Päpstliche Schiffe auf dem Nil

In den Jahren 1840/41 verblüffte eine kleine päpstliche „Flotte“ die Welt. Drei kaum hochseetaugliche Schiffe waren in einer besonderen Mission und unter abenteuerlichen Umständen nach Ägypten gesegelt. Unser Autor berichtet von einer Expedition im Dienst
24. Februar 2016 | von

Die Basilika San Paolo fuori le mura – Sankt Paul vor den Mauern – ist ein Ruhepol in der Ewigen Stadt. Zwar wird die Grabstätte des Völkerapostels an der Via Ostiense von vielen Pilgern aufgesucht, aber von den Menschenmassen, die im Zentrum der hektischen Metropole am Tiber die großen Basiliken, Kirchen und historischen Monumente in Beschlag nehmen, bleibt sie für gewöhnlich verschont. Touristen können gemächlich durch das weitläufige Gotteshaus schlendern und sich in dessen Kreuzgang entspannen. 

 

 

 

 

Brandkatastrophe und Hilfszusagen

 

 

Beschaulichkeit prägt diesen Ort. Jedoch nicht im Sommer des Jahres 1823. Durch Unachtsamkeit war im Dachgestühl der Basilika ein Schwelbrand entstanden. Aus dem ursprünglich kleinen Brand entwickelte sich eine gewaltige Feuersbrunst, die das Gotteshaus fast vollständig zerstörte. Das furchtbare Schauspiel ähnelte, wie ein Augenzeuge des Geschehens berichtete, „einem schrecklichen Ausbruch des Vesuvs“. Der Anblick der Ruine bewegte viele Menschen. „Ich besuchte St. Paul am Tag nach dem Brande. Die Kirche war erfüllt von schwarzen, rauchenden und halbverbrannten Balken. Große Stücke der Säulen, die von oben bis unten gespalten waren, drohten bei der geringsten Bewegung herabzustürzen“, schrieb der französische Schriftsteller Henri Beyle-Stendhal. 

 

Die Zerstörung des Gotteshauses entsetzte nicht nur die katholische Welt; von überall her wurde Hilfe für einen Wiederaufbau versprochen. Unter den katholischen Herrschern taten sich vor allem Kaiser Franz Joseph von Österreich und König Ludwig I. von Bayern hervor. Auch viele nichtkatholische Herrscher und Nationen beteiligten sich. So stiftete Zar Nikolaus I. von Russland prachtvolle Malachitblöcke für den Bau der Altäre, und das protestantische Schweden spendete das Holz für die Decke der Basilika. Große Verblüffung bewirkte die Ankündigung eines muslimischen Herrschers. Mehmet Ali, der Vizekönig von Ägypten, bot Alabaster aus den Steinbrüchen seines Landes an. Doch das Geschenk des Vizekönigs stellte den Papst vor ein Problem. Es war vom Beschenkten im ehemaligen Pharaonenreich abzuholen. Hierfür aber schienen die Möglichkeiten zunächst nicht gegeben. 

 

Kapitän mit Ausnahmetalent

 

 

Dann kam Papst Gregor XVI. (1831-1846) ein Kapitän der päpstlichen Marine in den Sinn: Alessandro Cialdi. Cialdi, geboren 1807 in der päpstlichen Hafenstadt Civitavecchia, stand im Dienst der Zoll- und Kriegsmarine des Kirchenstaates. Durch eine Reihe von maritimen Bravourstücken hatte er sich einen Namen gemacht, z. B. 1833 als blutjunger Kapitän der San Carlo, die vom römischen Stadthafen Ripa Grande aus nach Brasilien auslief. 500 Meilen nach dem Passieren der Meerenge von Gibraltar brach der Hauptmast entzwei; eine Reparatur erwies sich als nicht durchführbar. Das Unternehmen schien gescheitert. Cialdi jedoch gelang das Unmögliche – ohne fremde Hilfe erreichte er mit der San Carlo unversehrt den Hafen von Rio de Janeiro. 1839 brachte Cialdi zwei Obelisken auf dem Wasserweg von Venedig nach Rom. Als das Schiff wegen seines ungeheuren Gewichtes und des geringen Wassergangs des Tibers nicht mehr weiter fahren konnte, ließ er es auf ein improvisiertes Gefährt hieven und auf dem Landweg nach Rom schaffen. 

