Noch einmal: Anfangen!
Eigentlich sieht es so aus, als ob der Augustiner-Chorherr Fernando seinen Platz im Leben nun gefunden hätte: Das Kloster in Coimbra verheißt Stabilität und Verlässlichkeit. Doch fünf Brüder einer neuen Bewegung bringen noch einmal alles durcheinander und lassen unerwartet eine Sehnsucht wach werden.
Wenn eine Sehnsucht erst einmal wach geworden ist und sich ihren Weg ins Bewusstsein gebahnt hat, dann ist es wohl schwer, sie einfach wieder abzulegen. Jetzt, wo der junge Augustiner-Chorherr Fernando vom Martyrium der Franziskus-Brüder in Marokko gehört hat, lässt ihn die eigene Sehnsucht, sich auch so mutig und entschieden für die Verkündigung des Evangeliums einzusetzen, nicht mehr los. Die festen Mauern der Abtei, der geregelte Tagesablauf, die sicheren Lebensumstände: All das, was ihm in den letzten Jahren so vertraut geworden ist, wird plötzlich irgendwie hohl und leer scheinen. Man kann sich unschwer vorstellen, wie er am Stundengebet teilnimmt oder im Studiersaal schwere Bücher wälzt und doch eigentlich innerlich unruhig ist, weil er spürt: „Das hier ist es nicht mehr! Mein Platz ist doch woanders!“
Ein Mensch auf dem Weg
Von außen betrachtet mag Fernando fast ein bisschen wankelmütig erscheinen: Der Klostereintritt in Lissabon, dann der unbedingt erbetene Wechsel nach Coimbra, um sich vor den zahlreichen Besuchen der Verwandten zu schützen – und nun schon wieder etwas Neues. Muss man nicht irgendwann im Leben einmal ankommen? Muss man nicht eines Tages einmal entschieden sein und wissen, was man will? Wäre es nicht an der Zeit, den eigenen Platz endlich gefunden zu haben? Und sorgt nicht jeder neue und weitere Wechsel für Enttäuschung bei Menschen, mit denen man vertraut geworden ist?
Gleichermaßen kann man sich aber gut in einen Menschen hineindenken, der einfach spürt, dass es nicht mehr stimmt. Und man wird Fernando zugute halten, dass er immer noch ein junger Mensch ist, dessen Suchen noch nicht abgeschlossen sein kann. Es sieht ja auch der Orden eine Zeit der Ausbildung und Prüfung vor: Ist dieser Weg wirklich der richtige Weg? Ist dieser Weg der Weg, den Gott für mich bestimmt hat – meine Berufung?
Gewiss werdende Ahnung
Fernando bekommt wohl nach und nach eine immer größere Gewissheit: Ein Leben lang Augustiner-Chorherr? Nein, das ist es nicht. Vielleicht hat es diesen Weg bis hier gebraucht, um die franziskanische Idee kennen zu lernen und nun allmählich eine immer klarer werdende Sehnsucht zu spüren.
Dem Gründer der Gemeinschaft steht er darin in nichts nach. Auch Franz von Assisi hat erst über Umwege und allmählich begriffen, wo der Herr ihn haben möchte: Dass es das Kaufmannsleben nicht sein würde, hat er selbst verstanden. Der Traum von einer ritterlichen Existenz musste aber erst kläglich scheitern, bis Franziskus begriff, dass er auch auf diesem Weg sein Glück nicht finden wird. Erst nach langer Krise und einigen „Gotteserfahrungen“ weiß Franziskus, was sein Lebensauftrag sein wird: arm dem armen Christus folgen.
Bei Fernando scheint sich diese Ahnung zu verfestigen. Vielleicht spielt er allmählich in Gedanken durch, wie die nächsten Schritte aussehen müssten. Vielleicht malt er sich Szenarien aus, wann er was mit wem bespricht – und dabei wird er sich durchaus in einem gewissen Durcheinander von Gefühlen befinden: ein bevorstehender Abschied von seiner Gemeinschaft, ein sehnsuchtsvoller, erwartungsfroher Neubeginn im Unbekannten.
