Neue Frauen braucht der Papst

11. November 2018 | von

Mit dem Papst und den Frauen beschäftigt sich das neue Buch von Ulrich Nersinger. Wir veröffentlichen hier einen Beitrag, der vielleicht neugierig macht auf mehr.

Johannes Paul II. und Benedikt XVI. haben ermöglicht, dass Frauen im Vatikan an wichtigen Positionen ihren Platz einnahmen und sogar in Leitungsfunktionen waren und sind. In seinem Apostolischen Schreiben Mulieris Dignitatem aus dem Jahre 1988 über die Würde und Berufung der Frau ruft Jo­hannes Paul II. die Schlussbotschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965) in Erinnerung: „Die Stunde kommt, die Stunde ist schon da, in der sich die Berufung der Frau voll ent­faltet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Ein­fluss, eine Ausstrahlung, eine bisher noch nie erreichte Stellung erlangt. In einer Zeit, in welcher die Menschheit einen so tief­greifenden Wandel erfährt, können deshalb die vom Geist des Evangeliums erleuchteten Frauen der Menschheit tatkräftig da­bei helfen, dass sie nicht in Verfall gerät.“

Priesterweihe nein, neue Aufgaben ja
2004 veröffentlichte die Kongregation für die Glaubensleh­re ein Schreiben an die Bischöfe der katholischen Kirche über die Zusammenarbeit von Mann und Frau in der Kirche und in der Welt. Das gewichtige Dokument stammte aus der Feder des damaligen Präfekten Joseph Ratzinger. Gegenüber Priestern der Diözese Rom gab Benedikt XVI. im März 2006 zu bedenken, dass Frauen das Priestertum nicht übertragen werden könne, dass die Priesterweihe ein Sakrament sei, „über das die Kirche nicht nach ihrem Belieben verfügen kann“. Aber es sei sein An­liegen, Frauen neue Räume und Aufgaben innerhalb der Kirche zu erschließen.
Die US-Amerikanerin Mary Ann Glendon, verheiratet mit einem jüdischen Ehemann und Mutter von drei Töchtern, war von Februar 2008 bis Januar 2009 die Botschafterin der Vereinigten Staaten beim Heiligen Stuhl. 1994 hatte sie Papst Johannes Paul II. als Gründungsmitglied in die neu geschaf­fene Päpstliche Akademie für Sozialwissenschaften berufen; zehn Jahre später stand sie der Akademie als Präsidentin vor. Glendons Landsfrau Schwester Judith Zoebelein betreute den Web-Auftritt des Heiligen Stuhls von der Stunde 0 an und wur­de die Internet-Verantwortliche des Vatikans – von der Ordens­frau stammt der Ausspruch „Gott lebt im Internet“. Schwester Enrica Rosanna, eine Salesianerin aus der Lombardei, schaffte es in das Amt eines „Untersekretärs“ der vatikanischen Ordens­kongregation und wurde damit die „Nummer Drei“ in diesem wichtigen Ministerium der Kirche. Claudia di Giovanni, einer gebürtigen Römerin, wurde die Leitung der Filmothek des Va­tikans übertragen.

Zahlreiche weibliche Mitarbeiterinnen
Die Tirolerin Astrid Haas war von 2007 bis 2017 Chefredak­teurin der deutschsprachigen Wochenausgabe des Osservatore Romano. In der Zeitung selber war das weibliche Geschlecht schon länger präsent. Als erste Journalistin wirkte bereits 1867 Antonietta Klitsche de la Grange (1832–1912), eine Romanau­torin und Enkelin des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, für das Vatikanblatt. Gudrun Sailer, aus St. Pölten in Österreich stammend, wirkt als Redakteurin bei Vaticannews, dem früheren Radio Vatikan. Und die Altphilologin Sigrid Spath, übrigens eine evangelische Christin, hat seit Jahrzehnten Berge von Dokumen­ten für den Vatikan, den Papst und die Römische Kurie ins Deut­sche übersetzt. 2017 wurde die Römerin und promovierte His­torikerin Barbara Jatta zur Direktorin der Vatikanischen Museen berufen. Es ist das erste Mal in der 500 Jahre alten Geschichte der Päpstlichen Sammlungen, dass eine Frau dieser Institution vorsteht. Die Liste engagierter und kompetenter Frauen in va­tikanischen Diensten ließe sich beliebig fortführen. Ein Blick in das „Annuario Pontificio“, das Päpstliche Jahrbuch, gibt davon beredt Auskunft.

