28. Juli 2009

Nur fromme Geschichten?

 Unser Bild von den Heiligen ist geprägt von erdichteten Legenden, die sich rund um deren Lebensdaten ranken. Freilich, ihr Wahrheitsgehalt ist anzuzweifeln, doch sind es gerade diese wundersamen und fragwürdigen Begebenheiten, die zum wesentlichen Kern des Heiligenlebens vorstoßen lassen. Das ist beim heiligen Antonius nicht anders. 



In der ersten Etappe unserer Entdeckungsreise „Antonius von Padua" hatten wir zu klären versucht, wie es die Kirche mit den Heiligen hält: Sie betrachtet sie als Fürsprecher bei Gott, die als Teil der umfassenden Gemeinschaft der Kirche für uns bei ihm einstehen. Zugleich stellt die Kirche sie uns als Vorbilder im Leben und im Glauben dar.



Gerade dieser Vorbildcharakter ist aber oft verdunkelt oder zumindest verschwommen, denn um die meisten Heiligen ranken sich allerhand Geschichten und Legenden. Diese machen es einem nicht immer ganz so einfach. Sie stellen die Heiligen häufig als „Übermenschen" oder „Alleskönner" dar und als heutiger Leser ist man schnell versucht zu sagen: Das schaffe ich sowieso nicht, da ist alle Mühe vergebens, ich bin doch kein Heiliger, keine Heilige. Aber auch die Alternativantwort ist nicht viel besser: Das sind doch alles nur fromme Geschichten, wir leben doch schließlich im aufgeklärten 21. Jahrhundert, wer’s glaubt, wird selig…



Führen wir uns einmal ein Beispiel aus den Antonius-Geschichten vor Augen. Wir schreiben das Jahr 1226. Der grausame Tyrann Ezzelino hat in Verona die Stadtherrschaft an sich gerissen und den Grafen Rizzardo von San Bonifacio gefangen genommen. Dessen adelige Freunde in Padua sehen im heiligen Antonius den letzten Strohhalm und bitten ihn, mit Ezzelino zu verhandeln und auf eine Freilassung des Grafen zu drängen. Antonius nimmt sich dieses Anliegens an und es gelingt ihm tatsächlich, den Despoten umzustimmen. Der lässt daraufhin den Grafen frei und legt ein Schuldbekenntnis ab. Für Antonius ein Erfolg auf der ganzen Linie!



Alles nur erfunden?



Die zeitgenössische Chronik des Ronaldino von Padua berichtet den Verlauf dieses Geschehens jedoch ganz anders. Auch hier macht sich Antonius auf den Weg nach Verona, um mit Ezzelino zu verhandeln, doch muss er erfolglos wieder abziehen. Sein Bitten stößt auf taube Ohren und führt einzig und allein dazu, dass er niedergeschlagen und enttäuscht ist.



Nach der ersten Version könnten wir sagen: Aha, Antonius ist ein Übermensch, unerreichbar für mich. Als Vorbild taugt dieser Antonius nicht, denn er hat Kräfte, über die ich nicht verfüge. Ziemlich schnell wäre diese Begebenheit für uns also bedeutungslos.



Wenn man sich der zweiten Version anschließt, hätte man rasch ein Argument dafür, dass ja sowieso alles erfunden sein muss und an diesen Geschichten überhaupt gar nichts Wahres dran sein kann. Denn schließlich spricht der historische Befund eine ganz andere Sprache als die fromme Legende: also lieber die Legende zu den Akten legen, als die Vernunft ausschalten.



Essenz statt Beiwerk



Egal für welche Version man sich entscheidet: Schnell ist die Legende „unschädlich" gemacht, ja, bedeutungslos geworden. Und auf diese Weise könnte man sämtliche Legenden rund um Antonius (und andere Heilige) abhaken – bedeutungslos allesamt. Und mit den Geschichten würde dann wohl schnell auch Antonius in der Bedeutungslosigkeit versinken. Doch wenn es stimmt, was wir beim letzten Mal gesagt haben, nämlich dass Christus in den Heiligen verherrlicht wird, dann muss es noch einen anderen Weg geben, einen, der den Heiligen ihre Bedeutung zugesteht. Diesen dritten Weg möchte ich bei unserer Antonius-Entdeckungsreise wählen. Dieser Weg ist der, der die Vernunft nicht ausschaltet, aber zugleich die Legenden ernst nimmt. Die Legenden werden dann verstanden als Transporteure einer Wahrheit, aber einer Wahrheit, die nicht immer am Buchstaben klebt, sondern oft zwischen den Zeilen zu suchen und zu finden ist. Vielleicht werden Sie einwerfen, das sei dann aber doch zu viel der Interpretation. Diese Gefahr besteht durchaus; deshalb will ich mich bemühen, bei unserer Entdeckungsreise nicht alles Mögliche oder Unmögliche in die Geschichten hinein zu interpretieren. Es geht mir vielmehr darum, etwas „heraus zu interpretieren" aus dem, was schon vorhanden ist. Aus unserem Beispiel mit Ezzelino können wir dann unter anderem herauslesen: Antonius war wohl einer, der zur Verfügung stand, wenn andere seine Hilfe brauchten; Antonius war wohl einer, der sich für den Frieden und die Versöhnung engagierte. Und einer, dessen Leben auch auf diese Weise gelang, so dass die Kirche ihn heilig sprechen konnte.



