Ökumene und Islam

20. Oktober 2014 | von

Am 29. und 30. November wird Papst Franziskus in Ankara und Istanbul sein. Gesprächsthemen gibt es. Der „Islamische Staat“ ist bis zur Grenze der Türkei vorgestoßen. Patriarch Bartholomäus hat für 2016 ein panorthodoxes Konzil einberufen.



In einer Zeit wachsender globaler Instabilität und Konflikte gilt es, friedliche Beziehungen zwischen Christen und Muslimen zu fördern. Der Besuch des Papstes Ende November in Ankara und Istanbul dürfte von offizieller Seite als Schaufenster dienen für die wachsenden herzlichen Beziehungen zwischen katholischen und orthodoxen Christen. Und wie Papst Benedikt XVI., wird auch Papst Franziskus versuchen, eine Botschaft an die Muslime und die gesamte islamische Welt auszurichten: Alle gläubigen Menschen müssen enger zusammenarbeiten, um das Gemeinwohl zu fördern und die wachsende fundamentalistische Gewalt zu bekämpfen.



REGENSBURGER REDE

Vor genau acht Jahren reiste Joseph Ratzinger in die Türkei, unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen. In dem weitgehend muslimischen Land waren Tausende von Truppen und Panzern auf den Straßen. Ein Jahr zuvor hatte die berühmte Regensburger Rede des Papstes die Beziehungen des Vatikans zu den Muslimen auf einen absoluten Tiefpunkt seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil abstürzen lassen. Sein Zitat eines christlichen Kaisers des 14. Jahrhunderts, der Prophet Mohammed habe der Welt „nur Schlimmes und Inhumanes gebracht, wie sein Gebot, den von ihm verkündeten Glauben mit dem Schwert zu verbreiten“, hatte Empörung ausgelöst und wurde genutzt, um Massen-Demonstrationen in vielen islamischen Ländern anzuheizen. Muslimische Leader verlangten ärgerlich eine öffentliche Entschuldigung des Papstes (der dann auch sein Bedauern zum Ausdruck brachte, falls er Beleidigung verursacht habe). Im Februar 2006 wurde der italienische Missionar Don Andrea Santoro erschossen, während er in einer Kirche in der Hafenstadt Trabzon am Schwarzen Meer betete. In den Wochen vor dem Abflug des Papstes erschien ein türkischer Roman mit dem Titel „Ein Angriff auf den Papst – Wer wird Papst Benedikt XVI. in Istanbul töten?“, der sofort die Bestsellerliste eroberte. Bevor er Papst wurde, hatte Kardinal Ratzinger auch seine Zweifel dazu geäußert, ob es eine weise Entscheidung sei, die Türkei in die Europäische Union aufzunehmen; dies untergrabe seiner Meinung nach die christlichen Wurzeln eines Kontinents. Kurz vor seiner Reise hatten 25.000 Demonstranten in Istanbul gegen seinen Besuch demonstriert.



GEBETSSTILLE IN DER MOSCHEE

Doch bereits bei seiner ersten Ansprache, vor dem Leiter des türkischen Amtes für religiöse Angelegenheiten, schlug Papst Benedikt einen ganz anderen Ton an. Er erklärte seine „tiefe Achtung“ vor „diesem edlen Land, das eine bemerkenswerte Blüte islamischer Zivilisation zu verzeichnen hat“. In einer Grußadresse an Diplomaten sprach er erneut von seiner „großen Achtung vor den Muslimen“, die er darin ermutigt, „weiterhin bei gegenseitigem Respekt gut zusammenzuarbeiten, um die Würde eines jeden Menschen zu gewährleisten“. Auch wenn er sich nicht öffentlich zum Wunsch der Türkei äußerte, in die EU aufgenommen zu werden, so erzählte Premierminister Recep Tayyip Erdogan vor Reportern, habe der Papst in ihrer persönlichen Aussprache diesem Vorhaben seinen Segen gegeben. Dieser höchst erfolgreiche Vier-Tages-Besuch endete mit einem ungeplanten Halt an der berühmten Blauen Moschee, wo der Papst seine Schuhe auszog und, gen Mekka gewandt, neben dem Groß-Mufti von Istanbul stand, in stillem Gebet.



