Ohne Erziehung keine Liebe

29. September 2009 | von

 Eltern haben eine einzigartige Bedeutung für die Entfaltung ihrer Kinder und damit auch für die Zukunft der Gesellschaft. Durch verantwortungs- und liebevolle Erziehung stehen sie ihnen bei der Entwicklung zu selbständigen und sozial reifen Persönlichkeiten zur Seite, geben ihnen Orientierung bei der Suche nach den eigenen Begabungen und dem Sinn des Lebens. Eine Aufgabe, für die Eltern auf die Unterstützung durch Staat und Gesellschaft angewiesen sind, die ihnen aber nicht abgenommen werden darf.



 Europaweit schieben sich immer selbstbewusster politische Kräfte nach vorne, welche Eltern (und mit ihnen die Familie) von der Erziehung ihrer Kinder „befreien" wollen. Es werden Begründungen in den Vordergrund geschoben, die auf den ersten Blick wünschenswert zu sein scheinen: „Befreiung" von der Kinderbetreung lasse die Emanzipation und Selbstverwirklichung der Frauen zu, bringe durch ihre Arbeitseingliederung die Steigerung von Leistungskapazitäten in der Wirtschaft, das Erreichen von Spitzenrängen im internationalen Leistungswettbewerb und schließlich mehr Steuereinnahmen. Nur selten geben Politiker zu erkennen, dass sie eigentlich ihre ideologischen Vorstellungen verwirklichen wollen, die darauf abzielen, Eltern und Familie abzuwerten. Seit kurzem benützen auch Führungskräfte einer christlichen Glaubensgemeinschaft einen Familienbegriff, der zum Beispiel unverheiratete Paare und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften einbezieht. US-Präsident Obama gab kürzlich die offizielle feierliche Erklärung ab, sich für die Adoption von Kindern in Homo-Ehen einzusetzen und diese Praxis weltweit zu fördern. Das Europäische Parlament macht bereits ähnliche Vorgaben für Gesetze, die eine Fehlerziehung der Kinder zur Folge haben. Diese Entwicklung ist alarmierend. Damit wird die Einzigartigkeit der Familie missachtet, wie sie Gott in seiner Schöpfung zum Wohl der Kinder vorgesehen hat und wie sie auch im deutschen Grundgesetz betont wird. Diese Auflösung des bisherigen Familienbegriffs ist weder anthropologisch noch psychologisch-pädagogisch zu akzeptieren. Warum?



tiefe Bindung



Die zweigeschlechtliche Ehe und die daraus entstehende Familie ist eine göttliche Institution von Seinsbedingungen und Fakten, die nicht ohne negative Folgen verändert werden kann: Jeweils zwei in der Ehe verbundenen Menschen wird die Zeugung neuer Menschen anvertraut und die Sorge für deren weitere Entwicklung überantwortet. Damit entsteht die engste menschliche, auf lebenslange Stabilität gründende Gemeinschaft: Vater, Mutter und Kinder.



Wir müssen darüber nachdenken, warum Gott dies so vorgesehen hat: Dahinter steht die Urkraft dieser Welt, die Liebe. Aus der liebenden Vereinigung von Mann und Frau lässt Gott einen einmaligen, neuen Menschen entstehen. Dieser ist nicht irgendein zufälliges menschliches Wesen, sondern entspricht Gottes Plan. Es trägt Eigenschaften und Züge, in denen Vater und Mutter sich selbst wiedererkennen. Es „ist von ihrem Fleisch und Blut". Dies bewirkt eine in ihrer Tiefe nahezu unauslotbare gefühlsmäßige und geistige Bindung. Sie kann nur zum Teil mit biologischen Instinkten erklärt werden. Zentraler ist die geistige und personale Bindung, die sich im Verlaufe jahrelanger Verbundenheit zwischen Vater, Mutter und Kind einprägt und dabei in der Eltern-, Kindes- und Gattenliebe gefestigt wird.



