Mittendrin in der Weltbischofssynode
Bei der Prager Kontinentalsynode war unser Autor live mit dabei – als Delegierter der Deutschen Bischofskonferenz. Sein Beitrag liefert einen Einblick in das Geschehen rund um die Weltbischofssynode 2021-2024.
Kurz vor Weihnachten kam der Brief aus dem Generalsekretariat der Deutschen Bischofskonferenz: Man hätte mich nominiert als einen der zehn Online-Delegierten an der Kontinentalversammlung in Prag vom 05.-09. Februar 2023. Man habe bislang noch keine Details zu dieser Versammlung, ich solle aber baldmöglichst mitteilen, ob ich zusagen könne oder absagen müsste. Ich habe zwei Menschen um Rat gefragt und wir waren uns im Prinzip einig: Da kann man eigentlich nicht absagen. Und weil sich der Termin auch noch einigermaßen einrichten ließ, habe ich meine Zusage geschickt – und gleichzeitig begonnen, mich näher damit zu befassen, was es mit dieser Kontinentalversammlung überhaupt auf sich hat.
Gemeinsam Gehen
Sie steht im Kontext der von Papst Franziskus einberufenen Weltbischofssynode, die im Oktober 2021 feierlich in Rom eröffnet wurde. „Mit dieser Einberufung“, so erklärt das Vorbereitungsdokument, „lädt Papst Franziskus die ganze Kirche ein, sich Gedanken zu machen über ein für ihr Leben und ihre Sendung entscheidendes Thema“ (I,1), nämlich die Synodalität. Entsprechend lautet auch der Titel der Weltbischofssynode „Für eine synodale Kirche: Gemeinschaft, Teilhabe und Sendung“. Die Gläubigen sollen über eine sehr grundlegende Fragestellung nachdenken: „Wie gestaltet man heute, auf den verschiedenen Ebenen (von der lokalen zur universalen) jenes ‚gemeinsam Gehen‘, das es der Kirche erlaubt, entsprechend der ihr anvertrauten Sendung das Evangelium zu verkünden; und: welche Schritte lädt der Heilige Geist uns ein zu gehen, um als synodale Kirche zu wachsen?“ (I,2)
Deutsche Vorerfahrungen
Zum Thema „Synodalität“ hat die römisch-katholische Kirche in Deutschland in den vergangenen dreieinhalb Jahren Erfahrungen gesammelt. Der von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken gemeinsam initiierte Gesprächsprozess „Synodaler Weg“ (siehe unser Thema des Monats im November 2021) begann im Dezember 2019 und schloss mit der fünften Synodalversammlung vor wenigen Wochen. Im Licht der Ergebnisse der im Herbst 2018 veröffentlichten MHG-Studie, einem Forschungsprojekt zum Thema „Sexueller Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland“, beschäftigte man sich vor allem mit vier Themenfeldern: „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ / „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ / „Priesterliche Existenz heute“ / „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“.
Immer wieder wurde deutlich, dass das „gemeinsam Gehen“ nicht reibungslos funktioniert. Manch einem ging alles nicht schnell genug. Man befürchtete einen erneuten Dialogprozess ohne Ergebnisse und noch größerem anschließenden Frust. Andere sahen die Einheit mit der Weltkirche in Gefahr, weil man befürchtete, es würden Entscheidungen getroffen, für die man keine Kompetenz habe. Kurz vor Abschluss verkündeten gar vier Frauen öffentlichkeitswirksam mit einer „Abschiedserklärung“ ihren Rücktritt als Delegierte. Sie seien nicht länger bereit, „einen Kurs mitzutragen, der die Kirche in Deutschland offenkundig ins Abseits von der Universalkirche treibt.“
Weltweite Beteiligung
