Müssen Selbstmörder draußen bleiben?

25. November 2019 | von

Wenn ein Mensch Selbstmord begeht, dann ist das für die hinterbliebenen Angehörigen meist viel schlimmer, als wenn jemand aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls ums Leben kommt. Selbstmord ist auch noch in unseren Tagen gesellschaftlich geächtet. Selbstmord kann man auch heute noch nicht beim Namen nennen. Selbstmord wird noch immer so behandelt, als ob jemand mutwillig und aus freiem Entschluss seinem Leben ein Ende gemacht hätte. Selbstmord wird von vielen Zeitgenossen immer noch so eingeschätzt, als ob sich jemand feige aus dem Staub gemacht und seiner Verantwortung in Familie und Beruf entzogen hätte. Diese verbreitete gesellschaftliche Haltung spiegelt sich in gewisser Weise im Katechismus der Katholischen Kirche (KKK) wider, der unter den Nummern 2280-2283 vom Selbstmord handelt. Dort wird in KKK 2281 unter anderem ausgeführt: „Der Selbstmord widerspricht der natürlichen Neigung des Menschen, sein Leben zu bewahren und zu erhalten. Er ...…verstößt gegen die Nächstenliebe, denn er zerreißt zu Unrecht das Band der Solidarität mit der Familie, der Nation und der Menschheit, denen wir immer verpflichtet sind. Der Selbstmord widerspricht zudem der Liebe zum lebendigen Gott.”

 

Gegen göttliches Gebot?

Auch die katholische Kirche ächtet den Selbstmord, weil er dem fünften Gebot widerspricht. So ist es wenigstens dem Katechismus zu entnehmen. Aber was ist mit dem Menschen, der Selbstmord begeht und auf diese Weise aus dem Leben scheidet? Ist jeder Selbstmord ohne Unterschied als schwerwiegender Verstoß gegen das Gebot Gottes zu beurteilen? Und welche Folgen ergeben sich aus der Beantwortung dieser Frage für das kirchliche Handeln? Und was ist mit den Angehörigen eines solchen Menschen, deren Trauer und Verzweiflung in der Regel noch viel tiefer ist als bei einem krankheits- oder unfallbedingten Todesfall?

Leider gibt es auch heute und in unseren Breiten immer noch Pfarrer, die einem Selbstmörder ein kirchliches Begräbnis verweigern. Das sei verboten, so argumentieren sie und versuchen, sich mit diesem „Totschlagargument” jeder persönlichen Verantwortung für ihr skandalöses Handeln zu entziehen. Dass sie damit bei den Gläubigen und auch bei anderen Menschen zu Recht großes Ärgernis auslösen, scheint sie nicht weiter zu stören. Auch nicht, dass sie sich als Seelsorger mit solchem Verhalten grundlegend disqualifizieren.

Weil ich als Kirchenrechtler zu einem solchen Fall befragt wurde, möchte ich im Folgenden ein paar Erläuterungen und Hinweise geben.

 

Kein Bestattungsverbot!

Als erstes ist zu sagen: Es gibt kein Verbot, Selbstmörder kirchlich zu bestatten – weder im Katechismus noch im geltenden Kirchenrecht. Der c. 1184 § 1 CIC/1983 nennt nur drei Fälle, in denen ein kirchliches Begräbnis verweigert werden darf und muss: Wenn es sich bei der oder dem Verstorbenen um eine oder einen offenkundigen Apostaten, Häretiker oder Schismatiker handelt – das „offenkundig” bedeutet, dass dies allgemein bekannt sein und zweifelsfrei feststehen muss; wenn sich jemand für die Feuerbestattung entschieden hat, um auf diese Weise zu demonstrieren, dass der Glaube an die Auferstehung blanker Unfug sei – das Verbot gilt nur für diesen Fall und eben nicht für jeden Fall einer Feuerbestattung; und wenn es sich um einen öffentlichen Sünder handelt, dessen kirchliche Bestattung Ärgernis bei den Gläubigen hervorrufen würde. Keiner dieser drei Fälle trifft ohne weiteres auf einen Selbstmörder zu.

 

Frei und verantwortlich entschieden?