Herzliche Aufnahme
Sein Biograf, der Verfasser der Assidua, berichtet, dass er sich dann eines Tages ein Herz fasst. Er sucht die Minderbrüder im nicht weit entfernten – heute so genannten – Santo António dos Olivais auf und tut ihnen seinen Herzenswunsch kund: „Liebe Brüder, mit innigem Verlangen möchte ich den Habit eures Ordens anziehen, insofern ihr mir versprecht, dass ihr mich, sobald ich unter euch bin, in das Land der Sarazenen schickt. Denn ich hoffe, dass auch ich die Krone der heiligen Märtyrer erlange!“
Nun ist es gewissermaßen „raus“. Er hat sich „geoutet“. Doch in die Erleichterung darüber wird sich auch die bange Frage mischen, ob die Franziskus-Brüder ihn tatsächlich aufnehmen werden, zumal er ja eine sehr klare Bedingung stellt. Er will unbedingt nach Marokko, um dort wie Berard und seine Gefährten das Martyrium zu erleiden.
Es ist wohl eine große Erleichterung, was der Biograf dann weiter berichtet: „Voller Freude, diesen Wunsch von einem so angesehenen Bruder zu hören, legten die Brüder den nächsten Tag fest, um ihm den Habit zu bringen, damit sein gefährliches Unternehmen nicht hinausgezögert würde.“
Abschied vom Bisherigen
Dennoch bleibt Fernando eine Sorge. Denn nun muss er seinen Oberen um Erlaubnis bitten, die Gemeinschaft verlassen zu dürfen. Der Biograf berichtet, dass er dazu „große Mühe“ aufwenden muss und „die Kraft allen Bittens“. Gern lässt man einen begabten jungen Bruder gewiss nicht gehen. Obendrein wurde in seine Ausbildung schon einiges investiert. Doch es wird wohl auch klar werden: Ihn gegen seinen Willen festzuhalten, ist auch keine Lösung. Das ist auch den Augustiner-Chorherren bewusst und sie lassen ihn ziehen.
Dass der Abschied aber durchaus ein emotionaler gewesen sein dürfte, wird deutlich, wenn man liest, was die Assidua berichtet, nachdem Fernando das Ordensgewand der Minderbrüder angezogen hat: „Die Einkleidung war kaum beendet, da eilte einer seiner Kanonikermitbrüder herbei und es platzte voller Bitterkeit aus ihm heraus: ‚Geh! Geh! Auf dass du ein Heiliger wirst...!‘ Der Mann Gottes wandte sich ihm zu und antwortete bescheiden: ‚Nun gut, wenn du hörst, dass ich heilig geworden bin, vergiss nicht, den Herrn zu loben!‘“
Das Ziel fest im Blick
Es ist geschafft! Fernando, der nun auf seinen neuen Namen Antonius hört, ist seiner Sehnsucht einen großen Schritt näher gekommen. Er wird großes Glück empfinden, voll Zuversicht auf all das Neue blicken, das ihn nun erwartet. – Und doch steht er nun wieder ganz am Anfang. Er muss die Gebräuche der neuen Gemeinschaft lernen, muss sich einstellen auf ganz andere Lebensumstände und man kann sich gut vorstellen, dass das entbehrungsreiche Leben der Minderen Brüder durchaus eine Herausforderung gewesen sein dürfte. Doch Antonius ist dafür bereit. Er will neu anfangen. Dieser Anfang ist herbeigesehnt. Und vermutlich ist ihm auch sehr bewusst, dass all das Neue nur eine Art „Übergang“ ist. Denn sein innigster Wunsch ist es ja, alsbald als Märtyrer bei der Verkündigung des Evangeliums zu sterben.
Dass er eine solch starke, wenn auch aus heutiger Sicht gewiss nur schwer verständliche Motivation in sich hat, dürfte ihm den neuen Anfang leichter gemacht haben. Wer anfangen will – oder auch: wer anfangen muss – der tut gut, für sich ganz klar zu haben: Warum? Was ist das Ziel? Wofür lohnt es sich? Antonius, damals noch Fernando, hat diese Hausaufgabe gemacht. Seine unbedingte Sehnsucht ist die stärkste Motivation, die man sich denken kann. Und so ist der nun bereit für das, was kommt. Auch wenn er noch nicht ahnt, dass sich alles ganz anders entwickeln wird, als er es sich erhofft hatte…