Ob der „Synodale Weg“ in Deutschland letztlich mitentscheidend dafür war, dass Papst Franziskus auch einen synodalen Prozess auf Weltebene angestoßen hat – oder ob der deutsche Gesprächsprozess für einen Teil der Gläubigen schon so ermüdend war, dass das Interesse für die Beteiligung am weltweiten Dialog eher gering war/ist: Es sei einmal dahin gestellt. Wie alle Ortskirchen war auch die deutsche Kirche aufgefordert, ihren Beitrag auf Grundlage des Vorbereitungsdokuments einzusenden. Die Deutsche Bischofskonferenz stellte darin fest: „Die Anzahl der Gläubigen, die sich in den Diözesen an der Befragung zur Weltbischofssynode beteiligt haben, liegt im untersten einstelligen Prozentbereich.“ (II,2) Auch die Deutsche Ordensobernkonferenz musste für den zusätzlich von ihr eingebrachten Bericht ähnliches konstatieren. Dennoch: Selbst wenn sich nur wenige beteiligten und es kaum gelungen sei, „enttäuschte und kirchenferne Menschen“ in den Gesprächsprozess einzuladen, seien, so die DBK, „alle Gruppen der engagierten Gläubigen vertreten: Frauen und Männer, Kleriker und Laien, Hauptamtliche und Ehrenamtliche, junge und alte Menschen.“ (II,2)
Stimme des Volkes Gottes
Aus den weltweiten Rückmeldungen – immerhin hatten 112 der 114 Bischofskonferenzen ihre Berichte eingereicht – wurde das „Arbeitsdokument für die kontinentale Etappe“ erstellt, ergänzt unter anderem von Überlegungen aus den römischen Dikasterien, den Orden, kirchlichen Vereinen und Laienbewegungen, sowie zahlreichen Einzelbeiträgen, die online eingegangen waren.
Ich erinnere mich an eine erfahrene Ordensfrau, die nach der Lektüre dieses Dokuments nahezu mit Tränen in den Augen gesagt hatte: „So etwas Schönes habe ich aus Rom noch nie gelesen!“
Nach meinem eigenen Lesen konnte ich ihre Begeisterung gut nachvollziehen. Die 49 Seiten lesen sich wie eine Zusammenschau dessen, was gerade katholische Menschen in aller Welt umtreibt. Und dabei wird das Papier nicht zu einem Manifest in die eine oder die andere Richtung. Klug sind Zitate aus allen Teilen der Welt ausgewählt worden, um die gehobenen Themen zu illustrieren. Sie lassen, wie die Autoren des Arbeitsdokuments schreiben, „die Stimme des Volkes Gottes aus allen Teilen der Welt erklingen“ (6). Das Dokument will keine Zusammenschau einer soziologischen Umfrage sein oder eine abschließende theologische Sichtweise, sondern möchte die Erfahrung transportieren, „wie das Volk Gottes auf die Stimme des Heiligen Geistes gehört hat und dadurch sein sensus fidei zum Tragen kommen kann.“ (8)
Ein weites Zelt
Als biblisches Leitbild zieht sich wie ein roter Faden ein Vers von Prophet Jesaja durch den Text: „Mach den Raum deines Zeltes weit, spann deine Zelttücher aus, ohne zu sparen. Mach die Stricke lang und die Pflöcke fest.“ (Jes 54,2). Erläuternd dazu schreibt das Autorenteam: „Wenn wir diese Worte Jesajas heute hören, laden sie uns ein, sich die Kirche als Zelt oder sogar als Zelt der Begegnung vorzustellen, das das Volk auf dem Weg durch die Wüste begleitet hat: Sie ist also aufgerufen, weiter zu werden, sich aber auch zu bewegen. In ihrer Mitte steht der Tabernakel und damit die Gegenwart des Herrn. Gehalten wird das Zelt durch robuste Pflöcke, d. h. durch die Fundamente des Glaubens, die sich nicht verändern, aber versetzt und in immer wieder neues Gelände eingeschlagen werden können, damit das Zelt die Menschen auf ihrem Weg durch die Geschichte begleiten kann. Damit es nicht durchhängt, muss das Zeltgestell schließlich die unterschiedlichen Stöße und Spannungen, denen es ausgesetzt ist, ausgleichen können: Eine Metapher, die für die Notwendigkeit der Unterscheidung steht. So stellt man sich in vielen Berichten die Kirche vor: als geräumige Bleibe, aber nicht gleichbleibend, fähig, allen Zuflucht zu gewähren, aber offen, damit man ein- und ausgehen und auf die Umarmung mit dem Vater und mit allen anderen Gliedern der Menschheit zugehen kann.“ (27)