Soziale Grundfeste



Die Familie schützt, trägt und hilft sich in gegenseitiger Liebe und gibt Liebe weiter. Dies ist der zeitlos gültige Sinn von Familie. Wenn heute diese Sinngestalt verloren geht, hat nicht die Familie als Lebensgemeinschaft versagt. Das Versagen ist vielmehr auf Seiten jener Menschen, denen Sinnerfüllung und Schutz dieser Gemeinschaft überantwortet sind, als einzelner in der Familie, als Glied in der Gesellschaft oder Verantwortlicher im Staat. Elternschaft und Familie sind von Gott dazu bestimmt, am Entstehen, Werden und Entfalten des Menschen hauptverantwortlich und entscheidend mitzuwirken. Eltern sind infolge ihrer direkten körperlichen Verwandtschaft und engen seelisch-geistigen Bindung zum Kind dessen erste und wichtigste Erzieher. Selbstverständlich gab es schon immer in familiären Notfällen erziehliche Hilfe durch Pflegeeltern, Wiederverheiratung eines Elternteils nach dem Tod des Ehepartners oder Heimerziehung. Für die Geborgenheit in der leiblichen Ich-Du-Beziehung zwischen Eltern und ihrem Kind kann es aber höchstens einen personalen, niemals einen kollektiven Ersatz geben. Dies wird heute in der Gesetzgebung missachtet. Aus welchen Gründen man auch immer darauf versessen ist, Elternschaft und Familie auszuhöhlen – hier werden Grundfesten der Gesellschaft destabilisiert. Man nimmt damit nämlich Kindern das gottgewollte und anthropologische Recht, inmitten ihrer Familien einen körperlich und psychisch-geistig gesunden Lebensstart zu erhalten. Letztlich stellt sich dies als rücksichtslos gegenüber Eltern und Kindern heraus, denen damit das fundamentale Getragensein als soziales Grunderlebnis vorenthalten wird.



Pflicht und Recht



Aus biologischer wie aus ethnologisch-anthropologischer Sicht sind die Eltern die ersten und wichtigsten Erzieher ihrer Kinder. Das 2. Vatikanische Konzil hält fest: „Da die Eltern ihren Kindern das Leben schenkten, haben sie die überaus schwere Verpflichtung zur Kindererziehung. Daher müssen sie als die ersten und bevorzugten Erzieher ihrer Kinder anerkannt werden. Ihr Erziehungswirken ist so entscheidend, dass es dort, wo es fehlt, kaum zu ersetzen ist" (Gravissimum educationis momentum, 3). Dieser Erstanspruch der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder ist mit Nachdruck zu verteidigen. Wir dürfen nicht zulassen, dass er durch die heute stark gewordenen familien- und elternfeindlichen Tendenzen vollends zu Fall kommt und mit der Familie ein Grundpfeiler ins Wanken gerät, der von Gott dazu bestimmt ist, die von der Liebe gespeiste körperliche, seelisch-geistige und soziale Lebensentfaltung eines jeden Menschen entscheidend mitzutragen. Eltern haben das Recht, die Erstverantwortung für die Erziehung ihrer Kinder wahrzunehmen. Dieses Recht darf nur da eingeschränkt werden, wo in grob fahrlässiger Weise das Wohl der Kinder geschädigt wird. In allen anderen Fällen haben die Eltern „zuerst und unveräußerlich die Pflicht und das Recht, ihre Kinder zu erziehen" (GE, 6). Staatliche Instanzen werden ermahnt, „immer unter Beachtung des elterlichen Willens" übertragene Erziehungsaufgaben wahrzunehmen und „die Pflichten und Rechte der Eltern zu schützen" (GE, 6).



Verantwortungsvolle Aufgabe



Rechte sind eng verbunden mit Pflichten. Pflichten erfordern Verantwortung. Eltern haben vor Gott, vor ihren Kindern und vor ihrer mitmenschlichen Gemeinschaft die Verantwortung, ihre Erziehungsaufgabe nach bestem Wissen und Können und in selbstloser und liebevoller Weise unter fortwährender gewissenhafter Überprüfung der ethischen und pädagogischen Richtigkeit ihres Erziehens wahrzunehmen. Anderseits ist es eine Selbstverständlichkeit, dass die mitmenschliche Gemeinschaft in den Formen von Staat, Kirche und allen anderen gesellschaftlichen Gruppierungen die Eltern in ihrer Erziehungsaufgabe nicht allein lässt und in angemessener Weise unterstützt. Jene heute gezielt verbreitete Abwertung von Ehe und Familie, ihre finanzielle Benachteiligung und die Missachtung neuester psychologisch-neurologischer Erkenntnisse über die Unersetzbarkeit elterlich liebender Betreuung für Kinder blockieren zusehends wichtige Kräfte der Erziehung und lähmen schließlich auch noch mögliche gute Ansätze. Es ist dringend notwendig, politisch Verantwortlichen immer wieder die Tatsache ins Bewusstsein zu rufen, dass nicht zuletzt das Wohl eines Staatswesens davon abhängt, ob und unter welchen Bedingungen Eltern ihre Erziehungsaufgabe wahrnehmen können. Welche Aufgaben sind das?