Gleiche Bezahlung für alle
Verfechterinnen von Frauenrechten dürften, was das weltli­che Herrschaftsgebiet des Papstes betrifft, ins Staunen kommen. Der Vatikan ist einer der wenigen Orte, an denen gleiches Geld für gleiche Arbeit gezahlt wird; es wird kein Unterschied zwi­schen Frauen und Männern gemacht. Über zwanzig Prozent der päpstlichen Belegschaft sind heute Angehörige des weiblichen Geschlechts; mehr als 700 Frauen beziehen ihr Gehalt aus der Kasse des Papstes. Und ihre Zahl steigt. In manchem ist der Kir­chenstaat eine verkehrte Welt; in ihm üben Männer traditionelle Frauenberufe aus, so im Reinigungsservice – „aufs Schrubben ist im Vatikan eher das starke Geschlecht abonniert“ (Gudrun Sailer).
Auf Wunsch der Päpste Benedikt XVI. und Franziskus soll der Osservatore Romano, die halbamtliche Tageszeitung des Va­tikans, verstärkt die Rolle der Frauen in und für die Kirche un­terstreichen. Seit Mai 2012 wird die Tagesausgabe jeden Monat (außer im August) durch eine farbige, vierseitige Sonderbeilage bereichert, die den Frauen in der ganzen Welt unter besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehung zur Kirche gewidmet ist. Sie will einen Beitrag leisten zur vertieften Betrachtung der Rolle der Frau in Gegenwart und Vergangenheit, wobei auch kontroverse Themen nicht ausgespart werden.

Frischer Wind
Im September 2016 wurde im Vatikanstaat erstmals seit sei­ner Gründung im Jahre 1929 eine Frauenvereinigung gegründet: Donne in Vaticano, D.VA. („Frauen im Vatikan“). Sie steht allen Frauen offen, die am Heiligen Stuhl und im Vatikanstaat beschäf­tigt sind. Ziel des Zusammenschlusses sei die Schaffung eines „freundschaftlichen Netzes der Solidarität zur Förderung der be­ruflichen und persönlichen Entwicklung“, so der Pressesaal des Heiligen Stuhles. Der Verein sei ein „Lebenszeichen der Frauen im Vatikan und ein Zeichen für das gemeinsame Voranschrei­ten der Kirche“, sagte die Vatikan-Journalistin Gudrun Sailer, die Gründungsmitglied ist.
In der Audienz vom 7. Februar 2005 für die Teilnehmer an der Vollversammlung des Päpstlichen Rates für die Kultur sprach Papst Franziskus über die gegenseitige Notwendigkeit von Mann und Frau. Er hob hervor, dass sich ein neues Paradigma [Muster] gebildet habe, „das Paradigma von Gegenseitigkeit in Gleich­wertigkeit und Unterschiedlichkeit“. In der Beziehung zwischen Mann und Frau müsse anerkannt werden, „dass beide notwen­dig sind, da sie zwar eine identische Natur besitzen, aber mit eigenen Ausprägungen“. Die Frau sei notwendig für den Mann und umgekehrt, „damit die Person wirklich zu ganzer Fülle ge­langt“. Der Papst betonte, entscheidend sei daher niemals ein „Gegen“, sondern immer ein „Mit“. Und so hofft die Frauenwelt im Vatikan, dass bald die Zeiten endgültig vorbei sind, als Kleriker die Straßenseite wechselten, wenn ihnen ein weibliches Geschöpf entgegenkommt.
 

Ulrich Nersinger
Der Papst und die Frauen
Bernardus-Verlag, 130 Seiten, broschiert, 
€ 12,80 (D), € 13,20 (A), CHF 19,50.

Zuletzt aktualisiert: 11. November 2018
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