Themen von A bis Z
Aus den Berichten der verschiedenen Länder wird dann die allgemeine Besorgnis darüber referiert, „dass die Stimme junger Menschen im synodalen Prozess und zunehmend auch im kirchlichen Leben zu wenig zum Tragen kommt.“ (35) Es kommen die „Ängste und Widerstände im Klerus, aber auch Passivität unter den Laien, die Angst haben, sich frei zu äußern, und sich schwer tun, die Rolle der Priester und Bischöfe innerhalb der synodalen Dynamik zu verstehen“ zur Sprache. Die Österreichische Bischofskonferenz wird mit den Worten zitiert: „Die Beratungen in den Diözesen und auf nationaler Ebene haben gezeigt, dass die Beziehung zwischen Priestern und Gläubigen schwierig ist.“ (19)
Immer wieder wird die Sorge um Menschen artikuliert, die von der Kirche ausgeschlossen werden – wiederverheiratete Geschiedene, alleinerziehende Eltern, LGBTQ-Personen… Die Bischofskonferenz der USA resümiert hier: „Die Leute verlangen, dass die Kirche ein Zufluchtsort für die Verletzten und Gebeugten sein soll, keine Institution für die Vollkommenen. Sie wollen, dass die Kirche die Menschen da abholt, wo sie stehen, dass sie mit ihnen geht, anstatt sie zu verurteilen, und dass sie fürsorglich und authentisch echte Beziehungen aufbaut und kein Gefühl der Überlegenheit.“ (39)
Der Aufruf zu mehr Ökumene und interreligiösem Dialog hat ebenso seinen Widerhall gefunden wie die Trends der Säkularisierung, des Individualismus und des Relativismus. Was die viel diskutierte Rolle der Frau betrifft, hält das Papier fest: „Aus allen Kontinenten kommt der Aufruf, dass katholische Frauen vor allem als Getaufte und Mitglieder des Volkes Gottes mit gleicher Würde stärker zur Geltung gebracht werden müssen.“ (61) Ergänzt wird dieser Aufruf unter anderem durch ein Zitat aus Neuseeland: „Diese fehlende Gleichberechtigung für Frauen innerhalb der Kirche wird als Hindernis für die Kirche in der modernen Welt gesehen.“ (62) Dass die Positionen im Blick auf die Priesterweihe der Frau sehr unterschiedlich sind, „die man sich in einigen Berichten wünscht, während andere diese Frage als abgeschlossen betrachten“ (64), wird aber ebenfalls klar ausgedrückt.
Zuhören in Prag
Das Hören auf verschiedene Positionen, Meinungen und Ansichten stand denn auch im Zentrum der eingangs erwähnten Kontinentalversammlung von Prag. Sieben solche kontinentale Treffen wird es geben bzw. hat es bereits gegeben (Europa, Nordamerika, Südamerika, Afrika, Asien, Nahost und Ozeanien). In Prag trafen sich 156 Delegierte aus den europäischen Bischofskonferenzen, sowie 44 von der Europäischen Bischofskonferenz (CCEE) eingeladene Gäste. Hinzu kamen knapp 390 online zugeschaltete Teilnehmer/innen, jeweils zehn aus den Bischofskonferenzen. Deren Beteiligung war aufgrund technischer Schwierigkeiten bisweilen nur eingeschränkt möglich. Und auch sonst zeigte sich an verschiedenen Stellen, dass man organisatorisch mit solchen Dialogprozessen im internationalen Kontext noch Erfahrung sammeln muss.
Das lange Zuhören ist gleichwohl wichtig. Doch es ergibt sich daraus auch die Problematik, dass ein wirkliches Gespräch nicht in Gang kommt und dass mitunter Aussagen, oft auch verletzender Natur, einfach stehen bleiben, obwohl man ihnen eigentlich widersprechen müsste. Die Theologin Prof. Dr. Johanna Rahner, ebenfalls Mitglied der deutschen Online-Gruppe, forderte denn auch „mehr theologisch kompetente, intellektuelle Durchdringung“ der diskutierten Themen und Problematiken.
