Pastorale zur Weihnachtszeit
Jahrhundertelang trugen Hirten aus der Campagna musikalisch die Weihnachtsbotschaft in die Straßen Roms. Auf Schalmei und Dudelsack brachten die so genannten „Pifferari" ihre wehmütigen Weisen vor den Madonnenbildnissen der Stadt zum Besten und beriefen sich dabei auf die ersten Hirtenlieder zu Christi Geburt. Im 19. Jahrhundert passte dieser Brauch nicht mehr ins moderne Stadtbild und wurde kurzerhand beendet. Doch seine Tradition überlebt in Folkloregruppen und populären Weihnachtsliedern.
Die Zeit vor und nach dem Weihnachtsfest mit Musik zu begleiten, ist alte und gute Tradition. Von volkstümlichen Weisen über vertraute Kirchenlieder bis hin zu konzertanten Werken berühmter Komponisten reicht das fast unerschöpfliche Repertoire. Mit dem Beginn des Advents sind die besinnlichen Klänge nicht nur in den Gotteshäusern zu hören. Von Rathaustürmen herab, in den Straßen und auf den zahlreichen Advents- und Weihnachtsmärkten sind sie durch Musikanten überall präsent. Sogar in Geschäften und Kaufhäusern begleiten sie die Menschen bei ihren Einkäufen, wenngleich dort elektronisch dargeboten, digital aufbereitet und um moderne Kompositionen erweitert.
Rührende Schäferständchen
In Italien waren es in früheren Zeiten die „pifferari", die musikalisch durch den Advent und die Weihnachtszeit führten; sie kamen in die Städte, vor allem nach Rom und Neapel, um durch ihr Spiel das karge Einkommen eines Schäfers und Hirten aufzubessern. „Die Pifferari sind Hirten aus der Campagna, welche um Weihnachten nach Rom kommen und auf Dudelsäcken und Schalmeien vor jedem Madonnenbilde eine wundersam rührende, uralte Melodie blasen", notierte Fanny Lewald zu Beginn des 19. Jahrhunderts in einem ihrer Reiseberichte. „Sie sagen, es sei der Gesang, mit dem die Hirten die Geburt des Christkindes begrüßten. Von früh bis spät kann man die Pifferari sehen, Greise, Männer und Knaben, in kurze, braune Tuchmäntel gehüllt, den spitzen Hut mit Bändern und Federn geziert, die Füße mit Sandalen bekleidet, ihre Melodien spielend hier und dort." Das Spiel der Pifferari erklang auf der Ciaramella und der Zampogna, zwei Instrumenten, die schon in der Antike bei Hirten und Schäfern in Gebrauch waren. Die Ciaramella, auch „piffero" genannt, war eine Art Schalmei. Sie bestand aus einem konischen Rohr mit sechs Löchern auf der Oberseite und einem weiteren Loch auf der unteren Seite, das mit dem Daumen zugehalten wurde. Die Zampogna hatte sich aus der „tibia utricularis" entwickelt. Dieser Dudelsack bestand aus einem zusammengenähten Bocksfell, das mit Luft gefüllt wurde. Er hatte im Allgemeinen drei Pfeifen, von denen zwei ununterbrochen den Grundton hören ließen, während die dritte mit einem einfachen oder doppelten Mundstück und mit Löchern versehen war, so dass man die schwingende Luftsäule ändern und Melodien spielen konnte. Auch das Alte Testament weiß vom Dudelsack zu berichten. Unter der Bezeichnung „symphonia" findet er sich beim Propheten Daniel erwähnt, als Musikinstrument am Hofe Nebukadnezars. Im Rom der frühen Kaiserzeit führte Seneca Klage darüber, dass ein Dudelsackpfeifer mehr Zuhörer um sich sammle als ein Philosoph Schüler. Seneca wird hierbei wohl an Nero gedacht haben, der sich als Virtuose dieses Instrumentes sah.
Inbrünstig und inspirierend
Die Pifferari und ihre Musik fanden Einzug in die Werke namhafter Komponisten. Corelli, Händel, Mozart, Berlioz und Gounod – um nur einige zu nennen – waren von der eigentümlichen Hirtenmusik zutiefst berührt und ließen sich von ihr inspirieren. Corelli nahm sie in sein „Weihnachtskonzert" auf, Händel ahmte die einfachen Weisen der Dudelsackpfeifer im „Messias" nach, und Mozart verwendete sie in seiner Jugendoper „Bastien und Bastienne". „Ich habe die Pifferari in ihrer Heimat gehört, und wenn ich sie schon in Rom so bemerkenswert gefunden habe, wie viel stärker war die Gemütsbewegung, die ich von ihnen in dem wilden Gebirge der Abruzzen empfing, wohin mich meine Wanderlust geführt hatte", berichtete Hector Berlioz (1803-1869).
