Päpstliche Absolution
Der emeritierte Regent der Apostolischen Pönitentiarie, Kurienbischof Gianfranco Girotti aus dem Minoritenorden, gibt Orientierung für einen heilsamen Umgang mit der österlichen Bußzeit, sozusagen aus erster Hand und von zentraler Stelle aus.
Die Absolution im Sakrament der Buße, der Beichte, ist ein richterlicher Akt. Demnach ist es kein unnötiger Umweg, mit einem Blick auf den Gerichtshof der Apostolischen Pönitentiarie zu beginnen. Der Papst als oberster Richter der gesamten Katholischen Kirche übt seine Gewalt gewöhnlich durch die Gerichte des Apostolischen Stuhles aus: die Apostolische Pönitentiarie, den Obersten Gerichtshof der Apostolischen Signatur und das Gericht der Römischen Rota. Allerdings wird die Apostolische Pönitentiarie im Kapitel „Gerichte des Apostolischen Stuhles“ (Canones 1442-1445) im Kodex des Kanonischen Rechtes nicht mit aufgezählt. Während Signatur und Rota ihre Leitungsgewalt im richterlich-rechtsprechenden Bereich ausüben, erscheint die Apostolische Pönitentiarie in der öffentlichen Wahrnehmung als geheimnisvolles Objekt. Obgleich sie die älteste Einrichtung der Römischen Kurie darstellt, ist sie wenig bekannt, selbst bei großen Teilen des Klerus.
GNADE UND BARMHERZIGKEIT
Der Grund dafür mag darin liegen, dass sie bei ihrer Tätigkeit jene Öffentlichkeit scheut, wie sie für die Aufgaben der anderen Dikasterien angemessen ist. Unter den Dikasterien der Römischen Kurie ist die Apostolische Pönitentiarie in der Tat jene, die – immer auf unmittelbare Weise – eine wirklich geistliche Tätigkeit ausübt, wie sie der grundlegenden Sendung der Kirche am angemessensten ist, die ja im „Heil der Seelen“ besteht, und das – wir dürfen dies nie vergessen – „muss in der Kirche immer das oberste Gesetz sein“ (Canon 1752, zugleich der letzte Satz im Kodex des Kanonischen Rechtes).
Man kann sagen, dass die Pönitentiarie der „verlängerte Arm“ des Papstes ist bei der Ausübung seiner Schlüsselgewalt (potestas clavium). Sie ist das universale und ausschließliche Organ des Papstes im inneren Bereich (forum internum = Gewissensbereich). Es handelt sich um ein Dikasterium der Gnade und der Barmherzigkeit, das keinerlei richterliche Tätigkeit im öffentlichen Bereich ausübt. Unter den Dikasterien der Römischen Kurie ist sie die einzige, die auf unmittelbare Art gänzlich unbürokratisch vorgeht.
Und normalerweise besteht ihre Rechtsprechung in Gnadenerweisen, also Begnadigungen. Ihre spezifische Zuständigkeit jedoch erstreckt sich auf all das, was den inneren Bereich (forum internum = Gewissensbereich) betrifft, auch den nicht-sakramentalen (Beichte). Zum inneren Bereich zählen alle Handlungen, sofern sie unter dem Aspekt der Sünde betrachtet werden, demnach auch die Straftaten, und zwar nicht insofern sie die Gesellschaft stören, sondern insofern sie das eigene Gewissen plagen. Konkret sind das: Zensuren (kirchliche Strafen zum Zwecke der Besserung), die sich jemand aufgrund einer Sünde zugezogen hat (solche Strafen können sein: Suspension, Interdikt, Exkommunikation), die aber im Status einer Strafe latae sententiae geblieben sind (Tatstrafe, die von selbst eintritt, wenn jemand eine bestimmte Straftat begeht), also kanonisch nicht festgestellt wurden, weil die Handlungen, aus denen sie sich herleiten, geheim sind. Weiterhin Hindernisse für den Empfang der heiligen Weihen oder zur Eingehung einer Ehe, die von Umständen herrühren, die geheim sind.
GEHEIM UND DISKRET
Man wendet sich an das Forum internum nicht nur wegen der Sünden, der Zensuren und der Irregularitäten, sondern im allgemeinen bei geheimen Situationen, wie zum Beispiel Dispensen, Heilungen (sanatio), Gültigmachungen von Akten, die aus geheimen Umständen ungültig sind. Die Pönitentiarie prüft und löst zudem Gewissensfragen, die ihr vorgelegt werden. Sie klärt Zweifel in Fragen der Moral und des Rechts, wenn es sich um geheime Umstände oder konkrete individuelle Fakten handelt.
Hier muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die von der Apostolischen Pönitentiarie erteilten Antworten bei der Lösung von Gewissensfragen eine verbindliche Gültigkeit haben – als Vorschrift oder als Befreiung, je nach Art des Falles – nur für die reellen und einmaligen Umstände, die vorgelegt wurden, hingegen nicht für die anderen Fälle; doch auf die anderen Fälle können jene Antworten nach kluger Maßgabe angewendet werden. Das bedeutet: Die lehrmäßigen und disziplinären Orientierungen, die in den Lösungen enthalten sind, können mit Klugheit vom Priester angewendet werden, wenn er mit einem vergleichbaren Fall zu tun hat. Aber auf keinen Fall ist es erlaubt, jene Antworten zu veröffentlichen.