Schon vor der Zeugung eines Kindes erfordert es die Verantwortung für zukünftiges werdendes Leben, dass vor allem die Frau auf die Gesunderhaltung des eigenen Körpers bedacht ist, um möglichen schädigenden Auswirkungen auf das Kind in der Embryonal- und Fetalzeit vorzubeugen. Zu einer guten Entwicklung eines Kindes gehört nicht nur die Förderung körperlicher und psychischer Gesundheit, sondern auch eine der Individualität des Kindes entsprechende optimale Entfaltung der Begabungen in allen Bereichen und ein „warmes Nest" der Liebe, Geborgenheit und den Selbstwert stärkenden Anerkennung im Zuhause der Familie.



Zur Berufs- und Lebensbewältigung braucht heute jeder Mensch eine seiner Begabung entsprechende Schulbildung. Eltern überantworten diese Aufgabe staatlichen oder privaten Institutionen. Vor allem was (religiös-ethische) Erziehung anbelangt, bedarf es sorgfältiger Wachsamkeit einer heute bereits bedrängenden staatlichen beziehungsweise politisch-ideologischen Bevormundung gegenüber. Hier müssen Eltern das ihnen zustehende Vorrecht auf die (vor allem ethisch-religiöse) Erziehung ihrer Kinder mit Nachdruck vertreten und nach Möglichkeit die freie Wahl der Schule geltend machen, wenn sie das Erziehungskonzept

(z. B. im Bereich der Sexualpädagogik) einer ihnen zugewiesenen staatlichen Pflichtschule nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können oder Grundsätze sittlich-religiöser Erziehung denen des Elternhauses widersprechen.



Basis für Entfaltung



Die Familie ist wie keine Institution oder Gruppe geeignet, das Grunderlebnis menschlicher Gemeinschaft zu vermitteln. Hier werden elementare Verhaltensweisen sozialen Zusammenlebens ebenso eingeübt wie Haltungen und Einstellungen angebahnt, welche für die Achtung und Respektierung des Mitmenschen notwendig sind. Christliche Eltern werden darum bemüht sein, die Liebe als tragende Kraft zwischenmenschlich-sozialer Verantwortung im Familienleben wirken zu lassen. Kinder, die sich in dieser Liebe geborgen wissen und in ihr aufwachsen, werden dadurch mit einer der wertvollsten Gaben persönlich-individueller wie sozialer Reifung ausgestattet.



Eltern müssen sich von Anfang an darauf einstellen, ihr Kind im Interesse seiner personalen Entfaltung zunehmend freizugeben, um dadurch Selbstständigkeit und Erwachsenwerden zu fördern. Dies ist wohl eine der schwierigsten elterlichen Erziehungsaufgaben. Es erfordert nämlich, ein dem Entwicklungsstand des Kindes angemessenes und wohldosiertes Verhältnis von führender Begleitung und verantwortungsvoller Freigabe herzustellen. Im Prozess des Wachsen- und Loslassens von frühester Kindheit an kommen Mündigkeit und Eigenverantwortung zustande. Auf das Wohl der Kinder bedachte Eltern wissen, dass ihr zunehmender (oft schmerzlicher) Verzicht Teil der väterlichen und mütterlichen Liebe ist.



Christliches Lebensvorbild



Die verantwortungsvollste Aufgabe liegt ohne Zweifel in der Unterstützung des Kinders, dass es den Sinn seines Lebens in Christus finden kann. Ganz entscheidend hierzu sind jene Erfahrungen, die das Kind in der liebevollen Geborgenheit der christlichen Familie macht. Dort wird es mitgetragen von einer Lebensgestaltung, die in allen entscheidenden Fragen Gott die Mitte gibt und sich um verantwortliches Mit- und Füreinander bemüht. Wo Eltern ihr Christsein in Wort und Tat bekennen, geben sie durch ihr Vorbild den Beweis für ihre Glaubensüberzeugung. Vorgelebtes Christsein ist und bleibt für das Kind stets am überzeugendsten. So erfährt es nicht nur das Wort Christi, sondern nimmt es auch in sich auf. Sein Tun bleibt nicht nur leere Formel, sondern vertieft sich zur bejahten, lebensentscheidenden Haltung. Die enge Verbundenheit der Familie mit der Kirche macht die Kinder mit christlich gelebter Verantwortung vor Gott und den Mitmenschen vertraut. Eltern lassen durch das eigene Vorbild ihr Kind täglich im Fühlen und Denken erleben, wie der Christ als einzelner und in der Gemeinschaft dazu gerufen ist, vor Gott Verantwortung zu tragen und in Gott die Vollendung persönlicher Existenz zu finden.



 

Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016