Im früher geltenden und seit 1983 außer Kraft getretenen Kirchenrecht gab es in c. 1240 § 1, 3. CIC/1917 ein solches ausdrückliches Verbot. Dort hieß es, dass ein kirchliches Begräbnis denen zu verweigern sei, die sich aus freiem Willen selbst das Leben genommen haben. Damit schloss auch diese Norm nicht jeden Selbstmörder von einem kirchlichen Begräbnis aus, sondern nur solche, die diesen Schritt in einer freien und bewussten eigenen Entscheidung gesetzt haben, für die sie die volle moralische Verantwortung tragen. Dass dies nicht ohne weiteres und in jedem Fall angenommen werden kann, weiß auch der Katechismus. So kann man unter KKK 2282 lesen: „Schwere psychische Störungen, Angst oder schwere Furcht vor einem Schicksalsschlag, vor Qual oder Folterung können die Verantwortlichkeit des Selbstmörders vermindern.” Was hier nur vorsichtig angedeutet wird, kann jeder Arzt und Psychologe bestätigen: Sehr oft führt eine schwere depressive Erkrankung zu einem Selbstmord. Und das bedeutet, dass man in einem solchen Fall nicht von einer freien und verantwortlichen Willensentscheidung des Betreffenden sprechen kann. Viel weniger noch kann man daraus ein moralisches Urteil ableiten.

Weil weder nach geltender kirchlicher Glaubenslehre noch nach geltendem kirchlichem Recht die kirchliche Bestattung eines Selbstmörders verboten ist, gilt ganz einfach das an die betreffenden Seelsorger gerichtete Gebot des c. 1176 § 1 CIC/1983: „Den verstorbenen Gläubigen ist nach Maßgabe des Rechts ein kirchliches Begräbnis zu gewähren.” Mit diesem generellen Gebot, von dem es nur in den in c. 1184 § 1 CIC/1983 genannten drei Fällen eine Ausnahme gibt, leitet das kirchliche Gesetzbuch die Bestimmungen zum kirchlichen Begräbnis ein. Das bedeutet: Jeder Getaufte, sogar ein nichtkatholisch Getaufter (vgl. c. 1183 § 3 CIC/1983), hat Anspruch auf ein kirchliches Begräbnis.

 

Fürbitte, Trost und Hoffnung

Als zweites ist zu sagen: Auch wenn in manchen Beerdigungsansprachen der gegenteilige Eindruck erweckt wird: Eine kirchliche Beerdigung ist weder eine Heiligsprechung noch eine sonst wie geartete Be- oder Verurteilung der oder des Verstorbenen. Vielmehr ist ein kirchliches Begräbnis gemäß c. 1176 § 2 CIC/1983 Fürbitte für den Verstorbenen selbst, Ehrung für den menschlichen Leib und somit Ausdruck der Menschenwürde des Verstorbenen und zudem Trost, Beistand und Hoffnungsbotschaft für die Hinterbliebenen. Weil das kirchliche Begräbnis vor allem fürbittenden Charakter hat, sagt KKK 2283: „Man darf die Hoffnung auf das ewige Heil der Menschen, die sich das Leben genommen haben, nicht aufgeben.…... Die Kirche betet für die Menschen, die sich das Leben genommen haben.” Und weil das kirchliche Begräbnis für die Hinterbliebenen und die übrigen Gläubigen tröstenden Charakter haben und deren Hoffnung auf das ewige Heil stärken soll, darf gerade im Fall eines Selbstmordes ein kirchliches Begräbnis nicht verweigert werden.

 

Einfühlung und Solidarität

Und deshalb ist als drittes zu sagen: Wenn ein Mensch Selbstmord begangen hat, dann ist bei der Vorbereitung und Gestaltung des kirchlichen Begräbnisses pastorale Einfühlung, wirkliche Anteilnahme und Fingerspitzengefühl gefragt. In einer Situation, in der sich stärker als bei anderen Todesfällen Trauer, Schmerz und Hoffnungslosigkeit, oft genug gepaart mit Scham, breit machen, ist ein zweifaches gefragt: Zum einen eine starke Botschaft der Hoffnung, die deutlich werden lässt, dass Gott keinen, wirklich keinen Menschen aus seinen guten Händen fallen lässt und dass er auch dem, der in seiner tiefen Ausweglosigkeit einen für andere nicht verständlichen Schritt gegangen ist, einen Weg zum ewigen Leben eröffnet. Und zum anderen besonders für die Hinterbliebenen die Erfahrung glaubender, hoffender und fürbittender Solidarität, die sie selbst wieder glauben und hoffen und leben lässt.

Zuletzt aktualisiert: 25. November 2019
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