SÜNDE PRIVAT UND GLOBAL
In der Ausübung ihrer Aufgaben bewegt sich die Pönitentiarie innerhalb eines Rahmens: Einerseits ist da die Verletzung des Bundes mit Gott und den Brüdern (hier geht es um Sünde), und dann gibt es die sozialen Auswirkungen der Sünde. In der Tat hatte die Sünde früher eine individuelle, ja individualistische Dimension; heute dagegen hat sie eine Bedeutung, eine Resonanz, die über das Individuelle hinausgeht und vor allem in das Soziale hineinreicht, aufgrund des großen Phänomens der Globalisierung.
Tatsächlich ist es heutzutage viel dringender als früher, die Aufmerksamkeit auf die Sünde zu richten, gerade wegen ihrer Auswirkungen, die ausgedehnter und destruktiver sind. Das Phänomen der Globalisierung, bei der die Menschen nahezu grenzenlos miteinander in Verbindung treten können, bewirkt, dass einer dem anderen ausgeliefert ist, ohne durch die traditionellen Formen (Landstrich, Religion, Sprache, Bräuche) unterstützt zu werden, worauf sich die Stabilität des tagtäglichen Lebens gründete.
NEUE SICHT VON SÜNDE
Heutzutage gilt Image und Publicity, alles wird publik. Davon hebt sich ein Dikasterium wie die Apostolische Pönitentiarie ab; es richtet seine Aufmerksamkeit auf die innere Welt, auf ihre empfindlichste und weniger sichtbare Seite, und wird so zu einem sehr wertvollen Instrument in jenem Rahmen, in dem sich das Leben der Kirche artikuliert. Und tatsächlich fördert dieses Dikasterium aufmerksam Initiativen, die daran erinnern, dass in der sakramentalen Versöhnung die Vergebung Gottes zur Quelle einer geistlichen Wiedergeburt und zum wirksamen Prinzip der Heiligung wird. Das ist wichtig in dieser unserer Epoche der grundlegenden Veränderungen, nicht nur im kirchlichen Bereich, sondern auch in der Mentalität.
Diese Änderungen haben sich zutiefst ausgewirkt auf die Praxis des Sakramentes der Versöhnung. Es gibt eine neue Art, die Sünde zu betrachten. Das Gespür für die Sünde verdunstet. Die Praxis der Beichte ist eingetrübt. Sündhafte Haltungen verletzen individuelle und soziale Rechte. Einbezogen werden muss das Feld der Bioethik; hier sind einige Verletzungen der grundlegenden Rechte der menschlichen Natur zu beklagen: durch Experimente, genetische Manipulationen, deren Ausgang schwer vorauszusehen und unter Kontrolle zu halten ist. Im gesellschaftlichen Bereich der Drogen wird die Psyche geschwächt und der Verstand verdunkelt sich. Viele junge Leute bleiben außerhalb des kirchlichen Umfelds. Durch die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten werden die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher; es wächst eine unerträgliche soziale Ungerechtigkeit heran.
SCHULUNG UND BUSS-WEG
Aus diesen Gründen bietet die Pönitentiarie alljährlich einen Kurs zum Forum internum an. Da geht es nicht um akademische Fragen, sondern um Seelsorge und Bildung. Mit wachsendem Interesse nehmen daran Hunderte von Priestern aus vielen Nationen teil. Ihnen wird nahegebracht, dass die volle Wertschätzung des Bußsakramentes in großem Maße auch von ihnen abhängt, besonders von ihrer inneren Einstellung; ihnen soll bewusst werden, dass sie einen kostbaren und unersetzlichen Dienst verwalten. Der selige Papst Johannes Paul II. erinnerte in einer seiner Ansprachen an die Beichtväter daran, dass die Priester, wenn sie den Gläubigen die Gnade und Vergebung des Bußsakramentes spenden, damit – neben der Feier der Eucharistie – die erhabenste Handlung ihres Priestertums setzen.
Als Hilfe zu einer guten Beichte lädt die Pönitentiarie ein, neue ‚Wege der Buße‘ zu beschreiten, also Hilfe zu geben dabei, einen Bekehrungsweg einzuschlagen, der abschließend in das Sakrament der Versöhnung einmündet. Dabei soll der Gläubige seine Schritte nicht als bloße Erklärungen des guten Willens betrachten, sondern als Wirkungen der Gnade auf seinem persönlichen Weg. Und nachdrücklich muss der Priester den Beichtenden und das Sakrament selbst aus jener bisweilen formalistischen Enge herausholen, in die sie in vielen Fällen geraten sind, mit einer innerlichen Entfremdung von einem Ritus, der magisch und formelhaft erscheinen mag. Der Priester muss daran erinnern, dass im Sakrament der Versöhnung – das doch in Wirklichkeit das Instrument der unendlichen Barmherzigkeit Gottes ist, der alle Menschen aufnehmen will, um ihnen erneut jenen inneren Frieden zu schenken, nach dem sich der reuige Sünder zutiefst sehnt – die Vergebung durch Gott zur Quelle einer geistlichen Wiedergeburt wird und zum Start in die Heiligkeit. Ihnen allen wünsche ich, dass Sie nach diesem Angebot greifen und Gottes Geschenk nicht ausschlagen.