Aber nicht jeder war ein dankbarer Zuhörer. Henri Beyle-Stendhal (1783-1842) konnte den musikalischen Darbietungen der Pifferari nichts Gutes abgewinnen. Als der französische Dichter im Dezember 1827 in Rom weilte, klagte er: „Seit vierzehn Tagen werden wir um vier Uhr früh von den Pifferari geweckt. Diese Leute können einem die Musik verleiden. Es sind Bauerntölpel, die aus dem Gebirge herabkommen, um aus Anlass der Geburt des Heilands vor den Madonnen Roms Serenaden zu spielen. Sie kommen vierzehn Tage vor Weihnachten an und ziehen vierzehn Tage danach wieder weg. Man gibt ihnen zwei Paoli für eine Serenade, die sie neun Tage hintereinander morgens und abends spielen. Es gibt nichts Trübsinnigeres als das Gedudel dieser Pfeifer. Leo XII., der auch vor seiner Thronbesteigung ihrer überdrüssig geworden war, ließ ihnen befehlen, seine Untertanen nicht vor vier Uhr aufzuwecken." Freunde Stendhals wussten zu berichten, dass der Poet sich sogar dazu hinreißen ließ, die Fenster seiner Unterkunft brachial aufzustoßen, die Spielleute wüst zu beschimpfen und sie mit so manchem Gegenstand aus seinem Zimmer zu bewerfen.
Malerischer Brauch passé?
Stendhal, der, was Kunst und Musik betraf, manchmal einen recht fragwürdigen Geschmack an den Tag legte, wurde in seinem Urteil zu den Pifferari erst nach dem Ende der päpstlichen Herrschaft über Rom beachtet. Die neuen Herren in der Stadt am Tiber verboten 1870 das Spiel der ländlichen Musikanten. In ihren Augen passte es nicht zu einer modernen Metropole. Eine jahrhundertealte Tradition fand damit ihr Ende. Erst im 20. Jahrhundert durften die Römer den Klängen der Ciaramelle und Zampogne wieder lauschen. Die alten Zeiten ließen sich jedoch nicht wiederbeleben, wenn auch der ein oder andere Schriftsteller versuchte, den Pifferari von einst in ihren Nachfolgern von heute ein literarisches Denkmal zu setzen. „Unten an der großen Treppe [der Basilika Aracoeli] sind schon die Hirtenfeuer zu sehen, und die Schalmeien tönen. Auch dieses Jahr sind die Hirten von den Abruzzen wieder in die Stadt herunter gekommen, gekleidet in Felle, mit Schuhen aus Rinde und Bast. In ihren Schnappsäcken haben sie auch dieses Jahr wieder ein wenig von ihrem scharfen Käse, ein bisschen Salami und Rotwein und einen Packen von Briefen, den ihre Frauen und Kinder in den Bergdörfern an den Santo Bambino geschrieben haben. Immer spielen zwei zusammen ... Vor dem Kircheneingang liegt, mit der Krempe nach oben, ein verwaschener Hut, in den die Kirchenbesucher eine Kleinigkeit hineinwerfen, damit die Wiegenmusik weitergeht", schrieb Reinhard Raffalt in seinem „Concerto Romano".
Wiederbelebung
In Rom und Latium bemüht man sich um das Erbe der Pifferari. Viele Folkloregruppen, kleinere und größere, haben sich zur Aufgabe gesetzt, die alten Melodien nicht sterben zu lassen. „Wir freuen uns, dass diese Tradition neu belebt wurde", heißt es aus dem römischen Rathaus, „sie gehört zu unserer Geschichte und erfreut heute wie damals Bewohner und Besucher unserer Stadt." Seit einigen Jahren finden sich Pifferari auch wieder im Vatikan ein. Sie erscheinen zur letzten Generalaudienz, die der Papst vor dem Weihnachtsfest gibt. Ihr Besuch geht über einen reinen Höflichkeitsakt hinaus, denn Papst und Pifferari verbindet etwas ganz Besonderes: Italiens berühmtestes Weihnachtslied „Tu scendi dalle stelle". Die berührende Melodie des Liedes entstammte der Tradition der Pifferari und wurde vom heiligen Alphons Maria von Liguori (1696-1787) geschaffen. Ein besonderes Anliegen war dem adeligen Priester die Volksmission gewesen, für dieses Apostolat hatte er den Redemptoristenorden gegründet. Seine Komposition, die er als Möglichkeit der Katechese, der Glaubensverkündigung, empfand, hatte er zum Weihnachtsfest des Jahres 1755 bei einem Aufenthalt in Nola (Kampanien) niedergeschrieben. Die Worte, die der Heilige seiner Pastorale im neapolitanischen Dialekt beifügte, konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Den Text, der dem Lied seinen Namen gab, verfasste kein geringerer als ein Papst: Die Worte kamen aus der Feder des seligen Pius IX. (Giovanni Maria Mastai Ferretti, 1792-1878). Für die Verbreitung von „Tu scendi dalle stelle" („Tu scendi dalle stelle o Re del cielo, e veni in una grotta al freddo e al gelo") trugen dann wieder die Pifferari Sorge. Von den Straßen drang das Lied vom Himmelskönig, der von den Sternen herabsteigt, um in einer eiskalten Grotte zur Welt zu kommen, in die Häuser und Kirchen, und wurde dort heimisch. Bis zum heutigen Tag ist es Italiens beliebtestes Weihnachtslied. „Ein Weihnachten ohne ‚Tu scendi dalle stelle‘ ist kein Weihnachten", hatte schon Giuseppe Verdi kategorisch festgestellt.