Ort der Gottesbegegnung – Bet-El
Unser Autor nimmt uns auf unserer biblischen Reise mit nach Bet-El und gewährt uns damit nicht nur Einblicke in die historische Lokalisierung und die aktuellen Konflikte, sondern auch in die Geschichte des Brüderpaares Jakob und Esau.
Ein schamloser Betrüger ist er in jungen Jahren gewesen, einer der drei Erzväter des Volkes Israel, der gemeinsam mit seiner Mutter Rebekka ein krummes Ding drehte. Er war ihr Lieblingssohn und sie wollte ihm nur das Beste, wenn auch mit unlauteren Methoden. Mit ihrer Hilfe erschlich sich Jakob von seinem blinden Vater Isaak den Erstgeburtssegen, der eigentlich seinem Zwillingsbruder Esau zustand. Aus Angst vor Esau riet seine Mutter Jakob zur Flucht zum Onkel Laban in Haran – immerhin knapp 1.000 Kilometer. Das Buch Genesis erzählt von seinem Weg so: „Jakob zog aus Beerscheba weg und ging nach Haran. Er kam an einen bestimmten Ort und übernachtete dort, denn die Sonne war untergegangen. Er nahm einen von den Steinen dieses Ortes, legte ihn unter seinen Kopf und schlief dort ein. Da hatte er einen Traum: Siehe, eine Treppe stand auf der Erde, ihre Spitze reichte bis zum Himmel. Und siehe: Auf ihr stiegen Engel Gottes auf und nieder. Und siehe, der HERR stand vor ihm und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Deine Nachkommen werden zahlreich sein wie der Staub auf der Erde. Du wirst dich nach Westen und Osten, nach Norden und Süden ausbreiten und durch dich und deine Nachkommen werden alle Sippen der Erde Segen erlangen. Siehe, ich bin mit dir, ich behüte dich, wohin du auch gehst, und bringe dich zurück in dieses Land. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich vollbringe, was ich dir versprochen habe. Jakob erwachte aus seinem Schlaf und sagte: Wirklich, der HERR ist an diesem Ort und ich wusste es nicht. Er fürchtete sich und sagte: Wie Ehrfurcht gebietend ist doch dieser Ort! Er ist nichts anderes als das Haus Gottes und das Tor des Himmels. Jakob stand früh am Morgen auf, nahm den Stein, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, stellte ihn als Steinmal auf und goss Öl darauf. Dann gab er dem Ort den Namen Bet-El – Haus Gottes. Früher hieß die Stadt Lus.“ (Gen 28,10-19)
Von Gott gesegnet
Dieser Ort Lus (Lus bedeutet „Mandelbaum“ und mag darauf zurückgehen, dass es dort viele Mandelbäume gab) ist für Jakob ein Ort der Gottesbegegnung. Er, der aufgrund eigener Schuld auf der Flucht ist in eine unbekannte Zukunft, erfährt in diesem Traum von der heute so genannten Jakobsleiter den Segen und das Geleit Gottes, obwohl er keine weiße Weste vorweisen kann und wir, die wir diese Geschichte lesen, wohl in unserem Gerechtigkeitsempfinden Protest anmelden würden. Jakob aber ist gesegnet und von Gott auserwählt. Er nennt Lus fortan Bet-El, zu deutsch „Haus Gottes“, und kehrt später noch einmal an diesen für ihn wichtigen Ort des Segens und der spirituellen Erfahrung zurück: „Gott sprach zu Jakob: Steh auf, zieh nach Bet-El hinauf und lass dich dort nieder! Errichte dort einen Altar dem Gott, der dir auf der Flucht vor deinem Bruder Esau erschienen ist! (…) Jakob kam nach Lus, das im Land Kanaan liegt und jetzt Bet-El heißt, er und alles Volk, das bei ihm war. Er baute dort einen Altar und nannte die Stätte Gott von Bet-El; denn auf der Flucht vor seinem Bruder hatte Gott sich ihm dort offenbart.“ (Gen 35,1.6-7)
Heilig oder frevelhaft?
In der Bibel ist Bet-El, etwa 17 km nördlich von Jerusalem, der am zweithäufigsten genannte Ort nach Jerusalem. An ihm kreuzten sich wichtige Straßen zu bedeutenden Orten in alle vier Himmelsrichtungen. Als sich im 10. Jahrhundert vor Christus das Königreich Israel in das Nordreich und das Südreich aufspaltete, errichtete der erste König des Nordreichs Israel, Jerobeam I., in Bet-El ein Goldenes Kalb als Konkurrenz zum Tempel in Jerusalem im Südreich und setzte dort Priester ein. Allerdings bewertet die biblische Überlieferung dieses Vorgehen als Frevel gegenüber Gott, da der Jerusalemer Tempel, von König Salomo erbaut, als einzig legitimes Heiligtum Gottes galt. Schließlich wurde Bet-El zusammen mit anderen Heiligtümern im 7. Jahrhundert vor Christus zerstört.
Brennpunkt von Konflikten
Heute wird Bet-El mit dem kleinen palästinensischen Dorf Beitin im von Israel besetzten Westjordanland identifiziert. Zu sehen sind in Beitin noch die Überreste eines 66 mal 93 Meter großen Beckens, das in byzantinischer Zeit an einer von mehreren Quellen erbaut wurde, und die Ruine eines kreuzfahrerzeitlichen Turms namens Burgˇ Beitin. Von den anderen Ausgrabungen des 20. Jahrhunderts ist vor Ort nichts mehr zu sehen. Die unweit gelegene, nahezu gleichnamige jüdische Siedlung Bet El mit weniger als 6.000 Einwohnern ist erst zehn Jahre nach dem Sechstagekrieg des Jahres 1967 von Israel errichtet worden, zum Großteil auf palästinensischem Privatbesitz. Immer wieder sind daher Beitin (Bet-El) und Bet El Schauplatz gewalttätiger und tödlicher Auseinandersetzungen zwischen den dortigen Palästinensern und israelischen Siedlern. Die Komplexität der Geschichte und der gegenwärtigen Realität führt dazu, dass Bet-El nicht nur ein Ort des Glaubens und der besonderen Bedeutung für die Identität des jüdischen Volkes ist, sondern auch ein Brennpunkt politischer Spannungen und ethnischer Konflikte.