 

Aufbruch nach Ägypten

 

 

Bei sternenklarem Himmel, in der Nacht vom 20. auf den 21. September 1840, segelte Alessandro Cialdi mit den Schiffen San Pietro, San Paolo und der Fedeltà nach Ägypten. „Die ‚Fedeltà’ macht gewöhnlich Fahrten von Civitavecchia nach Roma, und die beiden Tartanen ‚San Pietro’ und die ‚San Paolo’ werden häufig zum Fischfang genutzt“, beschrieb Cialdi nicht ohne Selbstironie seine kleine Expeditionsflotte. Die Fedeltà besaß eine Wasserverdrängung von siebenundfünfzig Tonnen, mehrere Artilleriegeschütze und eine neunzehn Mann starke Besatzung. Mit den Mannschaften der beiden übrigen Schiffe waren es insgesamt sechsunddreißig Personen, die an der Expedition teilnahmen. Am 30. September segelte man an Malta vorbei. Drei Wochen später erreichten die Schiffe Kreta. Doch dann schien die Weiterfahrt gefährdet. Im Jahre 1840 befanden sich das 

 

Britische Empire und Ägypten im Krieg. Für Cialdi aber war dies kein Grund zurückzukehren. Den päpstlichen Schiffen gelang es, sowohl die britische Blockade als auch die ägyptische Gegenblockade zu durchbrechen. 

 

Lieferverzögerungen

 

 

Am 7. November ging die kleine römische Flotte bei Alexandria vor Anker. Unverzüglich wurden der Kapitän und seine Offiziere von Mehmet Ali in Audienz empfangen – „mit jeder nur denkbaren Feierlichkeit“, notierte Cialdi. Die rotweiße Fahne des Vizekönigs mit dem Halbmond wehte friedlich neben der mit der Tiara geschmückten gelbweißen Fahne der Päpstlichen Staaten. Am 21. November begab sich Alessandro Cialdi mit seinen Schiffen in den linken Seitenarm des Nils. Nach vierzehn Tagen erreichte man Bulack und Kairo. Dort erfuhr Cialdi, dass er auf die meisten der Säulen noch einige Monate zu warten hatte. Der Transport aus den Steinbrüchen bei Wadi Sannur gestaltete sich schwieriger, als ursprünglich angenommen worden war. 

 

Expedition während des Wartens

 

 

Während die San Pietro und die San Paolo im Hafen von Kairo verblieben, begab sich Cialdi mit der Fedeltà auf eine weitere abenteuerliche Reise. Das Schiff, das nach Angaben Cialdis ansonsten nur „Fahrten von Civitavecchia nach Rom machte“, segelte als erstes europäisches Schiff der Neuzeit den Nil 1.164 Kilometer herab. Untiefen und heftige Winde führten oft zu lebensbedrohenden Situationen. Am 21. Januar ließ das Schiff seine Anker in der Nähe von Assuan, dem antiken Syene, zu Wasser. Am höchsten Mast des Schiffes wehte die päpstliche Flagge, die Geschütze schossen Salut, und Offiziere und Mannschaft ließen den regierenden Papst hochleben. Vor den Augen Cialdis und seiner Männer zeigte sich ein berühmtes Kleinod Ägyptens: die Insel Philae. 

 

Cialdi stellte einen kleinen Trupp zusammen, der die Insel erkunden sollte. Bevor die Männer die Fedeltà verließen, gab Cialdi einem von ihnen einen besonderen Auftrag. Er befahl, den Namen des Papstes in die gewaltigen Steine des dortigen Isis-Tempels einzumeißeln. Die Inschrift ist bis zum heutigen Tag sichtbar. Sowohl die Fahrt nach Philae als auch die Rückreise wurden zu ausgiebigen wissenschaftlichen Erkundigungen genutzt. Flussverlauf und Wassertiefe wurden beobachtet; Fauna und Flora ebenso wie die historischen Bauten und Ruinen in Aufzeichnungen ausführlich festgehalten; Mineralien gesammelt und untersucht.

 

Rückkehr mit Hindernissen

 

 

Am 7. März erreichte man Kairo. Die Monolithen waren fertig und lagen im Hafen bereit. „Durch die Großzügigkeit des Vizekönigs erhielten wir achtzig arabische Arbeiter zu unserer Verfügung; sie sollten uns beim Beladen der Schiffe behilflich sein”, vermerkte Cialdi in seinen Aufzeichnungen. Die Arbeiten verzögerten sich durch einen tragischen Umstand: In Kairo wütete die Pest. Täglich raffte sie Hunderte von Menschen hinweg. Alessandro Cialdi verhängte umgehend eine Quarantäne, die das Lager seiner Leute und die drei Schiffe von der Außenwelt isolieren sollte. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hielt die Seuche auch in das Lager der römischen Expedition ihren Einzug und forderte ihren Tribut – mehrere Tote waren zu beklagen. 

