ich den Studierenden schon in einer der ersten Vorlesungen in Kirchenrecht beibringe: Wenn jemand behauptet, dieses oder jenes sei aus kirchenrechtlichen Gründen nicht möglich, dann lassen Sie sich zeigen, wo das steht!
Regelungen des alten Kirchenrechts
Also, steht das irgendwo im kirchlichen Gesetzbuch (= CIC/1983), dass Mädchen nicht ministrieren dürfen? Nein – wenigstens nicht im geltenden CIC/1983. Aber dazu später. Zuerst will ich einen kurzen Blick in den früher geltenden CIC/1917 werfen, der allerdings vom geltenden Gesetzbuch abgelöst und somit vom Papst außer Kraft gesetzt worden ist.
In c. 813 § 2 CIC/1917 war die Frage gesetzlich geregelt worden, ob Frauen bei der Messe ministrieren dürften. Die Antwort war, wie in der Kirche oft und bei Radio Eriwan stets üblich, ein klares Jein: Grundsätzlich dürfen Frauen nicht ministrieren, so hieß es dort, außer, es gibt keine Männer, die das tun können. Dann und nur dann dürfen auch Frauen ministrieren, allerdings nur in der Weise, dass sie lediglich aus der Ferne die notwendigen Antworten geben. Und sie dürfen sich aus keinem Grunde dem Altar nähern. Diese Regelung passt zu weiteren Normen, welche die Frauen in der Kirche betrafen: Gemäß c. 1262 CIC/1917 sollten sie in den Bänken getrennt von den Männern sitzen, sie sollten ihr Haupt bedecken und züchtig gekleidet sein. Weiblicher Gesang wurde, wie c. 1264 CIC/1917 vermuten lässt, als lasziv und als für eine Kirche unpassend empfunden; selbst Klosterfrauen durften nur in ihren eigenen Kirchen und Kapellen singen und mussten sich dabei vor den Blicken der anderen Gläubigen verbergen. Dass Frauen hingegen die Kirche putzten und den Blumenschmuck besorgten, das war nicht verboten; dazu gab es keine Norm. Und so gab es nicht wenige Verantwortliche in der Kirche, die dieses „typisch weibliche“ Engagement in der Kirche förderten und gleichzeitig jede andere Betätigung verhinderten.
Grundsätzliche Gleichheit
Nachdem Papst Johannes XXIII. mit seiner Enzyklika „Pacem in Terris“ vom 11.04.1963 den Weg dazu geöffnet und das II. Vatikanische Konzil am 08.12.1965 eine eigene Botschaft an die Frauen gerichtet hatte, geht das geltende Gesetzbuch von der grundsätzlichen Gleichheit von Frau und Mann aus. Das wird ganz besonders in c. 230 §§ 2 und 3 CIC/1983 deutlich, wo es um die liturgischen Dienste von Lektoren, Kommentatoren, Kantoren und um andere liturgische Dienste geht. Nachdem in c. 230 § 1 CIC/1983 nur von Männern die Rede war, wird in den §§ 2 und 3 betont, dass diese Dienste von allen Laien, also von Frauen und Männern gleichermaßen, ausgeübt werden können.
Klare Vorgabe aus Rom
Wahrscheinlich im Jahr 1993 wurde daraufhin eine Anfrage nach Rom geschickt, ob denn auch Frauen diese liturgischen Dienste ausüben dürften. Der Zweck dieser Anfrage war klar: Man hoffte darauf, dass Rom den liturgischen Dienst von Frauen verbieten würde. Aber die Antwort war eine ganz andere – in Form und Inhalt. Der Form nach, weil nicht nur mit dem üblichen „Ja“ oder „Nein“ auf die Anfrage geantwortet wurde, sondern mit einem ausführlichen Brief an die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen. Und dem Inhalt nach, weil klargestellt wurde, dass diese liturgischen Dienste „in gleicher Weise von Männern und Frauen wahrgenommen werden können und … [dass] zu diesen Funktionen in gleicher Weise wie die anderen von demselben Kanon aufgeführten Funktionen der Altardienst gezählt werden kann.“
Damit war durch den obersten Gesetzgeber der Kirche ganz klar gestellt: Mädchen und Frauen dürfen auch ministrieren, wenn der jeweilige Diözesanbischof das, nach gegenseitiger Abstimmung in der Bischofskonferenz, für seine Diözese erlaubt. Der einzelne Pfarrer, sonst ein Priester oder ein Laie oder auch der Pfarrgemeinderat haben also in dieser Sache weder etwas zu erlauben noch etwas zu verbieten!
Interessant ist auch die Begründung, die aus Rom für diese Entscheidung mitgeliefert wurde: Diese Norm finde nämlich bereits seit langem eine „breite Anwendung durch die Tatsache, dass die Frauen oft den liturgischen Dienst des Lektors verrichten, als außerordentliche Spender der Eucharistie auch zur Austeilung der Kommunion berufen werden können und gemäß c. 230 § 3 andere Aufgaben wahrnehmen.“ Das ist ganz schön raffiniert: Dem möglichen Gerücht, Mädchen und Frauen dürften zwar ministrieren, aber keine qualifizierteren liturgischen Dienste verrichten, wurde bei dieser Gelegenheit von römischer Seite gleich ein Riegel vorgeschoben.
Wertvolle Messdiener(innen)-Pastoral
Nun, etwas Verständnis hatten die Römer für die ewigen Nostalgiker aber auch. Sie erinnerten an die edle Tradition des Dienstes am Altar durch Messdiener und stellten fest: „Bekanntlich hat dies auch eine ermutigende Entwicklung der Priesterberufe ermöglicht. Es wird also immer die Verpflichtung mit sich bringen, diese Ministrantengruppen weiter zu unterstützen.“ Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn auch hier die Gleichberechtigung gilt: Auch Ministrantinnengruppen brauchen Begleitung und Unterstützung. Und es ist jeder Mühe wert, für gute und lebendige Gruppen von Ministrantinnen und Ministranten in den Pfarreien zu sorgen. Erfahrungsgemäß finden sich dort die Mädchen und Jungen, die sich noch für Gottesdienst und Liturgie und für das sonstige kirchliche Leben interessieren.
Normale Jugendliche, die mitmachen
In Italien werden die Ministranten auch heute noch als „chierichetti“ bezeichnet, also als kleine Kleriker. Und es soll auch bei uns Leute geben, denen bei einem festtäglichen Großaufgebot von feierlich einherschreitenden Ministranten die Phantasie durchgeht: „Alles künftige Priester, so brav, so ordentlich, so ganz anders als die Jugendlichen sonst …“. Die Erfahrung des Priestermangels lehrt uns allerdings etwas anderes, und schon die altbekannte Rede von den Ministranten als den „Lausbuben des lieben Gottes“ macht deutlich, dass es sich auch bei den Ministranten – und auch bei den Ministrantinnen – um ganz normale Jugendliche handelt.
Aber eines ist vielleicht doch anders: Viele Frauen, die sich heute mit großem persönlichen Einsatz und mit Freude in den Pfarreien bei der Kommunion- und Firmvorbereitung oder in der Kinder- und Jugendarbeit engagieren, gehören zur ersten Generation von Ministrantinnen. Dort scheinen sie für ihr eigenes Leben und für das Leben ihrer Pfarreien etwas Entscheidendes gelernt zu haben: Dass die Kirche nämlich von Menschen lebt, die mitmachen.