Von Einheit und Wahrheiten
Das Stichwort „Einheit in Vielfalt“ zog sich wie ein roter Faden durch viele Beiträge. Die Situation in den einzelnen Ländern sei so unterschiedlich, dass man darauf oft nur im Modus des Einzelfalls reagieren könne. In diese Richtung argumentierte auch der luxemburgische Kardinal Jean-Claude Hollerich, Generalrelator der Bischofssynode: „Wir müssen aber lernen, mit vielfältigen Ausdrucksformen des Glaubens zurechtzukommen. Man kann heute nicht mehr eine einzige Praxis vorschreiben. Das können wir auch als Bischöfe nicht. Wenn wir das wollen, werden wir immer mehr Leute an den Rand drängen oder über den Rand hinaus.“
Wenn dann immer wieder von der Wahrheit – oder wie im österreichischen Diskussionsbeitrag von der „Teilwahrheit“ – die Rede war, hatte sich darauf schon der tschechische Religionsphilosoph Prof. Dr. Tomáš Halík in seinem Impulsvortrag bezogen: „Wir dürfen nicht mit dem Stolz und der Arroganz derjenigen, die glauben, im Besitz der Wahrheit zu sein, auf andere zugehen. Die Wahrheit ist ein Buch, das noch keiner von uns zu Ende gelesen hat. Wir sind nicht im Besitz der Wahrheit, sondern Liebhaber der Wahrheit und Liebhaber des Einzigen, der sagen darf: Ich bin die Wahrheit.“
Die Orden und die Deutschen
Was ich mich während der Kontinentalversammlung häufiger gefragt habe: Warum hat man so viel Angst vor dem Dialog und vor anderen Meinungen? Warum fürchtet man sich in der Kirche so sehr vor etwas mehr Synodalität und Beteiligung aller Getauften auch an Entscheidungsprozessen? Immer häufiger wird auf die Orden als Beispiel verwiesen. Aus eigener Erfahrung würde ich sagen: Auch in den Orden läuft nicht alles rund. Doch wir machen vor, dass Wahlen, Debatten, demokratische Elemente und kollegiales Miteinander in der Kirche durchaus mit jahrhundertelanger Tradition möglich sind. Ferdinand Kaineder, Präsident der „Katholischen Aktion“ in Österreich, hat mir da neulich im Blick auf die Orden und die Kirche in einem Interview aus dem Herzen gesprochen: „Dass man sich da nicht traut, diese Erfahrung und dieses Modell wesentlich mehr auch in der diözesanen Kirche zu berücksichtigen, da bin ich öfters verwundert.“
Und eine zweite Beobachtung betrifft „uns Deutsche“. Schon lange fällt mir im Orden im Ausland auf, wie man „die Deutschen“ argwöhnisch beobachtet. Bisweilen kommen wir in kirchlichen Foren arg überheblich daher – und obendrein reichlich kompliziert. Was ich in Prag häufiger bemerkt habe: Schon die Übersetzer tun sich schwer, alle Nuancen unserer ganz bestimmt recht guten Beiträge halbwegs ordentlich zu übersetzen. Wir hingegen haben tendenziell Mühe, andere Meinungen als gleichwertig stehen zu lassen.
Kardinal Walter Kasper hat in einem Interview anlässlich seines 90. Geburtstags vor kurzem ganz ähnlich festgestellt: „Und auch die Fragen, die aus anderen Bischofskonferenzen kommen, die sollte man in Deutschland ernst nehmen und nicht so auftreten, als kenne man die Wahrheit schon. Damit machen sich die Deutschen im Ausland immer unbeliebt.“
Zuhören und dann?
Das letzte Wort soll nun trotzdem ein weiterer Deutscher haben. Er denkt einen Schritt voraus und fragt, was nach dem Zuhören kommt. Prof. Dr. Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: „Auf Dauer kann es allerdings beim ‚Hören‘ nicht bleiben. Es muss auch entschieden und gehandelt werden. Nicht erst am Sankt Nimmerleinstag. Ist die katholische Kirche dazu fähig und bereit? Die Antwort ist offen.“ Vielleicht gehört aber gerade das zur Synodalität ganz wesentlich dazu, auch wenn es bisweilen noch so „unfertig“ erscheint.