Benedikt war der dritte Papst in der Neuzeit, der die Türkei besuchte, ein Mitglied der NATO-Allianz. Das Land gilt als strategische und kulturelle Brücke zwischen Europa, Asien und dem Mittleren Osten. Papst Johannes Paul II. besuchte die Türkei im November 1979, Papst Paul VI. traf sich dort im Juli 1967 mit dem Ökumenischen Patriarchen Athenagoras. Dreißig Jahre zuvor wirkte Angelo Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII., dort zehn Jahre als Vertreter des Heiligen Stuhls; noch heute erinnert man sich an ihn als „wahren Freund der Türken“.  



SÄKULARISTEN GEGEN SCHARIA

Bei seinem Besuch wird Papst Franziskus viel daran liegen, die positiven Worte seiner Vorgänger ins Gedächtnis zu rufen, die den modernen türkischen Staat und seinen Gründer Atatürk loben für seine Vision einer säkularen Gesellschaft, wo die religiöse Freiheit respektiert und geschützt wird. In jüngerer Zeit jedoch erlebt das Land eine wachsende Spannung zwischen den Säkularisten, die an dieser Vision festhalten, und islamischen Führern, die eine strengere religiöse Gesetzgebung einführen wollen. Dem früheren Premierminister Erdogan, mittlerweile Präsident, gelang es, besonders extreme Strömungen zu zügeln, doch die kleine Gemeinschaft der Katholiken hofft immer noch auf eine rechtliche Anerkennung. Auch die Orthodoxe Kirche kämpft um die Wiedereröffnung ihrer wichtigsten theologischen Schule auf der Insel Halki, welche die Regierung 1971 geschlossen hatte.



Auf regionalem Niveau wird von Papst Franziskus erwartet, dass er sich entschieden gegen den Krieg in Syrien und die Not der Menschen ausspricht, die vor den militanten Kämpfern des „Islamischen Staates“ fliehen. Bei seinem Besuch in Albanien im September hatte er das Land als inspirierendes Modell für interreligiöse Zusammenarbeit vorgestellt und deutlich jene

extremistischen Gruppierungen verurteilt, die, so seine Worte, den authentischen religiösen Geist pervertieren und religiöse Unterschiede willentlich verzerren und ausnutzen: „Niemand soll meinen, er könne sich hinter Gott verstecken, während er Gewalttaten und Übergriffe plant und ausführt.“ Die Türkei muss im Moment mit mehr als anderthalb Millionen Flüchtlingen aus den Nachbarländern Syrien und Irak fertig werden, von denen einige in überfüllten Camps leben, andere in verlassenen Gebäuden oder Zelten hausen und eine große Herausforderung für die Hilfsorganisationen und die Bevölkerung vor Ort darstellen. Da der Papst gerne mit verwundbaren Menschen zusammentrifft, die schwierige Situationen durchleben, ist es möglich, dass er sich mit einigen Familien trifft, die vor Gewalt und Konflikten fliehen mussten, und sich aus erster Hand von ihrem Schicksal erzählen lässt.



ZUM ANDREASFEST IN ISTANBUL

Für diesen politisch und diplomatisch delikaten Besuch darf Papst Franziskus auf die Unterstützung des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. zählen, dessen Amtssitz im Istanbuler Stadtteil Phanar liegt. Seit dem 17. Jahrhundert werden das Patriarchat und die St.-Georgs-Kathedrale in der Nähe als das spirituelle Zentrum der orthodoxen Welt anerkannt. Hier in dieser Basilika wird der Papst am 30. November am Festtag des Apostels Andreas an einer Göttlichen Liturgie teilnehmen. Die Tradition, zum Andreasfest eine Vatikan-Delegation des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen nach Istanbul zu entsenden und die Vertreter des Patriarchen in Rom zum Fest



St. Peter und Paul zu empfangen, ist bereits einige Jahrzehnte alt und wird als konkretes Zeichen für das Tauwetter zwischen Ost- und Westkirche betrachtet, die 1054 ihre Beziehungen abgebrochen hatten. Die herzliche Freundschaft zwischen Paul VI. und Athenagoras und jüngeren Datums der unermüdliche Einsatz des jetzigen Ökumenischen Patriarchen haben diese Beziehung aufrechterhalten, trotz Schwierigkeiten im theologischen Dialog. Während ihres Besuchs in Jerusalem im Mai diesen Jahres erinnerten Papst Franziskus und Patriarch Bartholomäus daran, dass sich ihre Vorgänger – die Nachfolger der ersten Jünger Jesu, Petrus und Andreas – ein halbes Jahrhundert zuvor ausgesöhnt und die gegenseitige Exkommunikation aufgehoben hatten, welche die beiden Kirchen fast tausend Jahre lang entzweite.



