Prediger des Evangeliums
Der Apostel Paulus ist eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Urkirche. Aus dem erbitterten Verfolger der Christen wurde ein glühender Verkünder der Christusbotschaft. Im Mittelpunkt seiner Theologie steht Jesus, in dessen Handeln, Tod und Auferweckung Gott selbst das Heil der Menschen verankert hat.
Wer sich dem Apostel Paulus und seiner Gedankenwelt nähern will, hat den großen Vorteil, dass das Neue Testament eine Vielzahl von Paulusbriefen überliefert. Wir können ihn also – und im Gottesdienst geschieht dies – im „Originalton" hören. Doch Paulus macht es dem heutigen Zuhörer beziehungsweise Bibelleser nicht leicht, denn seine Briefe sind – vom Römerbrief abgesehen – „Gelegenheitsschriften", das heißt, sie antworten auf ganz konkrete Fragen und Streitfälle in den jeweiligen Gemeinden.
Botschafter Christi. Man benötigt also zum einen Kenntnis der Gemeindesituationen, um die Art seiner Argumentation zu erfassen. Zum anderen hat Paulus sich in seiner Ausbildung zum jüdischen Gesetzeslehrer die Stilmittel seiner Zeit angeeignet (zum Beispiel die Diatribe), die dem heutigen Leser zunächst einmal fremd erscheinen. Doch trotz dieser Schwierigkeiten können wir den Theologen Paulus nur über seine Texte entdecken. Seine Briefeingänge sind wie Visitenkarten, in denen der Apostel sich uns vorstellt: „Paulus, durch Gottes Willen berufener Apostel Christi Jesu" (so im 1 Kor und 2 Kor) oder noch etwas ausführlicher im Römerbrief: „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt, das Evangelium Gottes zu verkünden … das Evangelium von seinem Sohn" (Röm 1,1+3). „Das Evangelium zu verkünden", da-rin sieht Paulus seine vorrangige Aufgabe (1 Kor 1,17). Wie das „Evangelium" inhaltlich zu füllen ist, dazu gibt uns Paulus im 15. Kapitel des ersten Korintherbriefes Auskunft: „Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Durch dieses Evangelium werdet ihr gerettet. … Christus ist für unsere Sünden gestorben, gemäß der Schrift, und ist begraben worden. Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf" (1 Kor 15,1-5).
Kreuz und Auferweckung. Diese urchristliche Glaubensformel, die Paulus selbst übernommen hat, lässt uns auf die Mitte seiner Verkündigung und Theologie blicken: Jesus Christus. Im Unterschied zu den Evangelien berichtet Paulus wenig vom Leben des irdischen Jesus, sondern er fasst dessen Leben zusammen in den zwei Ereignissen von Kreuz und Auferweckung. „Wir dagegen verkündigen Christus als den Gekreuzigten", ruft er den Gläubigen in Korinth zu (1 Kor 1,18.23). Das Kreuz ist die Zuspitzung des irdischen Lebens Jesu, am Kreuz offenbart sich die Liebe Gottes in unüberbietbarer Weise. Heute sprechen wir meist von der Auferstehung Jesu. Wenn Paulus auf dieses Ereignis blickt, dann spricht er immer von Auferweckung: „Gott hat ihn (Jesus) von den Toten auferweckt" (Röm 10,9). Paulus will damit dieses Heilsgeschehen als Wirken Gottes deutlich machen. Gott handelt in Jesus, Gott offenbart sich in Jesus. Das Kreuz ist kein unglücklicher Zufall für Paulus, sondern Zentrum, von dem aus die Auferweckung ihre volle Bedeutung gewinnt. Am Kreuz erweist sich Gott als derjenige, „der die Toten lebendig macht und das, was nicht ist, ins Dasein ruft" (Röm 4,17).
H. Merklein fasst die paulinische Predigt von Kreuz und Auferweckung in die Worte: „Gott ist seinen Geschöpfen treu, gerade in der Vernichtung und durch alle Nichtigkeit hindurch."
In dem oben zitierten Glaubensbekenntnis aus dem ersten Korintherbrief wird noch ein weiterer Aspekt paulinischer Christologie deutlich: Das Handeln Gottes in Jesus, das in Kreuz und Auferweckung seine Mitte hat, ist für uns bedeutsam.
Die Rechtfertigungslehre. Über die Heilsbedeutung des Todes Jesu haben die Christen von Anfang an nachgedacht. Den Gedanken der Sühne hat Paulus aus älteren Bekenntnisformeln aufgegriffen, so in Röm 3,25: „Ihn hat Gott dazu bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut, Sühne, wirksam durch Glauben." Paulus ist überzeugt: Gott selbst hat in Jesus zu unserem Heil gehandelt (2 Kor 5,19). Deswegen sind alle anderen Heilswege, zum Beispiel die Tora, das jüdische Gesetz, überholt. Für ihn ist entscheidend, dass allein Gott den Menschen gerecht macht (Röm 3,21-24). Alle menschlichen Versuche, seien es die der Juden wie die der Heiden, auf Grund eigener Leistung gerecht zu werden, sind zum Scheitern verurteilt. „Denn wir sind der Überzeugung, dass der Mensch gerecht wird durch Glauben, unabhängig von Werken des Gesetzes" (Röm 3,28).
Die Aussagen des Paulus über das Heilshandeln Gottes in Jesus Christus werden durch Martin Luther in den reformatorischen Prinzipien „Sola gratia, sola fide" („Allein durch Gnade, allein durch Glauben") aufgegriffen und geraten so in den Sog der konfessionellen Streitigkeiten. Erst im Jahr 1999 wurde in der gemeinsamen Erklärung der Katholischen Kirche und des Lutherischen Weltbundes dieser konfessionelle Konflikt um die Rechtfertigungslehre beigelegt.
Aus der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre des Lutherischen Weltbundes und der Katholischen Kirche:
13. Die gegensätzliche Auslegung und Anwendung der biblischen Botschaft von der Rechtfertigung waren im 16. Jahrhundert ein Hauptgrund für die Spaltung der abendländischen Kirche, was sich auch in Lehrverurteilungen niedergeschlagen hat. Für die Überwindung der Kirchentrennung ist darum ein gemeinsames Verständnis der Rechtfertigung grundlegend und unverzichtbar.
40. Das in dieser Erläuterung dargelegte Verständnis der Rechtfertigungslehre zeigt, dass zwischen Lutheranern und Katholiken ein Konsens in Grundwahrheiten der Rechtfertigungslehre besteht… Deshalb sind die lutherische und die römisch-katholische Entfaltung des Rechtfertigungsglaubens in ihrer Verschiedenheit offen aufeinander hin und heben den Konsens in den Grundwahrheiten nicht wieder auf.
44. Wir sagen dem Herrn Dank für diesen entscheidenden Schritt zur Überwindung der Kirchenspaltung. Wir bitten den Heiligen Geist, uns zu jener sichtbaren Einheit weiterzuführen, die der Wille Christi ist.