Gelingendes Leben lernen



Freilich werden wir mit dieser Methode auf so manches Detail verzichten müssen – und vielleicht auch auf so manch lieb gewonnenes Bild und die ein oder andere wertvoll gewordene „fromme" Geschichte. Aber dafür bleibt das, worum es eigentlich geht, erhalten. Dann finden wir nämlich einen wahrhaft heiligen Antonius, einen, der Jesu Eigenschaften in seine Zeit hinein übersetzt hat und somit teilhat an der Heiligkeit Gottes. Einen echten Jünger, der sich an die Weisung hält: „Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig" (Lev 19,2).



Diese Eigenschaften des Antonius gilt es herauszufiltern, damit wir sie quasi in Reinform in der Hand halten können, befreit von unnötigem Beiwerk, um sie uns dann vielleicht selbst aneignen zu können. Nachdem die Methode des Weges nun geklärt ist, bleibt noch die Frage nach dem Ziel. Werden dann am Ende quasi Handlungsanweisungen stehen, also Aufforderungen nach dem Motto: So wurde Antonius von Padua heilig, mach’ es also genau so, dann wirst auch du heilig! – Nein, mitnichten. Jeder Mensch ist zur Heiligkeit berufen, aber jeder auf seine höchstpersönliche und eigene Art und Weise. Dafür gibt es kein Patentrezept und von daher auch keine Handlungsanweisungen.



Was ich als Ziel vor Augen habe, sind „Antonianische Grundhaltungen", also Haltungen, die man am Leben des Heiligen aus Padua ablesen kann und mit denen er sein Leben bewältigt hat. Auf diese Weise kann dann sein Leben für uns fruchtbar werden. Denn sein Leben wurde, für uns alle sichtbar, durch die Heiligsprechung von der Kirche bestätigt. Damit ist uns ein gelungenes Leben vor Augen gestellt.



Gibt es die Sehnsucht nach solch einem gelingenden Leben nicht in jedem Menschen? Vieles, was zum Gelingen des Lebens beiträgt, wird einem geschenkt oder ist abhängig von äußeren Umständen. Aber zum Gelingen des Lebens kann man immer auch einen Teil selbst beitragen, gelingendes Leben kann man immer auch lernen. So möchten dann die von mir vorgestellten „Antonianischen Grundhaltungen" gleichsam Lernangebote sein – an mich, und auch an Sie, die Leserinnen und Leser des Sendboten: Mit Antonius unterwegs durchs Leben.



Auf Wahrheit abgezielt



Bevor wir uns dann beim nächsten Mal richtig auf die Entdeckungsreise begeben und eine erste „Antonianische Grundhaltung" vorgestellt werden soll, möchte ich dem Verfasser der Assidua das Wort geben, einer vermutlich 1232 erschienenen Lebensbeschreibung des heiligen Antonius, die uns noch öfter begegnen wird. Er schließt das Vorwort seiner Ausführungen folgendermaßen: „Und obwohl ich mich einer solchen Aufgabe (= der Schilderung des Lebens des Heiligen) zweifellos nicht gewachsen weiß, halte ich doch die Lippen nicht geschlossen, in der Hoffnung, dass Er, der die Absichten der Herzen sieht, mich zur Erfüllung meines Vorsatzes führen möge." Und er fährt dann fort: „Ich, der ich geschrieben habe, bitte den, der lesen wird, mich nicht der Lüge und der Falschheit anzuklagen, sondern mich vielmehr zu entschuldigen und sich meiner Unkenntnis oder meines Versäumnisses jedes Mal zu erbarmen, wenn er an mancher Stelle findet, dass ich weniger als erforderlich gesagt habe oder aber durch unvorsichtiges Schwatzen die Grenzen der Wahrheit überschritten haben sollte."



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016