Eine gemeinsame, von den beiden aktuellen Oberhäuptern unterzeichnete Erklärung feiert die Schritte hin zur Einheit der Christen, verweist aber auch deutlich auf die „dringend nötige effektive und engagierte Zusammenarbeit aller Christen“ hin, um religiöse Rechte und Gewissensfreiheit zu wahren. Die Erklärung sagt: „Wir laden alle Christen ein, einen authentischen Dialog zwischen Judentum, Islam und anderen religiösen Traditionen voranzutreiben. Gleichgültigkeit und gegenseitiges Ignorieren führen nur zu Misstrauen und leider auch zu Konflikten.“ Weiter spricht die Erklärung von einer tiefen Anteilnahme am Schicksal der Christen im Mittleren Osten, vor allem „in Ägypten, Syrien und im Irak, die am meisten unter den jüngsten Ereignissen leiden“. Indem sie sich an alle Völker in dieser Region wenden mit dem dringenden Aufruf zum Einsatz für die Anerkennung der Menschenrechte, erklären das katholische und das orthodoxe Oberhaupt: „Wir sind überzeugt, dass nicht Waffen, sondern

Dialog, Vergebung und Versöhnung der einzig mögliche Weg sind, um Frieden zu schaffen und zu erhalten.“ 



ISLAMISCHER STAAT

Als Papst Benedikt 2006 durch die Türkei reiste, verurteilte eine kleine, nahezu unbekannte Splittergruppe von Al Qaida, die sich selbst „Islamischer Staat im Irak” nannte, den Besuch als „Kreuzzug gegen den Islam“. Seitdem hat diese Extremistengruppe mehrmals den Namen und die Anführer gewechselt; sie hat im Nordirak und in Syrien Landstriche erobert und ein Kalifat ausgerufen, das seine Fühler in die Nachbarländer ausstreckt. Die jüngsten brutalen Enthauptungen entführter Opfer, die Kreuzigungen von Christen und das Gemetzel an anderen religiösen Minderheiten brachten Papst Franziskus und leitende Vatikan-Diplomaten dazu, vorsichtige alliierte Maßnahmen zu billigen, um den „ungerechten Angreifer” zu stoppen. Als der Papst gegenüber Journalisten sagte, er sei dafür, die Übeltäter zu entwaffnen, statt zu bomben und einen willkürlichen Krieg zu führen, da befürchteten einige Beobachter, er weiche von der Vision seiner Vorgänger ab, die erklärt hatten, dass militärische Aktionen niemals zu Frieden und Versöhnung zwischen Feinden führen können. In diesem Zusammenhang wird jedes Wort des Heiligen Vaters auf türkischem Boden genauestens daraufhin abgeklopft werden, inwieweit der Vatikan an der traditionellen Lehre vom gerechten Krieg festhält, die Augustinus und Thomas von Aquin im 4. bzw. 13. Jahrhundert entwickelt haben.

Der kurze Besuch des Papstes in der Türkei ist eine pastorale Reise zur Unterstützung der schwachen katholischen Gemeinschaft dort, dann auch eine Bekräftigung der Beziehungen zum Ökumenischen Patriachat, besonders im Hinblick auf das lang erwartete panorthodoxe Konzil, welches Bartholomäus für das Jahr 2016 einberufen hat. Die ökumenischen wie auch die interreligiösen Anstrengungen im Vatikan erfuhren seit der Wahl von Papst Franziskus einen bedeutenden Auftrieb. Sein herzlich-persönlicher Stil, seine Kultur der Begegnung trugen viel bei zur Überwindung von Barrieren des Misstrauens und der Verdächtigung. Der letztjährige Friedensgebetstag in Syrien und das kürzliche Treffen zwischen den Präsidenten von Palästina und Israel im Vatikan zeigen, dass er ohne Angst nach kreativen Lösungen für scheinbar ausweglose Situationen sucht, ohne sich vor kritischen Stimmen zu fürchten, die den effektiven Nutzen solcher Lösungen anzweifeln. Der Papst will die Herzen der ganz normalen Menschen in der muslimischen Welt erreichen und seine Botschaft vom Mai in Jerusalem gegenüber muslimischen Führern wiederholen: „Niemand darf den Namen Gottes missbrauchen, um Gewalt zu rechtfertigen. Arbeiten wir zusammen für Frieden und Gerechtigkeit!“

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016