Päpstliche Überraschungen

18. April 2013 | von

Abgesehen von Unmutsäußerungen aus der traditionalistischen Ecke sind bis dato (Weißer Sonntag) keine Kritiken laut geworden über Papst Franziskus. Nahezu täglich berichten die Medien von seinen ungewöhnlichen Gesten und Auftritten. Offensichtlich musste jemand von weit her kommen, um ein neues Interesse an der Kirche und der Botschaft des Evangeliums zu wecken.



Vom Ende der Welt hätten seine Brüder Kardinäle ihn hergeholt, um Bischof von Rom zu werden, so stellte Papst Franziskus sich vor. Es lohnt sich schon, die Entfernung von Italien bis Argentinien an einem Globus nachzumessen. Dieses südamerikanische Land rückt jetzt in den Fokus der Aufmerksamkeit. Auch unsere oberdeutsche Minoritenprovinz mit dem ehemaligen Sitz in Straßburg nennt sich Provincia Argentina, da Straßburg im Mittelalter auf Lateinisch Argentina hieß, in römischer Zeit Argentoratum, also Silberburg. Die Heimat unseres Papstes Franziskus heißt erst seit dem 19. Jahrhundert Argentinien. Ab 1776 gab es das spanische Vizekönigreich Rio de la Plata (Silberfluss) mit der Hauptstadt Buenos Aires. Es umfasste das Gebiet der heutigen Staaten Argentinien, Bolivien, Paraguay und Uruguay, die nach und nach selbständig wurden. Argentinien, heute der achtgrößte Staat der Welt, wurde am 9. Juli 1816 unabhängig. Karl-May-Leser erinnern sich an die beiden Südamerika-Romane „Am Rio de la Plata“ und „In den Cordilleren“, gemeint ist der Gebirgszug der Anden.



FRANZISKUS IST PROGRAMM

Vor dem Konklave wurden verschiedene Kardinäle als „papabili“ gehandelt. Einem Mitbruder in Würzburg, der sehr viel von „Seherinnen“ hält, machte ich vergeblich den Vorschlag, sich nicht die Person des künftigen Papstes „weissagen“ zu lassen, sondern welchen Namen er wohl wählen würde. Dies ist unserer Redaktionssekretärin, Dorothee Goldbach, fast gelungen. Mit ihren Söhnen Lukas und Janosch war sie auf dem Weg zum Flughafen, als die Glocken die erfolgte Wahl ankündigten. Sie erklärte, dass der Papst den Namen eines Heiligen wählen wird, etwa Antonius oder Franziskus. Nach der Landung in Frankfurt – mittlerweile stand der Papstname fest – wurde Dorothee dann von ihren Söhnen gefragt, woher sie das von Franziskus gewusst habe.

Natürlich jubeln wir Franziskaner (die braun gekleideten, die Kapuziner, die Minoriten) über den ersten Papst, der den Namen unseres Ordensgründers wählte. In der Pressekonferenz erzählte Papst Franziskus, warum er als Jesuit auf diesen Namen kam: Kardinal Cláudio Hummes, ein Franziskaner, emeritierter Erzbischof von São Paulo in Brasilien, saß neben ihm beim Konklave, umarmte den Neugewählten und sagte ihm: „Vergiss die Armen nicht!“ Dies habe ihn zur Wahl des Namens veranlasst, denn Franz von Assisi war eingetreten für die Armen, für den Frieden und für die Umwelt. „Ich möchte eine arme Kirche, die für die Armen da ist.“



DIE BEIDEN PÄPSTE

In Erinnerung ist mir noch eine Einschätzung aus dem Jahr 2005 zur Wahl von Papst Benedikt XVI., die etwa so lautete: Wenn ein Papst theologisch nicht so versiert ist, wird er sich bei seinen Entscheidungen möglichst im sicheren Bereich aufhalten. Ein theologisch kompetenter Papst dagegen kann auch ungewöhnliche Entscheidungen treffen, da er genau weiß, wie weit er gehen darf. Einige Päpste vor ihm hatten mit dem Gedanken gespielt, ihr Amt aufzugeben. Papst Benedikt hat sich dafür entschieden. Und Papst Franziskus spart nicht mit seinem tiefen Respekt gegenüber dem Vorgänger.

Für mich bewahrheitet sich im Zusammenspiel und in der Aufeinanderfolge der verschiedenen Päpste eine evangelische Regel: „Einer sät und ein anderer erntet“ (Johannes-Evangelium 4,37). Johannes Paul II. hat die großen Massen mobilisiert, auf den Nachfolger Petri zu hören. Benedikt XVI. hatte damit ein Publikum, dem er seine tiefe Theologie vermitteln konnte. Papst Franziskus als großer Kommunikator zeigt nun durch sein Auftreten, welche Wahrheit und Kraft in der christlichen Botschaft steckt.



REFORMEN WIRKEN SCHON

Überall bestätigen es die Seelsorger in den Gemeinden, dass die Kirchen zu den Osterfestlichkeiten voller waren als sonst und auch die Beichtstühle frequentierter. Zum eher schüchternen Papst Benedikt, der seine Herzlichkeit anders zum Ausdruck bringt, hätte es nicht gepasst, sich wie Papst Franziskus nach einem Sonntagsgottesdienst ans Kirchenportal zu stellen und alle Messbesucher herzlich zu umarmen.

Nahezu alle, Gläubige und Nichtglaubende, Kirchenfreunde und Kirchenhasser, spekulierten vor dem Konklave auf einen Papst, der „endlich Reformen in Gang setzt“. Manchen von ihnen dürfte Papst Franziskus inzwischen schon zu weit gehen. Und zwar auch deshalb, weil sich vom Auftreten dieses Papstes nicht nur „die da oben“, etwa die Kardinäle und Kurialen, angesprochen und in Frage gestellt fühlen. Ich glaube, dass er Jeden zu einer Gewissenserforschung anregt. Papst Franziskus ist ein gutes Jahr älter als ich, hat Rückenprobleme und nur eine halbe Lunge. Ohne dass er das aussprechen muss, fühle ich mich zum Durchhalten angespornt.

Reformen in der Kirche, sie wurden seit dem Mittelalter immer wieder einmal angemahnt, sollen „an Haupt und Gliedern“ erfolgen. Ich bin gespannt, wann Papst Franziskus von uns Franziskanern, von uns Ordensleuten, ein wenig mehr Disziplin einfordert. Ab diesem Pontifikat kann jeder die gleichen Schuhe tragen, wie sie auch der Papst anzieht.



Zuletzt aktualisiert: 06. Oktober 2016