 

Anfang Mai verkündete ein Kanonenschuss der Fedeltà den Abschluss der Arbeiten. Alle Säulen (mit dem beträchtlichen Gewicht von 450.000 Pfund) befanden sich nun auf den Schiffen. Am 12. Mai brach die kleine Flotte zu ihrer Rückreise auf. Auch diese Fahrt wurde durch ungünstige Wetterbedingungen erschwert. In heftigen Stürmen und Gewittern musste man hohes seemännisches Können unter Beweis stellen. Am Abend des 16. August erreichten die drei Schiffe Civitavecchia. Im Hafen hatte sich eine gewaltige Menschenmenge zur Begrüßung versammelt. In einem zeitgenössischen Bericht hieß es: „Ganz Civitavecchia war in Aufruhr und feierte begeistert seine Helden. Die Glocken der Stadt hörten nicht auf zu läuten.“

 

Ein dankbarer Papst

 

 

Am 23. August erhielt Cialdi die Order, sich mit den Schiffen nach Rom zu begeben. Am 28. August 1841 legten die Fedeltà, die San Pietro und die San Paolo bei Sankt Paul vor den Mauern an. Einen Tag später traf der Papst dort ein. Er bestaunte eingehend die Geschenke Mehmet Alis. Man präsentierte Gregor XVI. die prachtvollen Alabastersäulen und -blöcke, hieroglyphische Inschriften, eine Mumie, die Haut eines Nilpferds, ein Krokodil und vieles mehr. Beeindruckt von der Geste des Vizekönigs plante der Papst, eine Dankesdelegation nach Ägypten zu entsenden. Doch finanzielle Schwierigkeiten und aufkommende revolutionäre Unruhen im Kirchenstaat verhinderten diese Absicht. Und so musste ein einzelner Emissär nach Alexandria fahren, um Mehmet Ali den Dank des Papstes zu überbringen.

 

Respektvoller Dialog der Religionen

 

 

Der Dankesbrief des Papstes und die Erwiderung des Vizekönigs waren Vorläufer eines christlich-islamischen Dialogs. In dem päpstlichen Schreiben – ausgefertigt mit Goldbuchstaben in Latein, Arabisch und Türkisch – äußerte Gregor XVI. die Hoffnung und Zuversicht, dass der Vizekönig die Stätten der biblischen Geschichte und die christlichen Minderheiten erhalten und schützen möge. Mehmet Ali, der in seiner Antwort den Papst mit äußerst ehrenden Titeln bedachte – er stellte ihn in die Nachfolge der römischen Cäsaren –, versicherte dem Oberhaupt der katholischen Kirche, dass die heiligen Stätten und die christlichen Gemeinschaften unter „Unserem Schutz und Unserer Pflege“ stehen würden, „immer und beständig“. Der Briefwechsel zwischen den beiden Herrschern spiegelt einen für die damalige Zeit hohen gegenseitigen Respekt wieder, der einen Weg aufzeigt, wie man bei Beibehaltung und Treue zur eigenen Religion in eine freundschaftliche Beziehung zueinander treten kann. 

 

Sankt Paul in neuem Glanz

 

 

Dreizehn Jahre nach der abenteuerlichen Expedition rüstete man sich in der Ewi­gen Stadt für ein freudiges Ereignis. Am 10. Dezember 1854 konnte der selige Pius IX. (1846-1878) die feierliche Konsek­ra­tion der wiedererrichteten Basilika vornehmen. Die Ge­schenke des ägyptischen Vizekönigs hatten einen würdigen Platz in Sankt Paul erhalten. Im Hauptschiff und an den Fenstern waren viele der Säulen und der kostbare Alabas­ter zu erblicken. Von den großen, aus Wadi Sannur nach Rom gebrachten Säulen trugen vier den Balda­chin über dem Grab des Apostels. Als man den Baldachin Jahre später aus architektonischen Gründen wieder abbrach, wurden dessen Säulen an der Innenfassade des Gotteshauses  aufgestellt. 

 

Freundschaftliche Beziehungen

 

 

Alessandro Cialdi, der zum Kommandanten der päpstlichen Marine aufstieg, blieb in brieflichem Kontakt zu Mehmet Ali und seinen Nachfolgern – und interessierte sich weiter für das Land am Nil. Die päpstliche Nilexpedition geriet auch in Ägypten nicht in Vergessenheit. Die Nachfahren des Vizekönigs blieben mit der Basilika des Völkerapostels weiterhin ver­bunden. Die feingetönten Alabaster­fenster, die das Innere von Sankt Paul vor den Mauern mit Licht erfüllen, stif­tete in neue­rer Zeit König Fuad (1922-1936). Der letzte Herrscher aus der von Mehmet Ali begründeten Dy­nastie, König Fa­ruk I., der nach einer Offiziers-revolte 1952 aus seinem Hei­matland fliehen musste, erhielt Exil in Rom. Der Ex-Monarch suchte die Basilika mehrfach auf, um die Geschenke seiner Vorfahren zu be­trach­ten. 

 

Das seemännische Unternehmen der Jahre 1840/41 steht beispielhaft für den Beginn freundschaftlicher Beziehungen der Römischen Kirche zu den Völkern und Staaten, die der Lehre Mohammeds folgen – für ein sich immer positiver entwickelndes Verhältnis, das einst von einer unüberwindbar scheinenden Feindschaft geprägt war.

 

Zuletzt aktualisiert: 17. Oktober 2016
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