Meister der Melancholie
Der Leib liegt auf dem berühmten Pariser Friedhof Père-Lachaise, doch sein Herz wurde auf des Komponisten Wunsch nach Warschau gebracht und dort in der Heilig-Kreuz-Kirche eingemauert. Frédéric Chopin wird fälschlicherweise immer wieder für einen Franzosen gehalten, dabei blieb die Sehnsucht nach seiner Heimat Polen lebenslang die Triebfeder seines musikalischen Wirkens. Der virtuose Pianist und Komponist schuf mit seinen wehmütig-perlenden Stücken einen völlig neuen Klavierstil.
Man bereitete sich vor in Polen, auf das große Jubiläum: Die ehemalige Wohnung der Familie Chopin wurde rekonstruiert, in Warschau wurde am 1. März 2010 ein Chopin-
museum eröffnet, an die 2.000 Veranstaltungen sind bis zum Ende des Jahres geplant – und begonnen hat das Festjahr zu Ehren des 200. Geburtstags von Frédéric Chopin schon im Januar mit dem offiziellen Startschuss durch den polnischen Kulturminister Bogdan Zdrojewski in Żelazowa Wola. Dort, in dem Landgut der Familie Chopin bei Warschau, wird die wohl bedeutendste Persönlichkeit der Musikgeschichte Polens am 1. März 1810, nach anderen Angaben schon am 22. Februar, geboren. Schon früh wird das musikalische Talent des Jungen sichtbar und hörbar: Im Alter von sieben Jahren komponiert er seine ersten Stücke, das erste Konzert folgt ein Jahr später. Die Kulturhistorikerin und Verfasserin einer Chopinbiografie, Eva Gesine Baur, bringt den Eindruck, den der junge Chopin auf seine Zuhörer gemacht haben muss, auf den Punkt: „Dieser blasse Kerl mit den blonden Haaren und diesen zwischen blau, grau und bernsteinfarben changierenden Augen entspricht auch äußerlich dem, was man sich von einem Wunderkind wünscht. Sein Blick ist träumerisch, seine Stimme ist leise, und wenn er am Klavier sitzt, vergisst er alles um sich her." Sein zweiter Klavierlehrer, Józef Elsner, bezeichnet Chopin zu dessen Ärger in einigen Zeugnissen „nur" als talentiert; das Wort vom Genie verwendet er erst im Abschlusszeugnis am Konservatorium, an dem der junge Chopin am 20. Juli 1829 sein Diplom bekommt: „Szopen Fryderyk" – besondere Begabung, musikalisches Genie.
Hinaus in die Welt
Für seine weitere musikalische Entwicklung scheint Warschau bald zu eng und es folgen Reisen nach Berlin und Wien, nicht immer mit dem gewünschten Erfolg, doch durchaus mit Anerkennung seiner pianistischen Fähigkeiten. Sein Talent als Komponist bleibt zunächst noch verkannt. In der Heimat ist man jedoch stolz auf einen Musiker seines Formats. Das „Allgemeine Tagblatt des Landes" rühmt ihn nach einem Konzert im Frühjahr 1830: „Die Polen wurden vom Schicksal mit einem Chopin beschenkt, wie die Deutschen mit Mozart." So verwundert es nicht, dass er bei seiner Abreise in Richtung Paris – wohl nicht ahnend, dass er nie mehr nach Polen zurückkehren wird – von seinem ehemaligen Lehrer und einigen Studenten noch einmal aufgehalten wird. Sie schleifen ihn in das nächste Gasthaus und schenken ihm ein gedichtetes Lied zum Abschied mit dem Tenor: Die polnische Heimat soll er in der Fremde berühmt machen!
Auch in der Fremde liegt dem jungen Chopin die Heimat am Herzen. Mit Trauer vernimmt er die blutige Niederschlagung der polnischen Revolution durch den russischen Zaren und damit die zerstörte Hoffnung auf polnische Unabhängigkeit. Die Nachricht darüber erreicht ihn angeblich während eines Konzertes in Wien. Das daraufhin improvisierte Klavierstück wird zu einem seiner bekanntesten Werke: die Revolutionsetüde.
Turbulenzen in Paris
Endlich in Paris angekommen, wird er über Nacht berühmt: Mit einem Konzert am 26. Februar 1832 gelingt ihm der Durchbruch. Mit Klavierunterricht, Konzerten und Kompositionen kann er fortan seinen aufwändigen Lebensstil finanzieren. Es geht ihm gut in der „schönsten aller Welten", wie er die französische Hauptstadt betitelt. Die Zeit ist geprägt von Reisen nach Deutschland, unter anderem nach Köln, Koblenz, Düsseldorf und Dresden. Privat hingegen verläuft sein Leben turbulent, immer wieder gebeutelt von unglücklicher Liebe, seine Stimmung schwankt zwischen den Extremen. Chopin fasst diese selbst zusammen: „Sehnsucht – Gleichgültigkeit – Lebenslust, dann wieder Todesverlangen …" Erst eine intime Beziehung zu der Schriftstellerin George Sand vermag sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. Mit ihr verbringt er aus gesundheitlichen Gründen einige Monate auf Mallorca, nach Monaten mit Konzerten und Unterrichtsstunden die Sommer auf George Sands Landsitz Nohant. Welcher Art die Beziehung dieser zwei ungleichen Menschen war, lässt sich heute nicht mehr genau feststellen, beendet wird sie im Jahr 1847 durch einen Brief George Sands: „Adieu, mein Freund, ich wünsche Ihnen, dass Sie bald von allen Leiden geheilt sind; und ich werde Gott danken für dieses bizarre Ende einer neun Jahre dauernden ausschließlichen Freundschaft."
Der Erde entschwebt
Chopins Gesundheitszustand, er hat wohl an einer chronischen Tuberkulose gelitten, verschlechtert sich zusehends. Am 17. Oktober 1847 verstirbt er um zwei Uhr morgens in seiner Pariser Wohnung. Und irgendwie scheint sich bewahrheitet zu haben, was George Sand am Anfang ihrer Beziehung zu Chopin in einem Brief geschrieben hat – und es mag als Schlusswort dieser knappen Darstellung seines Lebens dienen: „Dieser Chopin ist ein Engel. Seine Güte, sein Zartgefühl und seine Geduld beunruhigen mich manchmal; ich glaube, dass er zu fein, zu kostbar und zu vollkommen ist, um lange unser schweres Erdendasein zu ertragen. Ich bin so daran gewöhnt, ihn im Himmel zu sehen, dass es mir nicht so vorkommt, als ob sein Tod oder sein Leben Realitäten für ihn wären. Er selbst weiß nicht genau, auf welchem Planeten er lebt."